Angelika Schwarz

* 1975 in Feldkirch, ist Journalistin, studierte Germanistin und Anglistin, langjährige ORF-Redakteurin und -Moderatorin (Radio und Fernsehen). Angelika Schwarz arbeitet in der Unternehmenskommunikation der Landeskrankenhäuser Vorarlberg.

Das ABCDE beim kritisch kranken Kind

Oktober 2024

Krank zu sein bedeutet per se noch nicht, kritisch krank zu sein. Die Grenzen sind aber – gerade zu Beginn eines Krankheitsverlaufs und besonders bei Kindern – oft nicht eindeutig. Eltern sind zumeist die ersten, die erkennen und mitunter rasch entscheiden müssen, wann sie mit ihrem Kind in die Kinderarztpraxis oder gar ins Spital gehen müssen. Es gibt „Warnzeichen“, die auf ein kritisch krankes Kind hindeuten, mit deren Hilfe fällt die Entscheidungsfindung leichter, ob zusätzliche Hilfe organisiert werden muss oder abgewartet werden kann. „Nicht nur für medizinisch geschultes Fachpersonal, auch für Eltern ist es daher hilfreich, zumindest die wichtigsten dieser Warnzeichen zu erkennen“, betont DGKP Gerhard Aspalter, MA. Der Experte im Bereich Neonatologie- und Kinderintensivpflege arbeitet seit über 20 Jahren auf der Kinderintensivstation am LKH Feldkirch. Zudem gibt er sein Wissen und seine Erfahrungen laufend an seine Fachkolleginnen und Fachkollegen und an Eltern weiter. Seine „Kindernotfall-Trainings“ dienen vor allem der raschen Entscheidungshilfe, aber auch der Prävention. „Kinder sind nicht einfach kleine Erwachsene. Sie haben auch noch nicht so viele körperliche Reserven wie erwachsene Menschen, da kann es schneller zu kritischen Situationen kommen. Zudem können sie in ganz jungem Alter ihre Schmerzen oft nicht zuordnen oder ihren Allgemeinzustand zum Ausdruck bringen.“ 

Abklärung nach ABCDE-Schema 
Im klinischen Alltag haben die Experten die Aufgabe, so schnell wie möglich festzustellen, ob ein Kind gesund, krank oder kritisch krank ist, um die entsprechenden Schritte zu setzen. Bereits die medizinische Erstversorgung eines kritisch kranken Kindes entscheidet über dessen Prognose. Und ein strukturiertes Vorgehen hilft auch den Profis dabei, sich rasch einen Überblick zu verschaffen, es erleichtert die Diagnosefindung und rettet mitunter Leben. Dabei können auch ein wiederholtes Beobachten und eine immer wieder neue Verlaufsbeurteilung notwendig werden. Seit vielen Jahrzehnten orientieren sich die Experten in der Kinder-Erstbegutachtung (ob krank oder verletzt) deshalb an einem international standardisierten Ersteinschätzungssystem, das an den ersten fünf Buchstaben des Alphabets angelegt ist: nämlich am „ABCDE-Schema“. Es ist eine Leitlinie, an der man strukturiert und rasch erkennt, welche Maßnahmen zu setzen sind. Es gibt zudem die Reihenfolge vor, die vor allem in hektischen und stressigen Situationen eine geordnete Beurteilung gewährleistet. „Besonders auch während der Nacht, wenn wir beispielsweise von einer Minute auf die andere vom Ruhemodus heraus hellwach sein müssen, funktionieren die Abläufe mit ABCDE“, erläutert Gerhard Aspalter aus dem Blickwinkel der professionellen Kinder- und Jugendlichen-Pflege heraus. 
Damit das System tatsächlich „wie im Schlaf“ angewendet werden kann, ist allerdings Training nötig. Regelmäßige Skills- und Simulationstrainings garantieren Qualität: „Auch wenn man einmal gelernt hat, auf was geachtet werden muss und die Alarmzeichen kennt, sie sogar schon öfter gesehen hat, schadet es nicht, den Ablauf wiederholt zu trainieren. Es erleichtert auch die interne Zusammenarbeit zwischen den Berufsgruppen im Alltag. Die einzelnen Schritte verlaufen damit einfach noch reibungsloser.“ Aber auch für Laien, insbesondere Eltern und Berufsgruppen, die mit Kindern arbeiten, empfiehlt es sich, das ABCDE-Schema in adaptierter Form zu lernen und immer wieder einmal zu trainieren. Mitunter müssen die Fachteams das ABCDE-Schema im Sinne einer Vorgeschichte mit den Eltern gemeinsam erheben, um noch feinere Nuancen zur Diagnosefindung herauszuarbeiten. Auch kann die Entscheidung fallen, ein Kind (etwa nach einem Sturz) stationär aufzunehmen, um es im Verlauf genauer zu überwachen oder beispielsweise mittels einer Computertomografie genauer zu untersuchen. 

Das ABCDE kann Leben retten
Das Untersuchungsschema nach ABCDE ist zwar kein allgemein gültiges „Diagnose-Findungsgerät“, es kann aber in möglichst kurzer Zeit zu einem Gesamtbild verhelfen – und sogar Leben retten: „Wir hatten einmal einen jungen Patienten zugewiesen bekommen, der unter einer bereits diagnostizierten Angina und zunehmendem Erbrechen litt. Aufgrund des ungewöhnlichen Allgemeinzustandes des Kindes entschied das medizinische Personal, den Buben im Verlauf erneut zu untersuchen, um einen möglichen Fixierungsfehler auszuschließen. Trotz einer bestehenden, korrekten Diagnose wurde also noch einmal ein ABCDE-Check durchgeführt. Wir machen das übrigens bei jeder neuen, beobachtbaren Veränderung. Dabei bemerkten die Kollegen, dass das Kind zusätzlich zur Angina-Erkrankung auch noch einen Darmverschluss erlitten hatte – eine lebensbedrohliche Situation, in der sehr schnell gehandelt werden muss“, nennt Gerhard Aspalter nur ein Beispiel von vielen. „Es wäre hier fatal gewesen, hätte man bei A oder C aufgehört zu untersuchen und nicht bei E den aufgeblähten Bauch gesehen! Also Respekt an das Team, das den Check konsequent durchgeführt hat und sich hier nicht in trügerischer Sicherheit einer einmal gestellten Diagnose gewiegt hat“, lobt der Fachmann.

Das „ABCDE-Schema“ 

Reaktion?
Eindruck nach Kontaktaufnahme, Verhalten – Bewusstseinsniveau
Warnhinweis: Ungewöhnliches oder auffälliges Verhalten, schläfrig, bewusstlos – nicht aufzuwecken?
A für Atemwege
Atemwege werden durch Sehen, Hören, Fühlen überprüft und gegebenenfalls stabilisiert und/oder geöffnet. 
Warnhinweis: Die Einatmung macht Geräusche?
B für Breathing (Atmung)
Zur Beurteilung der Atmung wird die Atemfrequenz bestimmt, die Atemarbeit bewertet, das Atemvolumen eingeschätzt, Sauerstoffsättigung/Hautfarbe (Zyanose?) bestimmt, weiters die Lunge abgehört. 
Warnhinweis: Der Brustkorb hebt sich zu wenig oder zu viel? Und wie oft? Angestrengtes Atemmuster? Ist die Haut bereits bläulich verfärbt? 
C für Circulation (Kreislauf)
Für den Laien ist es schwierig, den Kreislauf zu beurteilen. Es werden unter anderem Herzfrequenz, Blutdruck und Durchblutung erhoben sowie die Pulsqualität eingeschätzt. 
Warnhinweis: „Rekapillarisierungszeit“: Dauert es länger als drei Sekunden, bis nach einem „Fingerdruck“ die Haut am Brustbein wieder den Ton der umliegenden Hautfarbe annimmt? Fällt ein neu aufgetretenes, marmoriertes Hautbild auf? Sind die Unterarme über das Handgelenk hinauf kühl? etc.
D für Disability (Bewusstseinsprüfung)
Nach der Beurteilung des Bewusstseins, der Atemwege, der Atmung und des Kreislaufs wird die neurologische Funktion bewertet. 
Warnhinweis: Lässt sich das Kind ungewöhnlich schwer bzw. nicht aufwecken? Verhält es sich komplett anders als sonst/sehr unüblich?
E für Exposure / Environment (Entkleidung, Umgebung)
Das Kind von Kopf bis Fuß ansehen: Nach Entkleiden des Kindes (Auskühlung vermeiden) wird der gesamte Körper untersucht. 
Warnhinweis: Sind ungewöhnliche Verfärbungen, ungewöhnlich rote Punkte, Ausschläge etc. bemerkbar? 

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