Thomas Feurstein

* 1964 in Bregenz, Studium der Germanistik und Geografie, Biblio­thekar und Leiter der Abteilung Vorarlbergensien an der Vorarlberger Landes­bibliothek seit 1998.

 

Lichter zählen für die Nacht

September 2022

Es ist ein gutes Gefühl als Citizen Scientist, auf Deutsch Bürgerwissenschaftler, durch die Nacht zu streifen, um für wissenschaftliche Zwecke Daten zu sammeln. Im konkreten Fall geht es darum, bei Dunkelheit mithilfe einer frei verfügbaren App (Nachtlicht-Bühne) künstliche Lichtquellen entlang von Straßen zu zählen und zu kartieren, vom beleuchteten Fenster und Werbeschild bis zur Straßenlaterne und Ampelanlage. Die App wurde am Helmholtz-Zentrum – Deutsches GeoForschungzentrum in Potsdam entwickelt, wo auf Satellitenaufnahmen der nächtlichen Erde eine stetige Zunahme der Lichtemissionen verzeichnet wurde. Bei der konkreten Erhebung der Verursacher tappen die Forscherinnen und Forscher aber laut App-Betreiber noch weitgehend im Dunkeln: „Verlässliche Daten zu den Ursachen, das heißt den öffentlichen, gewerblichen und privaten Lichtquellen am Boden, fehlen aber noch weitgehend und lassen sich auch nicht per Satellit ermitteln.“ Genau dieser Zusammenhang soll durch eine genaue Zählung der Lichtquellen hergestellt werden. Anhand der erhobenen Daten können dann mit Blick auf die Anzahl und Art von Lichtpunkten Raumnutzungstypen wie Innenstädte, Wohngebiete oder ländliche Gegenden unterschieden werden. Das Ziel der App-Betreiber ist es, die Bevölkerung zu aktivieren, also zu zählen, zu kartieren und sie damit für künstliche Beleuchtung und deren Nebeneffekte zu sensibilisieren.
Im Endeffekt haben alle diese Aktivitäten ein einziges Ziel: Licht aus! Und zwar nicht pauschal gefordert, denn Kunstlicht verlängert den Tag, ist eine Grundlage moderner Ökonomie, und trägt sehr wesentlich zur Sicherheit in vielen Lebensbereichen bei. Konsequent „Licht aus!“ sollte allerdings dort gelten, wo Lichtquellen in der Nacht sinnlos brennen. Paradebeispiel dafür sind permanent beleuchtete Schaufenster in Einkaufsstraßen. Um dieses Ziel zu erreichen, gilt es allerdings den Trend zu immer mehr Lichtquellen zu durchbrechen. Offensichtlichstes Beispiel einer momentanen Entwicklung ist die rasche Vermehrung digitaler Displays vor allem in Innenstädten, die Tag und Nacht Licht abstrahlen und zudem noch jede Menge Energie verbrauchen. In Deutschland fressen diese leuchtenden Werbeflächen bereits den Strombedarf von 40.000 Haushalten – Tendenz stark steigend. Sie gelten allerdings in der Branche als effektivstes Mittel der Außenwerbung, da sie zielgerichtet und zeitlich flexibel Kundinnen und Kunden erreichen können.
Ein Zuviel an nächtlichem Licht hat gravierende Folgen für Säugetiere, Amphibien, Vögel, Fische bis hin zu den Insekten. Letztere sind davon besonders betroffen, da der Großteil von ihnen nacht- oder dämmerungsaktiv ist. Sie reagieren äußerst sensibel auf Licht, orientieren sich mit Hilfe des Himmellichts und des Mondes und nehmen auch viel mehr wahr als wir Menschen, da sie auch in dem für uns nicht sichtbaren Ultraviolett- und Infrarotbereich sehen können. Obwohl die Ursachen noch nicht vollständig erforscht sind, ist es offensichtlich, dass sie von künstlichen Lichtquellen angezogen werden. Einmal im Lichtkegel gefangen, schwirren die Tiere dort so lange herum, bis sie vor Erschöpfung sterben oder im Beleuchtungskörper verbrennen. Zudem haben auch Fressfeinde bei gut ausgeleuchteter Nacht ein leichtes Spiel.
Beim Menschen ist es vor allem die Störung des circadianen (ungefähr einen Tag dauernden) Rhythmus’, der „inneren Uhr“, welche die tageszeitenabhängige Hormonproduktion steuert. Die Taktgeber für den Rhythmus sind Helligkeitsniveaus zu Tag- oder Nachtzeiten. Obwohl es noch vieles zu erforschen gilt, besteht der begründete Verdacht, dass bei einem gestörten Rhythmus das Risiko für Krebs, Diabetes, Übergewicht und Herzinfarkt steigt.
Auch in Vorarlberg gibt es Ansätze, auf das Problem der Lichtverschmutzung aufmerksam zu machen. Bereits 2009 führte Richard Werner, der Verfasser des Standardwerks zum Klima in Vorarlberg, in Dornbirn eine Messung durch, um eine Datenbasis für spätere Vergleiche zu schaffen.
2020 erschien dann beim Umweltbüro Grabher der großartige Bildband „Dunkel im Tal? Rheintal und Bodensee bei Nacht“. Anhand vieler Nachtaufnahmen von Talschaften, Städten, Brücken, Tankstellen wird gezeigt, wie vielfältig und zahlreich die Lichtquellen auch in Vorarlberg sind. Das Buch endet mit einem Plädoyer für die Dunkelheit: „Anderswo wurden ‚Lichtschutzgebiete‘ ausgewiesen, beispielsweise das Biosphärenreservat Rhön – ‚Sternenpark Rhön‘ – oder das Biosphärenreservat La Palma auf den Kanarischen Inseln. Wir sollten es uns zur Aufgabe zu machen, Landschaften mit wenig Kunstlicht als solche zu bewahren. Und sei es nur deshalb, damit wir den Sternenhimmel bewundern können.“

Citizen Science
Mithilfe von Citizen Science werden wissenschaftliche Projekte unter Mithilfe oder komplett von interessierten Amateuren durchgeführt. Die Citizen Scientists formulieren dabei Forschungsfragen, melden Beobachtungen, führen Messungen durch, werten Daten aus und/oder verfassen Publikationen. Die Einhaltung wissenschaftlicher Kriterien ist Voraussetzung. Dies regt nicht nur neuartige Projekte an, sondern erleichtert auch den Dialog zwischen Wissenschaft und Gesellschaft.
Da die Vorarlberger Landesbibliothek bereits mit Hilfe von Crowdsourcing Fotos in einer digitalen Landkarte positionieren lässt, war es naheliegend die Citizen Science Konferenz 2022 in Dornbirn zu besuchen, um unterschiedlichste Formen der Bürgerbeteiligung kennen zu lernen. Auf Einladung der inatura, die neben „Österreich forscht“ sowie der Universität für Bodenkultur in Wien als Gastgeberin fungierte, kamen über 100 Besucher­innen und Besucher nach Dornbirn, darunter Meteo­rologen, Imker, Biologen, Bibliothekare, Archivare, Geologen…alle beseelt von der Idee, mit Hilfe von Wissenschaft und Forschung den vielen Krisen unserer Tage die Stirn zu bieten.

Kommentare

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Sehr geehrter Herr THOMAS FEURSTEIN, egal wo und zu welchem Thema, Ihre Wortwahl ist mit Abstand extrem herausragend und trifft aus meiner jedesmal den Zahn der Zeit. Beim lesen Ihrer Berichte bekomme ich in schöner Regelmäßigkeit eine Gänsehaut vom Allerfeinsten. Danke für Ihre Themen. Sie laden mich immer dazu ein, mir ein Stückweit mehr gedanken darüber zu machen, als ich es bisher tat. Ich wünsche Ihnen alles Gute, Gesundheit und viele schöne Momente und Erlebnisse die solche Augenblicke und Texte Ihnen noch lange ermöglichen. Dankeschön.