David Stadelmann

* 1982, aufgewachsen in Sibratsgfäll, ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Bayreuth, Fellow bei CREMA – Center for Research in Economics, Managemant and the Arts; Fellow beim Centre for Behavioural Economics, Society and Technology (BEST); Fellow beim IREF – Institute for Research in Economic and Fiscal Issues; Fellow am Ostrom Workshop (Indiana University); Mitglied des Walter-Eucken-Instituts.

 

Wettbewerb statt Reformstau

November 2021

Die Länder der EU stehen vor gewaltigen Herausforderungen. Über die großen Ziele herrscht weitgehend Einigkeit: Europa soll ein freiheitlicher, durch Vielfalt geprägter Wohlstandsraum sein und zukünftigen Generationen hervorragende Lebensbedingungen bieten.

Lage, Probleme und Lösungsansätze

Ein relevanter Wohlstandstreiber Europas ist der offene Binnenmarkt und die kulturelle, sprachliche, politische sowie ökonomische Vielfalt stärkt den fruchtbaren Wettbewerb. International spielen die EU-Länder eine eher positive Rolle, bedrohen sie doch die Welt weniger stark als andere Großmächte, die dazu noch permanent „Kriege“ gegen Drogen und Terrorismus führen. Ein gewisser Grundkonsens für nachhaltigeres Wirtschaften existiert europaweit. 
Doch die Schwächen der Politik sind in Bereichen wie Arbeitsmarkt, öffentliche Finanzen, Verkehr, Klimapolitik oder Altersvorsorge offenkundig. Viele EU-Länder sind wirtschaftlich und gesellschaftlich weit weniger erfolgreich als sie es mit einfachen Reformen sein könnten. Sie leiden unter dauerhaft hoher Arbeitslosigkeit und immer höheren Schulden, beides bereits bestehende Probleme, die sich durch die Corona-Krise noch verschärften. Schon eine moderate Deregulierung der Arbeitsmärkte und eine gewisse Budgetdisziplin könnten – wie das Beispiel Deutschland bis 2020 zeigte – nach wenigen Jahren mehr Beschäftigung und stabile Finanzen bringen. Selbst eine drohende höhere Inflation könnte durch bekannte Mechanismen in Zaum gehalten und müsste kein tragisches Missgeschick der Politik werden. 
Die subventionierte Aufblähung mancher Sektoren im Energiebereich und insbesondere im öffentlichen Verkehr wird immer sichtbarer. Statt Subventionierung sollte für den privaten wie auch den öffentlichen Verkehr strikte Kostenwahrheit gelten. Wenn jeder Teilnehmer im Privatverkehr die von ihm mitverursachten Kosten durch Umweltschäden, Lärm und Unfälle übernimmt, gibt es keinen Grund mehr dafür, den öffentlichen Verkehr zu subventionieren. Subventionen sind Budgetschäden, da sie die Allgemeinheit und zukünftige Generationen durch Haushaltsdefizite massiv belasten. 
Kostenwahrheit wäre auch in der Klimapolitik zentral, denn die derzeitigen nationalen Politikansätze werden immer teurer und sind wenig vorbildlich. Stattdessen bietet sich eine moderate CO2-Abgabe auf möglichst alle Emissionen an, die die geschätzten zukünftigen Schäden den heutigen Verursachern anlastet. Das gibt den Konsumenten und Produzenten die richtigen Anreize, Emissionen zu mindern und klimafreundliche Technologien zu entwickeln. Die Einnahmen aus der CO2-Abgabe müssen selbstverständlich für die Senkung anderer Steuern eingesetzt werden, damit sie nicht für neue, unnötige und schädliche Subventionen verprasst werden. 
Die Sicherung der Altersvorsorge ist eine wachsende gesellschaftliche Herausforderung. Überall in Europa kommen weniger Beitragszahler auf immer mehr Empfänger von Pensionen. An einer längeren Lebensarbeitszeit führt kein Weg vorbei. „Überalterung“ ist jedoch kein Problem, sondern ein Glück: Altern heißt heute mehr gesunde Lebensjahre. Daher sollte eine Lebensarbeitszeitverlängerung nicht staatlich verordnet werden. Die Ressource Altersarbeit muss nur freigesetzt werden, etwa durch eine Reduktion der Einkommenssteuer für jene, die über die gesetzliche Arbeitszeit tätig sind. Damit würde Altersarbeit attraktiver und Ältere würden weiter in berufsorientierte Bildung investieren. 
Viele der offenkundigen Schwächen vieler Länder Europas wären bei einer ausgewogenen Politik einfach und sozial verträglich in Stärken wandelbar. Warum findet das nicht statt? 

Wettbewerb gegen Reformstau
Gute Rahmenbedingungen sind nicht nur in der Wirtschaft, sondern auch in der Politik zentral. Werden Politiker nicht durch Wettbewerb diszipliniert, dienen sie vor allem erst sich selbst. Doch selbst wenn vielfältige Mechanismen zur Kontrolle politischer Macht existieren, sind die Bürger über die Handlungen ihrer Politiker oft schlecht informiert. Interessengruppen, darunter mittlerweile viele NGOs, verfügen über direktere Wege als die meisten Bürger, ihre spezifischen Interessen in den politischen Prozess einzuspeisen. Da Wahlversprechen nicht bindend sind, sind viele Politikversprechen oft absurd und nur unter hohen allgemeinen Wohlstandsverlusten umsetzbar. Die Präferenzen der Bürger werden bei fehlendem Wettbewerbsdruck durch die Politik munter missinterpretiert. 
Wettbewerb in Märkten bringt Produzenten näher zu den Wünschen der Konsumenten und vermag Innovation zu stimulieren. Ähnliches gilt für wettbewerbliche Rahmenbedingungen in der Politik, die dazu führen, dass die eigentlichen Kunden der Politik, die Bürgerinnen und Bürger, stärker in den Vordergrund rücken. 
Ein bekanntes Rezept für politischen Wettbewerb ist repräsentative Demokratie als Wettbewerb zwischen Politikern und Parteien. Oft geht jedoch vergessen, dass auch föderalistischer Wettbewerb zwischen Ländern und Gemeinden enorm positiv wirkt. Er beschränkt die Übermacht der nationalen Politiker und dient als Innovationslabor. Innovative Politik einzelner Regionen Europas kann von anderen übernommen werden. Zuletzt ist ein Ausbau der direkten Demokratie eine wichtige Form des Wettbewerbs. Direkte Demokratie führt nicht zu Blockaden, sondern dient als Bremspedal und Blitzableiter: Wer gute Bremsen hat, kann auch schneller fahren. Genauso erlaubt eine direktdemokratische Kontrolle eine größere Geschwindigkeit bei Reformen, da die Bürger den Politikern mehr Freiraum gewähren können. Sie können diese zur Not nämlich bremsen, ohne dass sie in Zukunft Volksvertreter wählen müssen, die das Rad wieder ganz zurückdrehen wollen. Als Blitzableiter dienen direktdemokratische Entscheidungen, weil durch sie einzelne kontroverse Themen aus dem ideologischen Parteienspektrum herausgelöst und entschieden werden können. 
Natürlich werden diese Wettbewerbsvorschläge auf Widerstand stoßen. Das verwundert nicht: Die bestehenden europäischen und nationalen Politiker wollen möglichst keinen zusätzlichen Wettbewerb und keine zusätzliche Kontrolle.

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