Peter Melichar

Historiker „vorarlberg museum“

Bregenz – New York & retour

April 2023

1923 überquerte Franz Plunder mit der von ihm selbst gebauten „Sowitasgoht V“ den Atlantik.

Franz Plunder (1891-1974) war ein guter Bildhauer, aber er ist heute selbst in seiner Heimatstadt Bregenz als Künstler einigermaßen gründlich vergessen. Wer erinnerte sich noch an seine Statuen, seine Köpfe, seine Kriegerdenkmäler? Unvergessen ist Plunder allerdings als Abenteurer, als Bootsbauer und Segler. 

Ein Schulabbrecher wird Künstler
Im Jahr 1923 überquerte er mit einer Eigenbau-Yacht von Hamburg aus den Atlantik. Die Fahrt unternahm Plunder vor allem, weil er zuvor sowohl als Künstler als auch als Unternehmer Schiffbruch erlitten hatte. Das alles kam so: Plunders Vater war ein Hamburger Seemann, der sich – auf dem Weg nach Genua – in Bregenz in eine junge Frau aus Tirol verliebte, mit ihr eine Familie gründete und sich am Bodensee niederließ. Er war für die Bodenseeschifffahrt tätig und segelte nicht nur mit seinem Sohn leidenschaftlich gerne, sondern baute auch selber Boote. Der junge Franz konnte die Schule nicht besonders leiden und riss mit etwa zwölf Jahren aus, um in Hamburg Seemann zu werden; doch sein Vater ahnte das und fand ihn mit Glück am Bahnhof in Mannheim, wo der junge Mann nicht weiterkam, weil ihm das Geld ausgegangen war. Plunder baute sein erstes eigenes Boot mit drei Metern Länge im Alter von siebzehn, er war noch keine zwanzig, als er schon sein zweites Segelboot mit sieben Metern Länge baute. Diese ersten Boote nannte er stets nach seiner jung verstorbenen Schwester Berta I und Berta II. Die Schule hatte er in einem Anfall aus Dummheit und Übermut mit 14 abgebrochen und eine Lehre als Dessinateur gemacht. Im Alter von 19 bestand er im Jahr 1910 die schwere Aufnahmeprüfung für die Akademie der Bildenden Künste in Wien. Rudolf Wacker, der heute viel berühmtere Künstlerkollege aus Bregenz, fiel bei der gleichen Prüfung durch und gab den Traum vom Studium an der renommierten Wiener Akademie auf.
Kaum hatte Plunder die Akademie beendet, lockte ihn die neue Welt. Gemeinsam mit seiner Frau – er hatte 1913 Hedwig Stern, eine junge Frau aus wohlhabender Familie geheiratet – reiste er im Herbst 1913 in die Vereinigten Staaten; seine Frau kehrte im Februar 1914 in guter Hoffnung zurück und brachte den gemeinsamen Sohn Franz auf die Welt. Plunder selbst verdiente zwar für europäische Verhältnisse phantastisch, kehrte jedoch gerade rechtzeitig nach Österreich zurück, um für den Krieg eingezogen zu werden. Für die Dollars, die er verdient hatte, kaufte er leider, sobald das möglich war, Kriegsanleihen. Er stolperte durch die weltgeschichtlichen Ereignisse wie eine Art braver Soldat Schweik, wurde als Regimentsbildhauer eingesetzt und landete am Ende mit viel Glück bei der Bodenseeflotille, deren strategische Bedeutung auch damals schon umstritten war. Die Zeit des Weltkriegs und auch die ersten Friedensjahre waren für Künstler nicht leicht; die Kriegsanleihen waren wertlos geworden. Plunder nützte seine Fähigkeiten und verlegte sich auf den Bau von Segelyachten. Seine Kunden waren betuchte Schweizer, die das Währungsgefälle zwischen dem stabilen Franken und der inflationsgeplagten österreichisch-ungarischen Krone nützten. Die Werft vergrößerte sich, wurde als Bodensee-Wert-Aktiengesellschaft in Hard neu gegründet und als Investor konnte man Ferdinand Porsche gewinnen, wohl auch in der Hoffnung, den Yachtbau auch motorentechnisch auf ein neues Niveau zu heben. Doch die Stabilisierung der Krone im Herbst 1922 führte dazu, dass die Aufträge stark zurückgingen. Porsche baute aber dennoch die Werftanlage weiter aus. Plunder berichtete in seinen „Erinnerungen“: „Es war eine große Werft geworden, aber ich mochte nicht mehr. Es kam zwischen mir und dem Generaldirektor Porsche fast zu einem Krach.“

Fahrt über den Atlantik 1923
Plunder stieg aus und baute mit mehreren Freunden eine Yacht, mit der er den Atlantik überqueren wollte. Sie trug den Namen, auf die er schon seine letzten Segelboote getauft hatte, typisch für sein lakonisches Naturell: „Sowitasgoht“, im ortsüblichen Dialekt am Bodensee bedeutet das: So weit es geht. Um Geld aufzutreiben, versuchten sie die Leute für ihr Projekt zu begeistern und motivierten Unternehmer, Materialspenden für den Bau der Yacht nach Hard zu schicken.
Dazu gehörte, dass der Abschied ordentlich inszeniert wurde: Der Stapellauf der Segelyacht und ihre Taufe durch den Priester und Politiker Barnabas Fink am 1. April 1923 wurde zu einem Volksfest. Zwei Monate später, am 27. Mai wurde der Abschied in Bregenz gefeiert, sogar mit einer Rede des Landeshauptmannes Otto Ender. Das Lossegeln in Bregenz war allerdings eher symbolisch, denn es ging zunächst nur über den Bodensee nach Romanshorn; dort wurde das Boot per Bahn nach Hamburg verfrachtet. Die „Sowitasgoht V“, ein zweimastiger Hochseekreuzer mit einer Segelfläche von 90 Quadratmetern, hatte 14 Meter Länge, 3,10 Breite, 1,80 Tiefgang und eine Verdrängung von zwölf Tonnen. Ausgerüstet war sie mit einem Fünf-PS-Motor. In Hamburg konnte man Ende Juni die Yacht gegen Bezahlung im Hafen besichtigen. Und dann ging’s los. Plunder wurde begleitet von Josef Einsle, Fred Jochum und Josef Ledergerber. Sie benötigten für die Strecke Hamburg – Madeira – New York mit einer Distanz von 5800 Seemeilen 61 Tage. Sie hatten mehrere bedrohliche Situationen zu bestehen, erreichten aber mit etwas Glück ihr Ziel ohne Schaden. Natürlich wurden sie von Reportern befragt, von Landsleuten gefeiert. Die Fahrt war nicht nur eine sportliche Leistung, sondern auch ein symbolischer Akt: Seit dem Weltkrieg war die „Sowitasgoht V“ das erste Boot, das die österreichische Flagge über den Atlantik gebracht und in einen amerikanischen Hafen angelegt hatte.
„Sowitasgoht V“ wurde rasch verkauft, der Erlös deckte ziemlich genau die entstandenen Unkosten. Alle vier fanden bald Arbeit. Plunder konnte im Auftrag eines Klosters als Kunstexperte nach Europa zurückreisen und die Gelegenheit nutzen, um einige gut besuchte Vorträge über die Atlantiküberquerung in Vorarlberg zu halten. Leider erkrankte zu dieser Zeit seine Frau Hedwig so schwer, dass sie in ein Sanatorium gebracht werden musste. Bald wurde multiple Sklerose diagnostiziert, Hedwig Plunder starb 1928. Der Sohn Franz kam in ein Schweizer Internat. Plunder lernte auf der Rückreise in die USA auf dem Dampfer eine junge Amerikanerin kennen, die in Europa studiert hatte, Olga Law. Bald zog er mit ihr zusammen und nach dem Tod seiner Frau heirateten die beiden. 
Plunder konnte in New York zunächst gut von seiner künstlerischen Arbeit leben, er hatte ein eigenes Atelier und bekam nicht wenige Aufträge. 1929 wurde er auch US-Staatsbürger. Ein sehr lukrativer Auftrag betraf die Errichtung eines Kriegerdenkmals für das 75. Kavallerieregiment in Brooklyn. Der Marmor dafür sollte aus Mauthausen kommen. Plunder hatte schon alle Vorbereitungen für eine Reise nach Europa getroffen und sogar ein Reisestipendium erhalten. Da kam der Schwarze Freitag 1929 und der große Auftrag für das Kriegerdenkmal in Brooklyn platzte. Plunder reiste aber mit seiner Frau Olga dennoch nach Europa und blieb – da die Verhältnisse für Künstler in den USA nach dem Börsenkrach besonders schwierig waren – in Österreich. Nach einer großen Griechenlandreise wohnte er im Haus des Kunsthändlers Rudolf Sagmeister, dem er die Miete in Form von Kunstwerken erstattete. Aber er bekam auch Aufträge, teils von sehr prominenter Seite: 1932 modellierte er einen Bronzeporträtkopf des Politikers Otto Ender (1875-1960), der gerade zwei Jahre zuvor für ein paar Monate Bundeskanzler gewesen und sicher der bekannteste Vorarlberger der damaligen Zeit war. Ender, Landeshauptmann von Vorarlberg seit 1918, war bekanntlich auch Minister im Kabinett des Bundeskanzlers Dollfuß und behilflich, die Demokratie zu liquidieren und durch ein autoritäres System zu ersetzen, für das er eine Verfassung schrieb. Als Dollfuß im Juli 1934 bei einem Putschversuch durch Nazis getötet wurde, erhielt Franz Plunder wohl über die Vermittlung Enders und mit Hilfe von Funktionären der Vaterländischen Front die Gelegenheit, von der Totenmaske, die man Dollfuß abgenommen hatte, einen Abguss zu machen. Gemeinsam mit seinem Freund Rudolf Wacker gestaltete er ein Dollfuß-Denkmal, für das er diesen Abguss eines Abgusses der Totenmaske verwendete. 1935, am ersten Jahrestag der Ermordung, wurde das Denkmal eingeweiht. Es war eines von hunderten sehr ähnlichen Denkmalen, die in ganz Österreich errichtet worden waren und dem eigentümlichen Totenkult um Dollfuß, der als „Hitlers erstes Opfer in Österreich“ instrumentalisiert wurde, Ausdruck verliehen.

Franz Plunder – ein Austrofaschist? 
Abgesehen von dem Kopf Otto Enders, der Gestaltung des Dollfuß-Denkmals und der Arbeit an mehreren Kriegerdenkmalen ist keine politische Äußerung des Künstlers aus der Zeit bekannt. Die Übernahme dieser Aufträge zeigt aber die bittere Abhängigkeit vieler Künstler, die es sich nicht leisten konnten, wählerisch zu sein. Und immerhin: Otto Ender konnte 1932 noch als Demokrat gelten, er wurde erst im Juli 1933 Mitglied in der Regierung Dollfuß, die gerade einen Staatsstreich unternahm und die Demokratie eliminierte. Und auch wenn Dollfuß die Zerstörung der Demokratie in Österreich und einige politische Morde zu verantworten hatte: Er war tatsächlich ein Opfer der Nationalsozialisten, wenn auch nicht das erste. Als Plunder 1972 seine Erinnerungen veröffentlicht, erwähnte er die schwierigen politischen Verhältnisse nur mit ein paar kryptischen Bemerkungen. Den Ender-Kopf ließ er in seinem Buch abbilden, doch sonst kommen Ender und Dollfuß nicht weiter vor. Besonders ausgeprägt war das Interesse an der Geschichte des autoritären Regimes 1933-1938 in den Siebziger Jahren noch nicht.
Plunder blieb mit seiner Frau Olga bis 1938 in Österreich. Wenige Monate nach dem Anschluss ging er mit seiner Frau wieder zurück in die USA. Sie erhielten beide jeweils eine Stelle am St. Johns College in Annapolis, Olga Plunder als Direktorin der Erwachsenbildung, Franz Plunder als „Resident Artist“. Nach Jahren am College und in der US-Army, Jahre nach dem Krieg, in denen Olga das Amerika-Haus in Salzburg geleitet hatte, richteten sich die beiden in Bregenz ein, wo sie ab 1957 lebten. 
Plunder war immer noch als Künstler und Bootsbauer tätig. Nur mit der Buchhaltung hat er es nie so genau genommen. Vielleicht ist das der Grund, warum es heute noch auf dem Bodensee zwei Segelboote mit dem Namen „Sowitasgoht X“ gibt, eine davon hat der bekannte Bregenzer Künstler Leopold Fetz erworben. Franz Plunder starb am 23. Februar 1974 in Bregenz, seine Frau Olga starb acht Jahre später, im Jahr 1982, ebenfalls in Bregenz. Auf manchem Bücherflohmarkt übrigens findet man noch heute manchmal Franz Plunders wunderbar erzählte Erinnerungen, die einem so manches Rätsel aufgeben, dafür aber einen herrlich lakonischen Titel haben, den man leicht erraten kann, aber gar nicht so leicht deuten: Sowitasgoht.

Fotos: Landeslichtbildstelle/Vorarlberger Landesmuseum

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