Wolfgang Weber

Er etablierte 2003 die Grundlagenlehr­veranstaltung „Politische Bildung“ für Lehramtsstudierende in Geschichte und Sozialkunde an der Universität Innsbruck. Neben der Lehre ist seine Fachexpertise als demokratiepolitischer Bildner auch in Vermittlung und Forschung gefragt, etwa bei Ausstellungsprojekten mit Klassen der Mittelschule Lauterach (2006) und des Bundesgymnasiums Lustenau (2008) und gegenwärtig als Fachexperte im EU-finanzierten Forschungs- und Vermittlungsprojekt „World Class Teacher“ mit Standorten in England, Österreich, Polen und der Slowakei.

Die vergessenen KZ-Überlebenden

Mai 2021

Der Vorarlberger Landtag gedenkt einer NS-Opfergruppe

Seit 1998 wird der 5. Mai vom österreichischen Parlament jährlich als nationaler Gedenktag begangen. Denn am 5. Mai 1945 wurde das KZ Mauthausen von US-amerikanischen Truppen befreit. Bis dahin waren dort rund 100.000 NS-Gegner ermordet worden, unter ihnen Vorarlberger wie der Gendarmeriebeamte Hugo Lunardon.

Ermordete und überlebende NS-Gegner

Lunardon wurde gemeinsam mit dem katholischen Priester Georg Schelling und dem aus Hohenems gebürtigen Alfons Kothbauer im Mai 1938 ins KZ Dachau überstellt. Im September 1939 wurden er und Kothbauer ins KZ Mauthausen verlegt, Schelling ins KZ Buchenwald. Während Lunardon im März 1940 an den Folgen der KZ-Zwangsarbeit starb, überlebten Kothbauer und Schelling sieben Jahre KZ-Haft und kehrten im Frühling 1945 nach Vorarlberg zurück. Im Auftrag seines Bischofs schrieb Schelling im Juni 1945 eine erste Biografie über Lunardon. Sie war die Basis für jene historischen Darstellungen, welche ab den 1980er Jahren erschienen und in der Folge zu öffentlichen Erinnerungsorten an Lunardon in Bregenz und Dornbirn führten.
Seit 2010 nimmt der Vorarlberger Landtag alle fünf Jahre mit einer eigenen Gedenkveranstaltung am 5. Mai teil. Für 2020 hatte sich die Präsidiale zu einem bemerkenswerten Schritt entschlossen: Es sollte nicht der toten, sondern der überlebenden Opfer von NS-Verfolgung gedacht werden. Sie standen seit 75 Jahren im Schatten der staatlichen Erinnerung an den NS-Terror. Corona machte eine Präsenzveranstaltung 2020 jedoch unmöglich. Sie wurde daher am 5. Mai 2021 digital nachgeholt.

Digitales Erinnern an KZ-Überlebende

Aus den rund fünf Dutzend aus Vorarlberg bekannten KZ-Überlebenden wurden je zwei Männer und zwei Frauen ausgewählt, deren Biografien symbolisch für jene NS-Gegner stehen, welche NS-Gefängnis- und KZ-Haft überlebten. Die Leitfrage dieses digitalen Gedenkens war jene nach der Geringschätzung oder Wertschätzung von KZ-Überlebenden in der Vorarlberger Nachkriegsgesellschaft. Die Antwort darauf ist unter https://
youtu.be/Zh-k0s29ULo abrufbar.
Wie schwer sich manche mit Wertschätzung für KZ-Überlebende in der Gegenwart tun, zeigt eine Rezension über eine wissenschaftliche Biografie über Georg Schelling aus dem Jahr 2019. In dieser wurde Schellings Überleben von sieben Jahren KZ-Haft als mangelnder Widerstand interpretiert.

Keine Heldenverehrung

Dass eine retrospektive Einschätzung des Lebens von KZ-Überlebenden ambivalent sein kann, zeigt unter anderem die Biografie von Alfons Kothbauer. In den 1930er Jahren verdiente er sich bei illegalen Propagandaaktionen der NSDAP ein Handgeld. Dieses besserte er sich als V-Mann des österreichischen Verfassungsschutzes auf. Seine eigenen SS-Kameraden entführten ihn deswegen nach NS-Deutschland, wo er erstmals in ein Straflager kam. Er flüchtete zurück nach Österreich. Nach dessen „Anschluss“ an NS-Deutschland wurde er ins KZ Dachau überstellt.
Nach der Befreiung im Frühling 1945 organisierte Alfons Kothbauer im Mai 1945 als Mitglied des Internationalen Gefangenenkomitees die Heimkehr der österreichischen Gefangenen aus dem KZ Dachau. Am 7. Juni 1945 gründete er gemeinsam mit anderen politisch Verfolgten die sog. Österreichisch demokratische Widerstandsbewegung Land Vorarlberg und wurde deren erster Vorsitzender. (siehe Thema Vorarlberg 60/2020 S. 32-33).
Im Sommer 1946 kam Kothbauer in Ausübung einer dienstlichen Funktion als Mitglied der Widerstandsbewegung erstmals mit dem Gesetz in Konflikt. Er wurde in Schoppernau des Diebstahls an einem britischen Banker überführt. 1950 zog er nach Salzburg. Dort gründete er eine Werkzeugfabrik. 1954 wurde er wegen Münzfälschung, fahrlässiger Krida und mangelhafter Buchführung seiner Firma zu 18 Monaten schwerem Kerker verurteilt. Mit dem Falschgeld hatte er seine Gläubiger bezahlen wollen.

Vergessenes Erinnern

Kothbauer verlor seinen Status als nach dem Opferfürsorgegesetz anerkannter NS-Verfolgter. Die ihm für seine KZ-Haft zugesprochene finanzielle Entschädigung wurde zur Abdeckung seiner Schulden verwendet. Als er 1976 um eine Wiederausstellung seines Opferfürsorgeausweises ansuchte, wurde das abgelehnt. Denn er war im selben Jahr erneut wegen fahrlässiger Krida verurteilt worden. Am 25. Mai 1992 starb er in Salzburg.
Als KZ-Überlebender wurde Ing. Alfons Kothbauer bis heute nicht öffentlich gewürdigt. Die Zerschlagung der illegalen NS-Strukturen in Vorarlberg 1933/34 wäre ohne seine Dienste für den Staatsschutz nicht möglich gewesen. Ausgezeichnet wurden dafür andere. Als erster Obmann der Widerstandsbewegung war er nach 1945 wesentlich am Wiederaufbau Vorarl­bergs beteiligt. Die ihm 1934 aberkannte Landesbürgerschaft erhielt er trotzdem erst 1968 wieder. Solche Geringschätzung wird mancherorts mit seinen drei Straftaten begründet. Sie zeigen jedoch lediglich auf, was menschliches Leben ist: vielfältig und vielgestaltig.

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