![Foto: Sammlung Air Color/Vorarlberger Landesbibliothek](https://themavorarlberg.at/sites/default/files/styles/large/public/25/07/07/411127-001.jpg?itok=dUjVRuyB)
Von Malibu und Alberschwende
Der Blick von oben auf die Welt hat bis heute nicht an Faszination verloren. Sind es heute Drohnenaufnahmen, die in fast jedem Krimi oder in vielen Sportübertragungen vorkommen, so waren es vor 40 Jahren die Luftbilder von Einfamilienhäusern, mit denen sich ein gutes Geschäft machen ließ. Heute sind diese online verfügbaren Fotos der Vorarlberger Landesbibliothek informative Quellen der Siedlungsgeschichte, die Entwicklungen von Landschaft und Architektur erlebbar machen.
Was werden wohl der mondäne Küstenort in Kalifornien, wo die Reichen und Schönen Hollywoods residieren, und der beschauliche kleine Ort oberhalb des Rheintals gemeinsam haben? Beide wurden vor vielen Jahren von Hubschraubern und Kleinflugzeugen aus fotografiert und in beiden Fällen war es zunächst fraglich, ob die Fotos ungehindert veröffentlicht werden dürfen.
Die Fotos von Alberschwende und vielen anderen Vorarlberger Gemeinden sind Teil einer Sammlung der Landesbibliothek, die vor der Veröffentlichung einer rechtlichen Prüfung unterzogen wurde. Wobei die juristische Situation in Vorarlberg weitaus weniger spektakulär war als jene in den USA. Denn als dort 2003 ein Fotograf 12.000 Fotos veröffentlichte, die die Erosion an der Küste Malibus dokumentieren sollten, entbrannte heftiger Protest. Denn keine Geringere als Barbara Streisand verlangte wütend die Verbreitung der Fotos zu stoppen, da ihr luxuriöses Anwesen darauf zu sehen war. Allerdings wurde die Öffentlichkeit erst durch ihre Klage auf das bis dahin völlig unbekannte Foto aufmerksam, so dass es im Internet viral ging. Letztendlich blieb ihre Schadenersatzklage über 50 Millionen Dollar erfolglos und die Fotos mussten nicht zurückgezogen werden.
Auf diesem Konflikt beruhend entstand der juristische Fachbegriff „Streisand-Effekt“, der die Tatsache benennt, dass durch den Versuch eine unliebsame Information zu unterdrücken, genau das Gegenteil erreicht wird, weil er die öffentliche Aufmerksamkeit auf ebendiese Information lenkt und so ihre allgemeine Verbreitung fördert. Bei der juristischen Prüfung der Vorarlberger Fotos kam eben dieser Streisand-Effekt zur Sprache, der damals auch international zu einer gründlichen Klärung Luftbilder betreffende, juristischer Fragen geführt hatte. Auf beiden Seiten des Atlantiks kam man letztlich zum Schluss, dass Fotos, die aus dem „öffentlichen Luftraum“ gemacht werden, die Rechte der Eigentümer nicht verletzen. Auf der Grundlage dieses juristischen Gutachtens war es somit für die Landesbibliothek ein Leichtes, für ihre Fotos eine weitgehend offene Nutzungslizenz zu vergeben, da durch die Veröffentlichung keine Persönlichkeitsrechte tangiert werden und nach gängiger Rechtsprechung die „Freiheit des Straßenbildes“ solche Aufnahmen erlaubt. So können als Resultat der Abklärung die Aufnahmen – unter der Bedingung einer korrekten Namensnennung – bedenkenlos für verschiedenste Zwecke verwendet werden.
Bei den Fotos der Vorarlberger Landesbibliothek handelt es sich um ein umfangreiches Firmenarchiv, das vor einigen Jahren von ihr erworben werden konnte. Zwischen 1978 und 1992 bot die Firma „Air Color“ mit Sitz in Bregenz eine besondere Dienstleistung an. Sie produzierte massenhaft Luftbilder von privaten Gebäuden, Gewerbebetrieben und landwirtschaftlichen Objekten. Einige Tage nach der Befliegung kreuzte ein Vertreter bei den Eigentümern auf und bot Abzüge der Fotos zum Kauf an. Je nach Größe und gewählter Rahmung konnte ein solches Bild mehrere tausend Schilling kosten. Offensichtlich war ein Luftbild des eigenen Hauses damals ein begehrenswertes Objekt, das man sich einiges kosten ließ. Der Beweis, dass dieses Geschäftsmodell funktioniert haben muss, findet sich noch heute gerahmt in vielen Wohnzimmern oder Fluren Vorarlberger Häuser.
Im Laufe der Jahre entstand so ein Firmenarchiv mit rund 37.000 Fotografien, die heute von großem Wert sind, da sie die damalige Bausubstanz sowie deren Architektur eindrucksvoll dokumentieren und im Vergleich Rückschlüsse auf den immensen Nutzungs- und Landschaftswandel in Vorarlberg zulassen. Die Übernahme des Archivs wurde vom Landesamt für Vermessung und Geoinformation und der Abteilung Raumplanung und Baurecht unterstützt, da die Fotos aus deren Sicht eine ideale Ergänzung zu den historischen Senkrecht-Luftbildern (Orthofotos) des Vorarlberg-Atlas (VoGIS) darstellen und zuverlässige Rückschlüsse auf die Nutzungsverhältnisse zum Aufnahmezeitpunkt zulassen. Dabei gilt es allerdings zu bedenken, dass hier nur ein Ausschnitt der Siedlungslandschaft abgebildet ist, nämlich vorwiegend das typische Vorarlberger Einfamilienhaus, da sich die Fotos nur dort gewinnbringend verkaufen ließen. Es ist daher eine Siedlungsgeschichte der eher Privilegierten, da Wohnanlagen, Hochhäuser und verdichtete städtische Bereiche aus genanntem Grund nicht vorkommen.
Mittlerweile wurden alle Negative von der Vorarlberger Landesbibliothek digitalisiert, Gemeinden zugeordnet und über die Plattform volare weltweit zugänglich gemacht.
Für die Suche nach bestimmten Gebäuden oder Ortsteilen reichen allerdings die überlieferten Bildbeschreibungen oft nicht aus. Wirklich interessant und weiterverwendbar werden solche Fotos erst, wenn der Aufnahmeort und der im Bild sichtbare Bereich geografisch exakt verortet sind. Genau das hat sich das Projekt sMapshot zum Ziel gesetzt, das geographische Wissen von Freiwilligen zu nutzen, um eine dreidimensionale Georeferenzierung der Bilder zu erreichen. Mit den Kenntnissen von Ortskundigen baut sMapshot einen virtuellen Globus der Vergangenheit auf, in dem sowohl Forschung und Verwaltung als auch die interessierte Öffentlichkeit kartenbasiert und detailliert recherchieren können. sMapshot wurde an der Fachhochschule im westschweizerischen Yverdon entwickelt, in Kooperation mit dem Bildarchiv der ETH Zürich lanciert, und ist seit einigen Jahren auch in der Vorarlberger Landesbibliothek in Verwendung.
Der dreistufige Verortungsprozess von sMapshot nutzt spielerische Elemente und jeder kann dabei mitmachen. Wurde ein bekanntes Gebäude ausfindig gemacht, wird im ersten Schritt der ungefähre Aufnahmeort festgelegt. Anschließend gilt es die Blickrichtung zu bestimmen. Im dritten Schritt platziert sMapshot das Bild neben dem bereits provisorisch ausgerichteten Kartenausschnitt. Nun beginnt die eigentliche Georeferenzierung, bei der mindestens sechs übereinstimmende Punkte sowohl im Foto als auch im virtuellem 3D-Globus gefunden werden müssen. Als Punkte eignen sich besonders geographisch markante Geländeformationen, Straßenkreuzungen oder Gebäudeecken. Ist dieser Prozess abgeschlossen, muss die Referenzierung noch bestätigt werden. Mitarbeitende der Vorarlberger Landesbibliothek überprüfen dabei die Qualität der Verortung und haben die Möglichkeit, entsprechende Verbesserungen vorzunehmen. Die „Crowd“ hat so mittlerweile schon über 22.000 Vorarlberger Fotos verortet, weitere 28.000 harren im Moment noch der Bearbeitung.
Wir brauchen Sie! Machen Sie mit!
Interessiert? Entdecken Sie die historischen Aufnahmen auf volare und helfen Sie uns mit ihren Ortskenntnissen, die Gebäudeaufnahmen der Sammlung Air Color auf sMapshot zu verorten.
CrowdsourcingTreffen Nr. 2
Wir zeigen Ihnen, wie es geht: Anhand von Beispielen üben wir die Georeferenzierung von Luftaufnahmen.
Mi, 12.2.’25, 17.00 Uhr
in der Vorarlberger Landesbibliothek
Anmeldung unter landesbibliothek@vorarlberg.at
vorarlberg.at/volare
smapshot.heig-vd.ch/
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