Thomas Feurstein

* 1964 in Bregenz, Studium der Germanistik und Geografie, Biblio­thekar und Leiter der Abteilung Vorarlbergensien an der Vorarlberger Landes­bibliothek seit 1998.

 

Bregenz wird rot

November 2020

Es war keine Premiere, als in Bregenz vor wenigen Wochen Michael Ritsch das Kunststück gelang, einen langgedienten „schwarzen“ Bürgermeister aus dem Amt zu verdrängen, denn schon 1970 verlor Karl Tizian (ÖVP) nach 20 Jahren als Bürgermeister sein Amt an den Sozialisten Fritz Mayer. Bereits kurz nach der Wahl waren damals in Bregenz die Schuldigen an der Wahlniederlage ausgemacht, nämlich nicht eine verfehlte Politik der städtischen ÖVP, sondern die Verkehrspolitik der Vorarlberger Landesregierung, allen voran Landeshauptmann Herbert Kessler und sein Verkehrslandesrat und der ehemalige Landeshauptmann Ulrich Ilg. Hatten sie doch über viele Jahre hinweg gegen den Willen der städtischen Partei­freunde eine Autobahn durch das Bregenzer Stadtgebiet geplant und damit der Opposition reichlich Angriffsflächen geboten.
Bereits 1957 wurde öffentlich darüber diskutiert, wie denn die projektierte Rheintalautobahn das Nadelöhr am Bodensee durchqueren könnte. Der stark ansteigende Verkehr und die dauernden Staus in Bregenz machten den Bau der Autobahn unumgänglich. Dabei wurden über viele Jahre hinweg drei Varianten mit zahlreichen Untervarianten diskutiert: Seetrasse, Bergtrasse und Tunnel­lösung.
Die Seetrasse hätte die Rheintalautobahn oberirdisch quer durch Bregenz und entlang dem Bodenseeufer geführt, wobei der damit verbundene Flächenverlust durch großzügige seeseitige Aufschüttungen ausgeglichen worden wäre. Beim Kloster Mehrerau hätte ein Autobahnknoten den Verkehr verteilt, was den damaligen Abt zu folgender Äußerung über die Trassenführung bewegte: „Vor die Wahl gestellt, ob die Autobahn seeseitig oder landseitig verlaufen soll, macht das kaum einen Unterschied, ob man aufgehängt oder erschossen wird. In beiden Fällen ist es ein Todesurteil.“ Meinrad Pichler analysiert die Präferenzen der Vorarlberger Landesregierung für die Seetrasse folgendermaßen: „Dem konservativen Bauern Ulrich Ilg, Landeshauptmann von 1945 bis 1964, und vielen seiner Parteikollegen aus dem Oberland bedeutete der Bodensee nie dasselbe wie den Bregenzerinnen und Bregenzern. Sie lehnten das Baden aus moralischen Gründen ab, …. , den Fremdenverkehr sahen sie skeptisch, da er neben gewünschtem Geld auch ungeliebte Sitten einbrachte. Und zu den Festspielen am See behielt Ilg stets ein distanziertes Verhältnis.“
Die zweite Variante wurde Bergtrasse genannt, da sie von Lochau kommend, hoch über dem Bodensee dem Hang entlang oberirdisch verlaufen wäre, dann mit einem kurzen Tunnel den Gebhardsberg durchstoßen hätte, um dann auf die heutige Linienführung zu treffen. In einem Gutachten wurde darauf hingewiesen, dass „diese Anlage von größter fremdenverkehrswerbender Wirkung wäre, da der sich hier bietende Blick auf den Bodensee und die Stadt Bregenz von einmaliger landschaftlicher Schönheit ist.“ Als Vorbild wurde immer wieder die Stadt Innsbruck genannt, die im Süden bergseitig umfahren wird.
Die letzte und lange als chancenlos gehandelte Tunnelvariante sah einen Pfänderbasistunnel vor, der von den Kritikern sowohl im Bau als auch in der Erhaltung als zu kostspielig eingestuft wurde.
Der Bregenzer Bürgermeister Karl Tizian verteidigte immer vehement das freie Bodenseeufer und stellte schon 1960 der Bregenzer Bevölkerung die Seetrasse und die Bergtrasse im Rahmen einer Volksbefragung zur Wahl. Bei einer sagenhaften Wahlbeteiligung von 94 Prozent sprachen sich 90 Prozent der Wahlberechtigten gegen die Seetrasse aus. Da die Landesregierung aber weiterhin die abgelehnte Variante favorisierte, begann in den folgenden Jahren ein Wettkampf von Verkehrsplanern, die im Auftrag von Stadt und Land Gutachten für und wider die jeweilige Variante verfassten.
Überraschend kam dann im Jahr 1966 das Einlenken der Stadt Bregenz, die sich plötzlich mit einer Unterflurtrasse anfreunden konnte. Dabei handelte es sich um eine entschärfte Variante der Seetrasse, bei der die Autobahn auf 1600 Metern, im Bereich der Bregenzer Innenstadt, unterirdisch verlaufen sollte. Schon damals wurde über den Meinungsumschwung bei Bürgermeister Tizian gerätselt: War es der innerparteiliche Druck, der Interessenskonflikt zwischen seinen Funktionen als Bürgermeister und Landtagspräsident, die größere Macht der Landesregierung gegenüber der Stadt oder gab etwa der Bund als Financier den Ausschlag? Trotz aller Proteste wurde rasch mit den Detailplanungen begonnen, die dann aber jäh von politischen Umwälzungen unterbrochen wurden.
Die Gemeinderatswahlen im April 1970 brachten den Umschwung und die Abwahl von Bürgermeister Tizian, der vor allem im Vorkloster massive Stimmenverluste hinnehmen musste. Der „rote“ Fritz Mayer wurde Bürgermeister der Landeshauptstadt und bekannte sich einen Tag nach der Wahl zu einer „kompromisslosen Abkehr von der Autobahn-Seetrasse“. Das Zusammenwirken von Fritz Mayer und der neugewählten Bundesregierung unter Bundeskanzler Bruno Kreisky konnte den Widerstand der Vorarlberger Landesregierung brechen und den Weg freimachen für den Pfändertunnel.

Quellen: Meinrad Pichler: Die Bregenzer Autobahnfrage. In: Karl Tizian, Bürgermeister von Bregenz 1950 bis 1970, Bregenz 2016, Seite 120-137.
Othmar Breuer: Autobahn Bregenz, eine Dokumentation zum Trassenproblem. Innsbruck 1970.

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