Kurt Bereuter

56, studierte BWL, Philosophie und Politikwissenschaften. Organisationsberater und -entwickler, freier Journalist und Moderator, betreibt in Alberschwende das Vorholz-Institut für praktische Philosophie.

Der liebe Doktor und das Vieh

September 2023

„In Vorarlberg droht ein massiver Tierärztemangel“, war sich die FPÖ Vorarlberg sicher und brachte im Mai eine parlamentarische Anfrage im Landtag an den zuständigen Landesrat Christian Gantner ein.
Und was meint die Tierärztekammer, haben wir bald zu wenig Tierärzte?

Dr. Robert Griss, Tierarzt in Rankweil mit eigener Pferdepraxis, ist Tierärztekammerpräsident von Vorarlberg. Er ist sich sicher: „Der Befund, dass ein Tierärztemangel drohe, ist richtig und auch nicht neu, aber durchaus alarmierend.“ Neben dem Tierwohl gehe es auch um die Gesundheit der Menschen als Konsumenten. Denn neben der medizinischen Leistung sind Tierärzte auch als Fleischbeschauer gefordert und damit ein wichtiger Teil für die Lebensmittelsicherheit. Es gebe also dringenden Handlungsbedarf.

„Kein Mangel bei Tierärzten?“
Für Landesrat Christian Gantner und die Abteilung für Veterinärangelegenheiten im Amt der Vorarlberger Landesregierung zeichnet sich bei Kleintierpraktikern kein Mangel ab, wie in der Anfragebeantwortung zu lesen ist. Was sich unter anderem damit erkläre, dass die Studierenden der Veterinärmedizin zu 85 Prozent weiblich seien und eher im Kleintierbereich tätig werden.  Und im Bereich der Landwirtschaft? Bei dem, was manche Kleintierhalter für Hund, Katze und Co ausgeben, schütteln andere den Kopf. So ist dieser Geschäftsbereich auch der lukrativere. Landwirtschaftsbetriebe sind kommerzielle Unternehmen und wenn Nutztiere keinen großen finanziellen Wert hätten, sei die Investitionsbereitschaft in tierärztliche Leistungen verständlicherweise gering. Obwohl für tierärztliche Leistungen in der Landwirtschaft nur ein „Fliegenschiss“ von Förderungen fließe, kritisiert der Tierärztekammerpräsident auch die Förderpolitik in der Landwirtschaft. Die folge, wie andernorts auch, einem Gießkannenprinzip und es werde viel zu wenig auf Tierwohl und Tiergesundheit abgestellt. Auch bei den „Skandalhöfen“ fließen die Subventionen und Tierärzte würden von diesen kaum gerufen. Diese Höfe wären über die Tierkadaverentsorgung des Landes leicht zu identifizieren, denn dort sind Tierwohl und Tiergesundheit gefährdet und Hilfe für Tiere und Landwirte nötig. Tun müsste man es halt. Dass die Amtstierärzte in Vorarl­berg immer noch der Abteilung „Landwirtschaft“ unterstellt sind, ist für Robert Griss unverständlich. Sie seien die Exekutive, die „Polizei“ der Tierärzte und müssten aus Gründen der Lebensmittelsicherheit der Gesundheitsabteilung zugeordnet werden, andere Bundesländer hätten das längst geändert, um Unabhängigkeit (von der Landwirtschaft) zu gewährleisten. 

„Es wird weniger Tierärzte geben und weniger brauchen“ – Sicher?
Laut Anfragebeantwortung werden heute ehemalige tierärztliche Leistungen von den Landwirten im Rahmen des TGD (Tiergesundheitsdienstes) selbst geleistet: von der Trächtigkeitsuntersuchung bis hin zur Medikamentenanwendung im Rahmen des TGD. LR Gantner: „Es wird also somit in der Zukunft nicht nur weniger Tierärzte geben, sondern auch weniger Tierärzte brauchen.“  Der Tierärztekammerpräsident kann dem wenig bis nichts abgewinnen. Schließlich befähige ja eine veterinärmedizinische Ausbildung erst die kompetente Diagnosestellung und Therapieeinleitung bei einem kranken Tier. Tatsächlich ist die Liste jener Medikamente, die in der Landwirtschaft ohne tierärztliche Befundung angewendet werden dürfen, erschreckend. Bis zum Antibiotika-Einsatz, wie sie auch in der Humanmedizin angewandt werden, wo ja immer mehr Krankheitserreger-Resistenzen die Behandlung erschweren. Dass dabei der Antibiotika-Einsatz in der Landwirtschaft eine große Rolle spielt, scheint klar. Die Einhaltung von Wartefristen für die Fleischgewinnung kann so auch kaum überprüft werden, zumal es immer schwieriger werde, die Zahl an Tierärzten für die Fleischbeschau zu gewinnen, was der Verfügbarkeit, aber auch der schlechten Bezahlung geschuldet sei, für die Lebensmittelsicherheit aber von höchster Bedeutung ist. Hier müsse dringend nachgebessert werden, sonst müsse diese Leistung von Amtstierärzten des Landes erbracht werden, von denen es laut Robert Griss ausreichend gebe. 22 behandelnden Tierärzten für Nutztiere würden in Vorarlberg 16 Amtstierärzte gegenüberstehen. 
Dass es für die Vorarlberger Landwirtschaft schon in kurzer Zeit einen Tierärztemangel geben werde, um alle Regionen abzudecken, sei den oft langen Wegen zu den Höfen oder Alpen geschuldet. Denn im Unterschied zum Kleintier, das zum Tierarzt gebracht wird, muss in der Landwirtschaft der Tierarzt zum Tier, was viel Zeit in Anspruch nehme und auch nicht ausreichend abgegolten werde. Hier könnten tatsächlich Landes- und Bundesmittel Verwendung finden, um den Tierärzten einen gerechten Lohn zu finanzieren und die Landwirte vor allzu hohen Kosten zu schützen, was wiederum den Tieren und damit dem Tierwohl, dem Tierschutz und der Lebensmittelsicherheit zugutekäme. Und überdies für die regionale kleinbäuerliche Struktur in Bergregionen überlebenswichtig ist.
Ob es also tatsächlich einen Tierärztemangel gibt oder geben wird, lässt sich nicht so einfach beantworten, das hängt von den Anforderungen an die tierärztliche Versorgung im Land ab – zum Wohl von Mensch und Tier. Bei Kleintierärzten dürfte es den Mangel eher nicht geben, bei den Nutztieren im landwirtschaftlichen Bereich schon. Erstens wurde bisher schon Tierleid übersehen oder zu wenig streng kontrolliert und sanktioniert, zum zweiten braucht es für die Lebensmittelsicherheit dringend Tierärzte in der Behandlung und bei der Fleischbeschau. Und diese müssen sich mit dem weniger lukrativen Bereich der Nutztiere beschäftigen, damit nicht noch mehr tierärztliche Tätigkeiten in die Hände von nicht veterinärmedizinisch ausgebildeten Landwirtinnen übergehen (müssen) oder unbehandelt bleiben (müssen). Hier ist das Land tatsächlich gefordert, im Sinne des Tierwohls und der Lebensmittelsicherheit. Denn richtig heißt es ja: „Der Doktor und das liebe Vieh.“ Und das „liebe Vieh“ hat die verlässliche tierärztliche Versorgung verdient – über den Tod hinaus – zur Sicherheit der Konsumenten.

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