Robert Seeberger

* 1960 in Bludenz, Diplomstudium Physik an der Universität Innsbruck bis 1986, Dissertation 1994 (Universität Innsbruck und Max-Planck-Institut für Radioastronomie, Bonn, Deutschland), Wirtschaftsingenieurstudium in Liechtenstein bis 1994; Forschungsaufenthalte an Instituten und Observatorien in Deutschland, Italien, Frankreich und Spanien. Seit 1995 beim Arbeitsinspektorat Bregenz. 2000: Mitarbeit beim Zentralarbeitsinspektorat Wien und bei der Europäischen Agentur für Sicherheit in Bilbao, Spanien.

Die Sonne ins Zentrum gerückt: Rheticus war der Vorreiter

Mai 2018

Vor gut 500 Jahren wird Georg Joachim des Porris – genannt Rheticus – in Feldkirch geboren. Sein Weg führt ihn als Schüler des berühmten Nikolaus Kopernikus nach Frauenburg. Mit einer populären Erstpublikation, der „narratio prima“, wird er zum Wegbereiter eines neuen astronomischen Weltbildes.

Feldkirch feiert heuer das 800-jährige Bestehen. Die Stadt hat seit der Gründung einen hervorragenden Ruf als Zentrum der Bildung. Seit dem späten 14. Jahrhundert galt die Feldkircher Lateinschule als die beste im Bistum Chur. In der Renaissance-Zeit besuchten bei einer Einwohnerzahl von 1500 fast 500 Feldkircher eine der europäischen Universitäten. 1648 wurde ein Gymnasium gegründet. Der Schriftsteller Josef Wichner, 1852 in Bludenz geboren, war in Feldkirch Schüler und Lehrer. Davon zeugt sein autobiografischer Roman „Im Studierstädtlein“. Mit Unterbrechungen führte der Jesuitenorden von 1856 bis 1979 das Privatgymnasium „Stella Matutina“. Bedeutende Persönlichkeiten wie die österreichischen Bundeskanzler Otto Ender und Kurt von Schuschnigg sowie Arthur Conan Doyle, der Schöpfer von Sherlock Holmes, besuchten das Feldkircher Jesuiten-Kolleg. Stella Matutina bedeutet „Morgenstern“, ein volkstümliches Wort für den Planeten Venus. Der ehemalige Merz-Refraktor der Stella Matutina, ein schönes Linsenfernrohr, ist derzeit in der Jubiläumsausstellung „Von Hugo bis Dato“ im Palais Lichtenstein zu sehen.

Das Weltbild vor 500 Jahren

Das astronomische Fernrohr war zu Lebzeiten des Rheticus (1514 bis 1574) noch nicht erfunden. Himmelskunde war reine Positionsastronomie. Astronomen haben die Position der Fixsterne beobachtet und genau vermessen. Planeten wurden auch Wandelsterne genannt, da sie sich zwischen den Sternen hindurch bewegen. Uranus, Neptun und Pluto waren noch nicht entdeckt, Saturn mit einer Entfernung von 1,4 Milliarden Kilometer der „Rand“ des bekannten Universums. Die Sterne waren lediglich Lichtpunkte auf einer Sphäre, die zu unserer Freude geschaffen wurden. Die Erde stand im Zentrum und um sie kreisten Mond, Sonne, Merkur, Venus, Mars, Jupiter und Saturn. Die Vorstellung, dass wir uns mitsamt der Erde mit hoher Geschwindigkeit bewegen, war damals absurd. Das könnte man niemals überleben, die Menschen würden von der Erde wegkatapultiert werden – so glaubte man. Auch die Bibel wurde herangezogen, um das geozentrische Weltbild zu untermauern. Schließlich befahl Gott der Sonne, stillzustehen (Joshua 10).

Die Stationen des Rheticus

Rheticus war der Sohn von Dr. Georg Iserin und Thomasina de Porris. Sein Vater, der „Stadtmedicus von Feldkirch“, wurde im Jahre 1528 wegen Hexerei angeklagt und hingerichtet. Daher nahm der Sohn zuerst den Namen der Mutter an, später führte er den Beinamen „Rheticus“. Nach dem Besuch der Lateinschule studierte er in Zürich Mathematik. Rheticus’ Begegnungen mit Paracelsus und Martin Luther prägten ihn. Der Gelehrte Philipp Melanchton förderte ihn und ermöglichte ihm Studienreisen. Zwischen 1539 und 1541 hielt er sich bei Nikolaus Kopernikus, dem Schöpfer des damals revolutionären heliozentrischen Weltbildes, in Frauenburg auf. Rheticus, der von Wittenberg, der Hochburg der Reformation, anreiste, wurde vom berühmten, 70-jährigen katholischen Domherrn Kopernikus mit offenen Armen empfangen. Religiöse Unterschiede spielten und spielen bei Gelehrten keine Rolle. Der erste und einzige Schüler des Kopernikus studierte wissbegierig die neue Theorie, nach der die Sonne im Zentrum des Universums steht. Darüber lagen Handschriften des Kopernikus vor, die noch nicht druckreif ausgearbeitet waren. Es gab massiven Widerstand gegen die neue Weltsicht. So soll Matin Luther in einer Tischrede über Kopernikus und seine Ideen gesagt haben: „Der Narr will die ganze Kunst der Astronomiae umkehren ...“

Kein Kopernikus ohne Rheticus

Dennoch gab Kopernikus das Einverständnis, einen Vorbericht zu veröffentlichen und die wissenschaftliche Gemeinschaft über die neuen Ideen in Kenntnis zu setzen. Die „narratio prima“ des Rheticus von 1539 war ein voller Erfolg und wurde bis zum Jahre 1600 viermal neu aufgelegt. Die Narratio war eine Ankündigung und Kurzfassung des geplanten Hauptwerks des Kopernikus „De Revolutionibus Orbium Coelestium – über die Himmelsbahnen“. Ungewöhnlich, dass dieses Hauptwerk erst deutlich später, 1543, veröffentlicht wurde. Weniger erstaunlich ist, dass die Narratio eine viel weitere Verbreitung fand. Denn in den Formulierungen sind die jugendliche Frische und die Begeisterung des Autors zu spüren.

Das Verdienst des Feldkirchers ist es, mit der Narratio das heliozentrische Weltbild erstmals zugänglich zu machen. Zudem konnte er seinen Lehrer überzeugen, sein großes Hauptwerk aus der Schublade herauszuziehen und die kopernikanische Revolution erst zu ermöglichen. Kurz gesagt: Kein Kopernikus ohne Rheticus.

Rheticus als Namensgeber

Zwischen den Planeten Mars und Jupiter zieht eine Trümmerwolke ihre Bahn um die Sonne. Der erste der Asteroiden heißt Ceres und wurde in der Silvesternacht 1801 auf der Suche nach einem fehlenden Planeten entdeckt. Die Zahl der Asteroiden mit bekannten Bahnen stieg rasant an. Der Entdecker neuer Asteroiden hat das Recht, einen Namen zu vergeben. So ziehen Musiker wie Franz Schubert und Bundesländer wie Vorarlberg ihre Himmelsbahnen. Der Asteroid (15949) Rhaeticus wurde 2001 zu seinen Ehren des großen Feldkirchers benannt. Er ist 2,3-mal weiter von der Sonne entfernt als die Erde. Er umläuft die Sonne auf einer leicht elliptischen Bahn in 3,45 Jahren. Mit einer Magnitude von 14.0 ist er durch kleinere Teleskope zu sehen. Zwei Amateurastronomen entdeckten ihn am 17. Jänner 1998 auf der Privatsternwarte Davidschlag bei Linz und nannten ihn Rhaeticus.
Seit 1651 ist Rheticus auch als Mondkrater verewigt. Wie Vater und Sohn fand Rheticus neben dem Krater Copernicus seinen Platz auf der Mondoberfläche. 1935 wurden die beiden wieder getrennt, jetzt heißt ein Krater mit 46 Kilometer Durchmesser in der Nähe des Mondäquators „Rhaeticus“.

Die Feldkircher Rheticus-Gesellschaft befasst sich mit Geschichte, Kultur und Naturwissenschaften. In den gut 40 Jahren des Bestehens gab der Verein 70 wissenschaftliche Bände heraus.
Im Gedenken an Rheticus steht vor dem Dom in Feldkirch ein Betstuhl. Öffnungen machen das Kunstwerk gleichzeitig zu einer präzisen Sonnenuhr. Es ist eine schöne Idee, das naturwissenschaftliche Werk des Rheticus in seinem religiösen Umfeld zu würdigen.

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