David Stadelmann

* 1982, aufgewachsen in Sibratsgfäll, ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Bayreuth, Fellow bei CREMA – Center for Research in Economics, Managemant and the Arts; Fellow beim Centre for Behavioural Economics, Society and Technology (BEST); Fellow beim IREF – Institute for Research in Economic and Fiscal Issues; Fellow am Ostrom Workshop (Indiana University); Mitglied des Walter-Eucken-Instituts.

 

Marco Frank

Wissenschaftlicher Mitarbeiter und Doktorand am Lehrstuhl für Wirtschaftspolitik und wirtschaftliche Entwicklung an der Universität Bayreuth. 

Warum Klimaschutz scheitert?

Juli 2022

Die globale Temperatur ist seit der industriellen Revolution laut Weltklimarat um rund 1,1°C angestiegen – in einigen europäischen Ländern sogar um deutlich mehr, wie beispielsweise in Österreich. Die weltweiten Emissionen wachsen weiter auf hohem Niveau. Dabei mangelt es in der Politik nicht an ehrgeizigsten Zielen oder Bekenntnissen zum Klimaschutz, wie der Begrenzung der Erderwärmung auf möglichst unter 1,5°C. Doch mit nüchternem Blick auf die Welt erscheint die Erfüllung solcher Ziele als „klimanaiv“. 

Klimanaivität ersten Grades

Wir bezeichnen als Klimanaivität ersten Grades, dass einzelne Länder trotz ambitionierter Ziele nur geringe Anreize haben, echte Anstrengungen zum Klimaschutz zu betreiben. Mindestens vier Kosten-Nutzen-Überlegungen sind dabei von Bedeutung.

  1. Trittbrettfahrer: Diejenigen Länder, die ihre Emissionen tatsächlich reduzieren, tragen die Kosten für Klimaschutz. Die Nutzen von Emissionsreduktionen verteilen sich hingegen weltweit, sodass hauptsächlich andere profitieren. 
  2. Gegenwartsliebe: Emissionsreduktionen führen sofort zu Kosten. Da das Weltklima träge ist, fallen die Nutzen erst in Zukunft an. Politiker und Bürger bevorzugen im Regelfall Nutzen heute und Kosten in der Zukunft. 
  3. Unsicherheit: Die Kosten für Klimaschutz sind sichtbar und gewiss. Die Nutzen von Klimaschutz hingegen sind nicht sofort sichtbar und ungewiss, da sie durch die Senkung der Wahrscheinlichkeit von Schäden irgendwo auf der Welt und in Zukunft zustande kommen.
  4. Ungleichheit: Mit fortschreitender Erkenntnis über die möglichen Schäden der Erderwärmung wird klarer, dass diese ungleich verteilt sein werden. So dürfte es große und kleine Verlierer aber auch Gewinner des Klimawandels geben. Letztere haben wenig Eigeninteresse an Klimaschutz. 

Wie diese Kosten-Nutzen-Überlegungen verdeutlichen, ist Klimaschutz ein internationales, öffentliches Gut. Daraus erwächst die typische Tragik öffentlicher Güter: Wenn ein Großteil der Welt sich nicht beteiligt, dann bringen nationale Anstrengungen zum Klimaschutz außer Kosten so gut wie nichts. Daher rentiert es sich für kein Land allein, ausreichend Klimaschutz zu betreiben. Allein das Klima zu schützen ist klimanaiv. 

Klimanaivität zweiten Grades

Klimanaivität ersten Grades könnte durch den Abschluss bindender internationaler Verträge zum Klimaschutz überwunden werden. Solche Verträge sollen die notwendige Kooperation zwischen den Ländern ermöglichen, sprich: Wenn andere Klimaschutz betreiben, betreibt man selbst welchen. Klimaverträge sind aber nur dann sinnvoll, wenn sehr viele Länder beitreten und diese dann auch echten Klimaschutz betreiben. 
Tatsächlich werden internationale Klimaverträge, wie beispielsweise das Übereinkommen von Paris, mit einer überwältigenden Anzahl an Nationen geschlossen. Vertragsparteien sind dabei viele Regierungen, die Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte bestenfalls auf dem Papier würdigen. Sie behandeln ihre eigenen Bürger oft wie Untertanen, beseitigen kritische Medienschaffende, internieren ganze Volksgruppen oder führen Angriffskriege. Der Glaube daran, dass genau diese Regierungen sich beim Klimaschutz für das Wohl der zukünftigen Bürger der Erde einsetzen, begründet die Klimanaivität zweiten Grades. 
Manche mögen einwenden, es wäre bereits ein Teilerfolg, wenn sich eigennützige Regierungen mancher undemokratischer, unfreier Länder in einem kleinen Aspekt – eben beim Klimawandel – etwas mehr auf das Wohl der zukünftigen Bürger der Erde ausrichten. Naheliegender erscheint, dass diese Regierungen mit ihren Auftritten bei Klimakonferenzen und ihren Unterschriften zu Klimaverträgen wenigstens teilweise ihre Unterdrückungs- und Ausbeutungstendenz gegenüber der eigenen Bevölkerung überstrahlen wollen. Abgesehen davon könnte eine Vertragsschließung ihre Exportchancen für „grüne“ Produkte erhöhen, wie etwa Solarpanels, Batterien oder die „Übergangstechnologie“ Erdgas. 
Realistischerweise sind auch demokratisch geprägte Länder nicht immer die zuverlässigsten Vertragspartner in Klimafragen. Generell verfolgen politische Entscheidungsträger nicht nur die Interessen der zukünftigen Bürger der Erde, sondern auch die Interessen ihrer Partei, ihrer Lobbygruppen oder ihre ganz ureigenen Interessen. Anstrengungen zum Klimaschutz werden aufgeschoben, wenn andere Krisen da sind. Gesellschaftlich ist es problematisch, wenn es Krisen braucht, um Klimanaivität zu überwinden. Scheinbar müssen mache behaupteten Klimaschützer erst die Belastung im eigenen Portemonnaie spüren, bevor etwas mehr Realismus in die Debatte kommt.

Realismus statt Klimanaivität

Gemäß Klimanaivität ersten Grades ist es kühn darauf zu hoffen, dass Länder von selbst ausreichend in Klimaschutzmaßnahmen investieren. Doch so gut gemeint ein internationaler Kooperationsansatz als Lösung wäre, so droht er aufgrund von Klimanaivität zweiten Grades zu scheitern. Was folgt daraus?
Zur Absicherung der Interessen der Bürger der freien, demokratischen Länder gälte es, beim Klimaschutz eine Abkehr von Klimanaivität hin zum Realismus einzuleiten. Anpassung an die zu erwartende Erderwärmung und an die mit ihr einhergehenden Gefahren sollten an Bedeutung gewinnen. Denn während Klimaschutz ein internationales öffentliches Gut ist, lassen sich die Vorteile von Anpassungen auf nationaler, lokaler und individueller Ebene schon heute realisieren. Baumaßnahmen reduzieren Sturmschäden, Deiche schützen vor einem höheren Meeresspiegel, robustere Baumarten erhalten den Wald, Klimaanlagen schützen vor Hitze. Da die Bürger direkt von der Anpassung profitieren, sind sie schon jetzt bereit, diese mitzufinanzieren. Das gibt auch den Firmen Anreize, schnell günstige Anpassungstechnologien zu entwickeln. 
Anpassung an den Klimawandel entspricht einer Investition in Resilienz. Wer sich angepasst hat, muss weniger befürchten. Und wer wenig zu befürchten hat, kann international anders auftreten. Die Ansage, dass wer sich vor den Gefahren der Erderwärmung nicht großartig fürchten muss, aber dennoch aus altruistischen Motiven für den Rest der Welt bereit wäre, effizienten Klimaschutz zu betreiben, ist nicht klimanaiv.

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