Peter Melichar

Historiker „vorarlberg museum“

Alltagsärgernisse allüberall

Juni 2021

Es gibt die großen Dinge, die Angst machen oder Glück bereiten. Und es gibt die wirklich unwichtigen Alltagsärgernisse, die an sich bedeutungslos sind, aber unendlich lästig. Jahrelang holt man beim Bürgerservice des Gemeindeamtes die Müllsäcke und gerade an einem Tag, an dem man es eilig hat, erfährt man, dass diese Müllsäcke nun nur noch in einem privaten Laden zu haben sind. Den kennt man nicht, muss ihn suchen und erfährt auf Nachfrage, dass sich die Mitarbeiter des Gemeindeamtes geweigert haben, diese Aufgabe weiterhin zu übernehmen. Sie sind vermutlich zu Höherem berufen.
Apropos Höheres: Seit vielen Jahren wird man an Supermarktkassen oder auch an den Kassen von Tankstellen regelmäßig nach der Kundenkarte gefragt. Hat man eine, erhält man irgendwelche kleinen Vorteile oder Vergünstigungen. Hat man keine, wird man benachteiligt beziehungsweise durch eine Mehrzahlung bestraft. Wir alle sind vielseitige Konsumenten und müssten mittlerweile gut organisierte Kartenaufbewahrsysteme mit uns tragen, um jeweils die richtige Karte zücken zu können. Wer schafft das schon. Es gehe um die Kundenbindung, bekommt man gesagt, wenn man einen der notorisch überforderten Geschäftsführer fragt. Auf den Hinweis, dass man Kundenbindung nicht durch derartige Hindernisse, sondern durch gute Waren und Bedienung durch kompetentes und freundliches Personal erreicht, erhält man die Antwort, dass man darauf keinen Einfluss habe, die Entscheidungen werden höheren Orts getroffen. 
Apropos Personal: Jedes Mal, wenn ich einer Verkäuferin oder einem Verkäufer begegne, die über die Waren in ihrem Geschäft etwas wissen, freue ich mich ungemein. Und ich habe den Eindruck, sie sind selbst besser gerüstet, um dem stetig wiederkehrenden Alltagsärgernis des Verkäufers zu begegnen: dem Kunden. Apropos Kunden: Jeder von uns Kunden benötigte eine Geldbörse mit gewaltigem Fassungsvermögen, um all die bunten Kundenkarten aufzubewahren, denn Kredit- und Bankomatkarten, den Führerschein und die Karte des Automobil-Clubs hat man ja auch noch. Und wenn eine Supermarktkette keine Kundenkarte hat, dann belästigt sie einen unter Garantie mit einer Rabattmarken-Aktion. Jeder, der bei einem Einkauf dann einmal 10 oder 20 Prozent weniger zahlen will (und wer will da schon benachteiligt werden), muss eine größere Zahl von Plastikmärkchen auf eine Karte kleben und dann irgendwann vorweisen, um bei seinem Einkauf weniger zu zahlen. 
Bekommt man dabei nicht unweigerlich das Gefühl, dass man um diese Prozente eigentlich immer zu viel zahlt? Man fragt sich, was für ein Menschenbild die Konzernleitungen eigentlich haben. Jedenfalls gehen einige der Hygieneexperten in diesen Zentralen von einem robusten Menschenschlag aus. Denn wer in bestimmten Supermärkten die Toilettenanlage benützt, den trifft nahezu der Schlag, wenn er den Wasserhahn benützt. Der gibt ein infernalisches Fauchen und Zischen von sich, das nicht nur Besitzer von Herzschrittmachern gefährdet. Leidgeprüfte Eltern berichten, dass sie ihre Kinder lange nach dem Erstkontakt nicht mehr beruhigen konnten. Wie viele Klagen da anhängig sind, konnte leider nicht in Erfahrung gebracht werden. 
Apropos Toiletten: Was in Städten und Gemeinden an öffentlichen Toiletten vorhanden ist, sagt etwas über das Hygienebedürfnis der Bürgermeisterinnen und Bürgermeister aus. Offensichtlich begrüßen sie es, dass in den ihnen anvertrauten Kommunen an alle möglichen Ecken gepinkelt wird und in den stillen Ecken der ansonsten gepflegten Parkanlagen die größeren Geschäfte verrichtet werden. Aber zurück zum Einkauf in Geschäften: Man hat ja gehört, dass man Plastik vermeiden sollte. Aber die meisten Supermärkte haben vor dem Kunststofftragetaschenverbot ab dem 1. Jänner 2020 längst Kompensationsverträge mit den größeren Herstellern von Plastikfolien abgeschlossen. 
Davon kann man sich in jeder Wurstwarenabteilung überzeugen. Was hier ungefragt an Folien verbraucht wird, spottet jeder Beschreibung. Wenn man dann noch einmal in aller Ruhe beobachtet, wie unsere hochsubventionierten Agrarindustriellen das Heu in hunderte Meter lange Kunststoffbahnen verpackt, konservieren, der weiß, dass er in seinem ganzen Leben, selbst wenn er 90 würde, durch Plastiksackerlvermeidung nicht soviel an Kunststoff einsparen wird können, wie so ein agrarindustrieller Subventionsbezieher mit einem einzigen Heuballen verbraucht. Warum also muss die Plastiktüte sterben? Über den Gestank, den diese in Kunststoffbahnen verpackten Heuballen verbreiten, will ich mich nicht auslassen, nur bemerken, dass er von den nützlichen Essig-, Milch- und Buttersäurebakterien stammt, die im Laufe des Gärungsprozesses im Inneren des Ballens ihre unbezahlte Arbeit für den Agrarindustriellen verrichten.
Apropos Gärung und Fäulnis: Die Anwendung biologischer Metaphern auf Gesellschaft und Politik sind ein permanentes Alltagsärgernis. Man sollte sich davor hüten. Allerdings gibt es Erscheinungen, die einem den Verzicht schwermachen, etwa wenn man an jene parasitären Existenzen denkt, die durch glückliche oder unglückliche Erbfälle, kaum durch ehrliche Arbeit, in den Besitz von Häusern und Wohnungen gekommen sind und nun die Besonderheiten des Vorarlberger Immobilienmarktes ausnützen und richtige Löcher, die man kaum Wohnungen nennen kann, an die Ärmsten der Armen unserer Gesellschaft zu horrenden Preisen vermieten. Fast das gesamte Geld, das die Migrantenfamilien vom Sozialsystem erhalten und sich, so gut es geht, verdienen, muss an die Vermieterinnen und Vermieter gezahlt werden, die ich, weil Haie nicht vermieten und Hyänen ehrenwerte Aasfresser sind, weder Miethaie noch Sozialhyänen nennen will. Man fragt sich, warum sich in den Gemeinden um derartige Missstände niemand kümmert. Ach ja: So manche Gemeinde wie zum Beispiel Lustenau kauft leerstehende Häuser auf und lässt sie weiterhin leer stehen. Für Bedürftige stehen diese Häuser nicht zur Verfügung, sie dienen ausschließlich Spekulationszwecken. Für viele unserer neuen Mitbürger sind diese Verhältnisse, die sie durchaus durchschauen, Teil der sie und ihre Kinder prägenden Sozialisation. Wollen wir das wirklich?

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