Simon Groß

Vorarlberger Gemeindeverband

Der Geist Vorarlbergs

November 2018

Es ist wieder Schnapsbrenn-Zeit. Der Sommer war fantastisch, Obst gibt es en masse. In Baumärkten und Lagerhäusern werden sogar Mini-Destillatoren angeboten und auch die mobilen Brennereien ziehen wieder durch Vorarlbergs Ortschaften.

Herbstfarben, es dämmert früher und die Heizungen erwachen wieder. Das Schnapsbrennen hat Hochkonjunktur. Die besondere Art, Obst, Kräuter und Wurzeln zu veredeln, ist in Vorarlberg vor allem im privaten Bereich sehr beliebt. Es geht um Kultur und darum, einen Geist zu bewahren – für kalte Tage ebenso wie für heitere Stunden oder als kleines „Verdauerle“.

Tradition

Kaum eine Region kennt eine solche Vielfalt an Bränden wie Vorarlberg: Obstler, Subirer, Marille, Kirsche, Zwetschke, Traube, Wacholder, Quitte oder Exoten wie Vogelbeere oder Kalmuswurzel, für jeden Geschmack, jede Gelegenheit und für viele Wehwehchen gibt es etwas Passendes. Aber kein Brand ist gleich: Neben dem „Geist des Obstes“ stecken in jedem einzelnen Tropfen auch viel Zeit und Geduld, Leidenschaft und Liebe zum Produkt, fundiertes Wissen und Geschick.

Herstellung

Es liegt ein fruchtiger Duft in der kühlen und klaren Luft. Süße Birnen, spritzige Äpfel steigen mir sofort in die Nase. Ich besuche Othmar Fleisch, der in seinem Garten seit frühmorgens Schnaps brennt. Kaum zu glauben, dass der Ausgangsstoff für den Schnaps ein matschig-wässriges Fruchtgemisch ist, das als „Maische“ in Fässern zwei bis drei Monate lang vergärt. Diese alkoholhaltige Rohmasse wird beim „Brennen“ in Kupferkesseln erhitzt. Der aufsteigende Dampf strömt durch ein Labyrinth aus Rohren, in dem er langsam abkühlt und sich am Ende als hochprozentiges Destillat wieder verflüssigt. Zuerst verdampfen flüchtige Stoffe, vor allem Methanol. Diese als „Vorlauf“ bezeichnete Flüssigkeit wird sorgfältig abgetrennt, da sie alles andere als verträglich ist: Dieser „Genuss“ hat schon viele das Augenlicht oder sogar das Leben gekostet. Nach dem Vorlauf kommt das begehrte Herzstück, die Basis für das hochwertige Endprodukt. Zum Schluss sollte noch der nicht gerade zuträgliche Nachlauf abgetrennt werden, der einen hohen Anteil an Fuselölen enthält – nomen est omen. „Da sollte man schon großzügig sein, damit auch die Qualität stimmt. Es kommt auch auf das Wasser zum Verschneiden an. Früher ist mein Schwiegervater für kalkarmes Quellwasser aus Urgestein bis nach Gargellen gefahren“, erklärt Fleisch. Damit das Herzstück „Trinkstärke“ erreicht, muss es mit sauberem Trinkwasser verdünnt – in Fachsprache heißt das „verschnitten“ – werden. In der Kürze erklärt klingt das simpel, aber gerade im Einfachen zeigen sich selbst kleinste Fehler sehr deutlich. Denn die komplexe Mischung aus Wasser, Alkohol und Aromastoffen gerät schnell aus der Balance.

Jahreskreislauf

„Schnapsbrennen ist für mich ein Symbol für den Jahreskreislauf. Im Frühjahr muss ich schauen, wie es den Bäumen geht, im Sommer darunter ausmähen, dann wird geerntet und im Herbst folgt das Ausschneiden der Bäume. Dann wird gemaischt und gebrannt, im Winter kann ich dann verschneiden, abfüllen und andere Arbeiten erledigen“, erzählt Fleisch. Das Brennen selber hat für ihn aber noch eine andere Bedeutung, „Man kann die Natur, das Draußensein, das Obst und die ganze Arbeit konservieren, den Geist einfangen. Außerdem ist ein Fläschchen Selbstgebranntes überall ein willkommenes Geschenk, etwas ganz Persönliches, das man nicht einfach so kaufen kann.“

Kontrastprogramm

Es sei aber auch ein Erfolgserlebnis, wenn alles unter Dach und Fach ist. „Schnaps ist ein ‚Kapital‘, das nicht verdirbt. Er bringt zwar keine Zinsen, aber er ist auf seine Weise stabil. Ich habe Vorräte, die reichen noch, so lange ich lebe“, scherzt Fleisch, der vor acht Jahren in Pension ging. „Brennen ist ein Kontrastprogramm zu meinem früheren Beruf. Ich war 27 Jahre lang Verwaltungsdirektor im Krankenhaus Dornbirn. Der Schreibtisch und die Sorgen, die man in einem Betrieb mit Führungsposition hat, liegen hinter mir – aber ich würde es wieder machen.“ Das Brennen sei eine Betätigung „für ihn“, andere gingen ins Wirtshaus zum Jassen, andere „sitzen ufam Bänkle und wissand nit, was tua“.

Verbindendes Ereignis

Fleisch freut sich nicht nur auf das Brennen selbst, sondern auch auf alles, was damit zusammenhängt. „Das Brennen ist zwar nur der Schlusspunkt, aber es ist schön, wenn jemand dabei ist, man hat Unterhaltung und kommt zusammen. Die letzten Jahre habe ich immer meine Kollegen und Nachbarn dabeigehabt. Meine Nachbarin kommt aus Taiwan, sie hat das Schnapsbrennen wirklich zum ersten Mal gesehen und sich auch gleich sehr dafür interessiert. Aber ich kann kein Chinesisch und sie nicht so gut Deutsch, da haben wir uns halt auf Englisch verständigt“, erzählt Fleisch.

Wertschätzung und Leidenschaft

Ein tiefer Blick ins Glas endet beim Schnaps nicht zwangsweise mit einem Kater. Denn er ist nicht nur Destillat einer Frucht oder Wurzel, sondern auch Inbegriff von Tradition und Verbundenheit mit der Region und ihren Produkten: Wir kennen das zum Beispiel vom Bergkäse, dessen Bestandteile und Herstellung nahezu unverändert geblieben sind. „Bei uns im Ländle hat man immer schon aus Tradition gebrannt. Früher hatte man zwar nicht so viele Möglichkeiten, das so fein zu machen. Man hat teilweise auch den sogenannten ‚Schießhüslar‘ gebrannt, bei dem auch angefaultes Obst und alles, was man beim Mosten nicht mehr brauchen konnte, in die Maische kam“, erzählt Fleisch. Heute steht die Qualität im Vordergrund und auch die Geduld, die Leidenschaft und die Perfektion spiegeln sich viel mehr im Produkt. „Das hat vor allem auch mit Wertschätzung zu tun, vor allem gegenüber dem, was man hat. Und das schmeckt man auch.“

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