Christoph Jenny

Direktor der Wirtschaftskammer Vorarlberg

(Foto: © Dietmar Walser)

Türschilder und Etikettenschwindel

September 2016

John F Kennedy wird der Satz zugeschrieben: „Es gibt nur eins, was auf Dauer teurer ist als Bildung: keine Bildung.“ Und in der Tat sind die guten Schüler von heute die erfolgreichen Fachkräfte von morgen und sichern nicht nur unseren Wirtschaftsstandort, sondern auch den eigenen Wohlstand. Umgekehrt gilt: Je weniger qualifiziert ein junger Mensch heute ist, desto schwieriger wird seine berufliche und damit häufig auch seine private Zukunft. Der Bildungspolitik kommt also zentrale Bedeutung zu.

Welch unverändert großen Handlungsbedarf es in Österreich nach wie vor gibt, zeigte erst jüngst eine Studie der renommierten Bertelsmann-Stiftung. In einem Ranking von insgesamt 41 untersuchten Staaten landet Österreich im Bildungssektor auf Platz 24 und damit beispielsweise weit hinter Deutschland und der Schweiz. Das mäßige Abschneiden Österreichs in internationalen Vergleichstests – Stichwort PISA – wird damit wieder einmal bestätigt. Dass aber die Bildungserfolge Vorarlberger Schüler – und das in einem international ohnedies schwächelnden Österreich – auch in nationalen Vergleichstests nicht mit anderen Bundesländern mithalten können, müsste eigentlich Anlass zu wirklicher Sorge sein. Egal ob in den Volksschulen, den Neuen Mittelschulen oder auch in den Gymnasien, wie das Fiasko bei der Zentralmatura gezeigt hat – von „den Besten im Westen“ sind wir derzeit weit entfernt.

Die jüngst aufgeflammte Diskussion um den – oder doch nicht – Richtungswechsel der FPÖ in der Frage der Gemeinsamen Schule zeigt eines wieder ganz deutlich: In der politischen Diskussion kommt offensichtlich immer noch dem Türschild die größte Bedeutung zu.

Und da kann die Gemeinsame Schule zumindest einen ganz wesentlichen Vorteil für sich in Anspruch nehmen: Eine Selektion der Schüler im Alter von zehn Jahren aufgrund von Schulnoten, die über weite Strecken von den Eltern stärker beeinflusst werden als von den Lehrern, ist sinnlos und hat mit Chancengleichheit wenig bis gar nichts zu tun. Das allein macht aber aus einer Gemeinsamen Schule noch nicht unbedingt eine bessere Schule.
Es gibt in Deutschland – etwa in der Region Göttingen – eine Gemeinsame Schule, die in den Bildungserfolgen ihrer Schüler locker mit den zahlreichen namhaften Gymnasien in der Re­gion mithalten kann und es geschafft hat, den Gymnasien ihren Rang abzulaufen. In der gleichen Region gibt es allerdings eine zweite Gemeinsame Schule, die sich von einer Haupt- oder Realschule nicht wirklich unterscheidet. An beiden Schulen aber hängt das gleiche Türschild – den Unterschied machen die pädagogischen Ansätze und die damit verbundene, auch für Außenstehende spürbare Haltung aus.
Wo aber bleibt bei uns der Blick auf jene Orte, an denen die Bildungserfolge unserer Kinder und Jugendlichen entstehen – oder eben nicht? Dieser Blick auf jede einzelne Schule würde nämlich zeigen, dass es schon heute viel zu tun gäbe und nicht erst in drei, fünf oder acht Jahren. Die Schulen – nicht die Politik, nicht die Wirtschaft – und das, was in jeder einzelnen Schule passiert, sind letztlich der entscheidende Schlüssel zum Erfolg.

Was brauchen wir?

  • Schulen, in denen nicht jeder Lehrer das für ihn beste pä­dagogische Konzept verfolgen kann, sondern die Lehrer im Team gemeinsam in der Praxis bereits erfolgreich erprobte pädagogische Ansätze nutzen und weiterentwickeln;
  • Schulen, die die Ursache für mangelnde Bildungserfolge der Schüler nicht in erster Linie in deren fehlender Begabung oder mangelndem Fleiß suchen, sondern eine Haltung leben, in der Lehrer wirkliche Verantwortung für die Bildungserfolge ihrer Schüler übernehmen;
  • Schulen, in denen Lehrer nicht ihre eigene pädagogische Leistung benoten, sondern den Zeugnissen österreichweit einheitliche Bildungsstandards zugrunde legen, die die in allen Schultypen erzielten Bildungserfolge objektivieren und vergleichbar machen;
  • Schulen, in denen Bildungserfolge nicht erst über außerschulische Nachhilfe ermöglicht werden und die die Eltern als wichtigen Teil ihrer eigenen Arbeit sehen.

Der Weg dorthin wäre nicht schwierig und hat sich auch in vielen anderen Bereichen vielfach bewährt: Was es braucht, ist zunächst der Blick über den eigenen Tellerrand hinaus, der Blick auf jene, die Bildung schon jetzt besser machen, um dann von den Besten zu lernen und sie am Ende des Tages zu überflügeln. Die Politik – in Wien, vor allem aber im Land – wäre gefordert, endlich die dafür notwendigen Rahmenbedingungen zu schaffen und damit zugleich die gravierendsten Mängel unseres Bildungssystems zu beseitigen.

Sinnvoll wäre:

  • die Einführung einer Schulautonomie, durch die den besten Direktorinnen und Direktoren größere Entscheidungs- und Gestaltungsspielräume hinsichtlich der pädagogischen Ausrichtung ihrer Schule eingeräumt werden, aber selbstverständlich auch die damit verbundene Verantwortung übertragen wird – insbesondere verbunden mit der Möglichkeit, die für ihre Schule „richtigen“ Lehrer auszuwählen und sich von Lehrern, die die für eine gute Schule notwendige Haltung nicht mitbringen, zu trennen;
  • die Abschaffung der Sprengelzuweisung zugunsten einer Bildungslandschaft, in der sich Schulen über ihre Bildungsangebote und ihre Qualität in einem gesunden Wettbewerb beweisen können;
  • eine deutlich mutigere Vorgabe pädagogischer Ansätze – wie etwa die Einführung von Ganztagsschulen mit verschränktem Unterricht, deren Wirksamkeit unbestritten ist –, ohne dies an die Zustimmung der letzten Verhinderer zu knüpfen;
  • und schließlich: eine laufende, objektive und transparente Evaluierung der Bildungserfolge als eine Form des Feedbacks, um jede einzelne Schule in ihrer Entwicklung zu unterstützen.

Die Umsetzung all dieser Maßnahmen ist längst überfällig. Die Diskussion über Türschilder, aber auch die Entwicklung theoretischer pädagogischer Konzepte, die dann in den Schulen nie ankommen, bringen uns nicht weiter. Es ist höchst fraglich, ob sich die Politik nach Jahren der ideologischen Grabenkämpfe endlich darauf besinnt, was Bildungspolitik sein sollte und welch entscheidende Kraft von ihr ausgehen könnte. Wie sagte doch John F. Kennedy nochmals?

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