Manfred Hämmerle

Direktor der BHAK und BHAS Bregenz und seit 30 Jahren in der Ausbildung für Lehr­personen, unter anderem an der WU Wien, tätig

„Turbodigitalisierung“ durch Covid-19 an Vorarlbergs Schulen

Mai 2020

Jahrelang war es ein relativ harter Kampf, den Einsatz digitaler Daten und der dazugehörigen Medien (Digitalisierung) an den Schulen voranzutreiben. Man darf wohl behaupten, dass viele Menschen grundsätzlich eine kritische Haltung gegenüber Veränderungen haben, und es gab und gibt auch berechtigte Einwände. Wissenschaftliche Befunde wie beispielsweise die Studie von John Hattie oder Einwände von Gehirnforschern wie Manfred Spitzer relativieren den Nutzen und zeigen auch die problematischen Seiten der Entwicklung zu mehr Digitalem in der Schule auf. Manche sahen sich in ihrer kritischen Haltung auch durch die Datenschutzgrundverordnung aus dem Jahre 2018 gestärkt. 
Am 12. März 2020 sagte Minister Heinz Faßmann den folgenreichen Satz: „Die Schulen werden geschlossen, der Unterricht geht weiter.“ In der Folge wurden an den Schulen eilig Konferenzen abgehalten, Möglichkeiten vorgestellt, wie die Vorgabe des Ministers erfüllt werden kann und die Umsetzung sofort angegangen. Seitdem ist eine Art „Turbodigitalisierung“ zu beobachten. Jetzt lohnt es sich, dass sich Pioniere in den Schulen, aber auch Bund, Land, Gemeinden und die Wirtschaftskammer jahrelang für mehr Digitalisierung eingesetzt haben. Eine Umsetzung der Vorgabe des Ministers ohne diese Vorarbeiten wäre undenkbar.
In den Schulen wurden und werden Online-Seminare zur Nutzung digitaler Plattformen abgehalten. Noch mehr ist ein informeller Austausch unter den Lehrpersonen zu beobachten. Es ist viel Bewegung zu sehen. Es sei auch angemerkt, dass wir alle davon profitieren, dass viele Lehrpersonen entsprechend ausgerüstet sind.
Jetzt erkennen viele Schüler und Lehrpersonen die Möglichkeiten, die ein digitales Endgerät bietet. Man kann damit lesen, schreiben, hören, sehen, rechnen, recherchieren, kommunizieren, Daten austauschen, präsentieren, entwickeln und kollaborieren. Konkret begannen viele Lehrpersonen mittels einer digitalen Plattform wie Office 365 von Microsoft oder Moodle, den Schülern Arbeitsaufträge zu erteilen, diese digital einzufordern und zu korrigieren. Man entsprach damit der Vorgabe des Ministers, den „Stoff zu vertiefen“. Bald wurde aber begonnen Videos zu produzieren und – beispielsweise mittels „Teams“ von Office 365 – Unterrichtsstunden abzuhalten. Viele Schüler nützen aber auch Videoplattformen wie YouTube oder die Angebote des Ministeriums, um zu lernen und sich insbesondere auf die Matura vorzubereiten. 
Neben diesen – am Inhalt orientierten – Aufgaben ist es aber auch äußerst wichtig, mit den Schülern in Zeiten wie diesen, persönlich Kontakt zu halten, sodass sie ihre Sorgen, Probleme und Ängste mitteilen können. Wir konnten auch feststellen, dass man sich nicht darauf verlassen kann, dass alle Schüler über die entsprechende Infrastruktur verfügen, wenn beispielsweise mehrere Personen eines Haushalts „Home-Office“ betreiben. Auch hier haben viele Schulen sehr schnell reagiert und den Schülern entsprechende Geräte zur Verfügung gestellt. Da wir eine sehr lange Phase des „Distance Learning“ erleben, sind nun auch Initiativen der Politik zu beobachten. Diese sind äußerst wichtig, weil sonst genau jene, deren Startchancen sowieso schon schlechter sind, „unter die Räder kommen“. Die Klassenvorstände sind bei der Erfassung der Mängel außerordentlich wichtig, weil sie am ehesten das Vertrauen der Schüler haben. 
Ralf Lankau hat in seinem Buch „Kein Mensch lernt digital“ eindrücklich auf die Bedeutung der Beziehung zu den Schülern hingewiesen und argumentiert, dass Lernprogramme – trotz aller Chancen – den Präsenzunterricht nie vollständig ersetzen können, da Lernen auch ein emotionaler Prozess ist. Rückmeldungen von Schülern und Lehrpersonen zeigen eindeutig, dass sich die weit überwiegende Mehrheit nach dem klassischen Unterricht zurücksehnt. Dies dokumentiert eine Umfrage, die wir an unserer Schule bei den Lehrpersonen durchgeführt haben. Aber auch zahlreiche Schüler fragen, wann sie wieder in die Schule dürfen. Bei den Eltern dürfte das nicht anders sein. 
Was bleibt für die Zukunft? Es ist zu beobachten, dass, zumindest an meiner Schule, die Zahl der Lehrpersonen, die die Chancen der Digitalisierung sehen, massiv gestiegen ist. Eltern konnten beobachten, wie sich Lehrpersonen bemühen oder nicht bemühen. Wir waren selten so transparent. Die Ergebnisse der Matura, Leistungsfeststellungen im kommenden Schuljahr und andere Erfahrungen werden zeigen, ob wir bei der Vertiefung von Gelerntem und bei der Vermittlung von Neuem erfolgreich waren.

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