Elisabeth Heidinger

Die 38-jährige Kulturwissenschaftlerin leitet seit 2019 als Geschäftsführerin das Carl Lampert Forum.

Worüber (Krieger)Denkmäler schweigen und das Verbindende eines Lernorts

November 2021

Viele Denkmäler passen vermeintlich nicht mehr in unseren gesellschaftlichen Kontext. In den letzten Jahren kam es deswegen zu einer Flut von Umgestaltungen oder zu Denkmalstürzen. Eine Tilgung aus dem kollektiven Gedächtnis ist jedoch konterkarierend. Bei Kriegerdenkmälern gibt es ebenfalls eine Debatte, wenn aber eine verborgene. Sie gedenken manch falschem Helden, erinnern an Opfer und Täter unkommentiert egalitär oder breiten den Mantel des Vergessens über die Leiden der Ungenannten. Soll man Denkmäler deswegen entfernen? Oder anders gefragt, warum sollte man sie erhalten? 

Über Opfer und Denkmäler

Trotz ihrer problematischen Politik adressieren die Denkmäler legitime Fragen: Wer fällt unter den Opferbegriff? Sind es die Wehrmachtsoldaten, die für ihren Dienst am Vaterland ihr Leben gelassen haben? Wie differenziert man dann zwischen denjenigen, die in reiner Pflichterfüllung gestorben sind und jenen, die im Glauben an die Gewalt-Diktatur freiwillig dienten? 
Eine andere Dimension betrifft die zivilen Opfer. Denkmäler markieren nämlich eine dramatische Verschiebung: den drastischen Anstieg der getöteten Zivilbevölkerung. Im Vergleich zum Ersten Weltkrieg stieg das Verhältnis der getöteten Zivilisten von 20 Prozent auf nahezu die Hälfte im Zweiten Weltkrieg, seit 1945 überwiegen mit 90 Prozent die zivilen Kriegstoten. 
Kann nun in einem Denkmal an verschiedene Opfergruppen miterinnert werden oder muss man auf deren „Exklusivität“ beharren? Und somit sind wir mitten in einer schwierigen Debatte und in den dazu nötigen Gedankenspielen. Die einstige heroische nationale Reflexion funktioniert im vielschichtig gewordenen Geschichtsbild nicht weiter, da immer mehr das Bewusstsein immanent wird, wie viel Leiden ignoriert und damit ausradiert wurde. Denn zivile Opfer sind beispielsweise im Zweiten Weltkrieg auch jene, die im Zuge von Euthanasieprogrammen ermordet oder durch ihren Widerstand gegen das NS-Regime hingerichtet wurden. Getötet von wem? Von Soldaten, die durchaus später gefallen sind und deswegen in der Erinnerungskultur unter den Opferbegriff fielen, doch manchmal zugleich Täter waren. Somit sprechen unkommentierte Kriegerdenkmäler von erlittener Gewalt und sind verstummt, wenn es um ausgeübte Gewalt geht.
Um die eröffnete Debatte noch komplexer zu gestalten, was ist mit den Opfern, die überlebten? Der Vorarlberger Landtag widmete den Gedenktag gegen Gewalt und Rassismus 2021 jenen VorarlbergerInnen, welche die gegen sie gerichtete Gewalt überlebten und zeit ihres Lebens mit Geringschätzung gegenüber ihrem Leiden konfrontiert waren. Nicht oft wird diese Angelegenheit thematisiert. (Vgl.: W. Weber: Die vergessenen KZ-Überlebenden. Thema Vorarlberg Mai 2021). 
Überlebende zivile Opfer waren nicht nur jene, die in Lagern fast zu Tode gebracht wurden. Die hohe Anzahl der Vergewaltigungen von Frauen durch Soldaten, wäre in eine Opfergruppe miteinzurechnen. Und deren Kinder, die aus dieser Gewaltanwendung heraus entstanden? Kein ferner Gedanke, in Vorarlberg wurde nach Kriegsende ein Entbindungsheim für Frauen, die von Soldaten ein Kind erwarteten, eingerichtet. In fünf Monaten kamen dort 79 Kinder zur Welt. Dies alles ist die eine Dimension des Vergessens, die andere betrifft das Vergessen durch den Faktor Zeit und die fehlende biografische Aufarbeitung: Trotz aller Gedenkorte wurden die Menschen zu in Stein gemeißelten Namen, die keiner mehr nennt, weswegen sie schluss­endlich dem kollektiven Vergessen anheimfallen.

(Gegen)geschichten erzählen 

Denkmäler rufen, wenn wir es zulassen, eine verborgene Seite in Erinnerung. In letzter Konsequenz lädt ihre reine Existenz zu einer beständigen Aufarbeitung ein. Denkmäler müssen kommentiert werden, und zwar nicht im Hinblick auf ihre manifeste Aussage, sondern hinsichtlich ihrer Auslassungen, auf das von ihnen verschweigende. Um aus einem Denkmal einen (Ge)Denkort zu machen, einen Platz, der ein Lernraum sein muss, braucht es eine Veränderung. Es braucht lokales Engagement und Beharrlichkeit und es bedarf keines exklusiven, sondern eines inklusiven Zugangs. Gefragt wäre ein mutiges Sichtbarmachen. Im Konsens der Ambivalenz von Gut und Böse, wird Geschichte gegenwärtig und alltagstauglich. Eine umsichtige Erinnerungskultur zeigt den Menschen in allen seinen Facetten und lässt Dunkelheit zu, wo vorher Licht war. Wer solche Ambivalenzen zulässt, eröffnet die Diskussion, dass die Bösen nicht immer die anderen sind, im „Die“ steckt nämlich viel übertragene Projektion und Ausgrenzung.

Vom Mahnmal zum Lernort

Wie ein Monument zum Lernort werden kann, damit beschäftigt sich der Historiker Christof Thöny in Bludenz. Das von Alfons Fritz geplante Kriegerdenkmal ist aufgrund seiner zum Nachdenken anregenden Formensprache bemerkenswert und hebt sich von den üblichen martialischen Kriegerdenkmälern ab. Dennoch ist eine Kontextualisierung unumgänglich: Unter den Namen der Gefallenen findet sich etwa der Name Hugo Paterno, der kein Soldat war, sondern von den Nationalsozialisten hingerichtet wurde. Zusammen mit SchülerInnen des Bundesgymnasiums Bludenz erarbeitete Christof Thöny eine Ausstellung, die eine erste Kontextualisierung sichtbar machte. Die SchülerInnen sind dabei als Forschende in Erscheinung getreten und entwickelten Fragestellungen und Zugänge.

Carl Lampert Wochen

Die Carl Lampert Wochen „Verbunden“ beleuchten heuer unter anderem auch die Thematik des Denkmals. Beispielsweise stellen Historiker Christof Thöny und Kunsthistorikerin Ute Denkenberger am 12. November, um 16 Uhr, die Arbeit am Denkmal in Bludenz vor und erläutert die künftige Nutzung als einen Lernort. Eine weitere Veranstaltung zum Thema Denkort ist der Gedenkakt „Stützende Säule“ in St. Martin in Dornbirn am 13. November.
www.carl-lampert.at

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