Die Schüler:innen sollten jetzt gefordert werden!
Ein Plädoyer dafür, den jungen Menschen etwas zuzutrauen.
In letzter Zeit frage ich die Lernenden, wenn ich in die Klassen komme: „Wie geht es euch?“ Sie antworten dann immer: „Gut und Ihnen?“ Darauf gebe ich mich erstaunt und sage: „Das stimmt doch nicht. Die Umfragen sagen ganz etwas anderes. Euch geht es besch…!“ Ich verwende bewusst dieses Wort. Es entsteht dann eine gewisse Heiterkeit.
Es liegt mir fern, die Folgen der Pandemie für die jungen Menschen zu unterschätzen. Die pauschalen Bewertungen, die von einer „verlorenen Generation“ oder gar davon sprechen, dass der Schaden, der durch die Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie für die jungen Menschen entstanden ist, größer ist als der Nutzen, sehe ich genauso kritisch wie das Ansinnen, von den Lernenden weniger Leistung zu fordern. Leider sind die Begriffe „Leistung“ und „Fordern“ ideologisch besetzt. Dabei müssten alle ein Interesse daran haben, die jungen Menschen möglichst gut auf ihr Leben vorzubereiten. Ich bin beispielsweise davon überzeugt, dass insbesondere Lernende mit schlechteren sozioökonomischen Voraussetzungen besonderen Schaden erleben, wenn man sie jetzt nicht fördert, aber auch fordert. Dies deshalb, weil sehr oft zu Hause sowohl die Struktur als auch die Anreize fehlen, Lerndefizite aufzuholen. Die Herausforderungen der Arbeitswelt werden künftig sicher nicht geringer.
Resilienz stärken
Dass eine gute Atmosphäre in einer Klasse für den Lernfortschritt förderlich ist, ist vielfach belegt, gilt aber insbesondere in einer Zeit einer Pandemie. Eine Lehrperson kann beispielsweise jetzt mit den Lernenden die Situation bewerten und sie damit relativieren. Miteinander zu reden, die jungen Menschen ernst zu nehmen, ihnen aber auch zu sagen, dass für ein gutes Leben Leistung notwendig ist und was man dafür tun muss, ist förderlich für den Umgang mit der Situation. Dabei kann durchaus darüber gesprochen werden, was sie versäumen. Dann gilt es aber, auch Lösungsmöglichkeiten anzudenken. Es ist beispielsweise sehr erfreulich, dass die Maturabälle heuer nicht einfach abgesagt, sondern verschoben werden. Es sollte grundsätzlich auch über Positives gesprochen werden, etwa über die Situation am Arbeitsmarkt. Die Zeitungen sind voll von Stelleninseraten und viele Führungskräfte erzählen mir, dass sie händeringend Mitarbeiter/innen suchen. Ich erwähne das bewusst den Lernenden gegenüber: In den mehr als 30 Jahren meiner Lehrtätigkeit waren die Berufschancen für junge Menschen noch nie so gut wie jetzt.
Erfolgserlebnisse schaffen
Mihály Csíkszentmihályi, der ungarisch-stämmige Managementforscher, betont in seinem Buch „Flow: Das Geheimnis des Glücks“ die Bedeutung, Menschen mit herausfordernden Aufgaben zu konfrontieren, die sie auch bewältigen können. Schaffen sie die Aufgaben, erleben sie Glücksgefühle. Das gilt auch für die Lernenden. Ihnen jetzt zu viel nachzulassen, sie zu sehr zu schonen, weil die Situation so schwierig ist, wäre fatal – auch deshalb, weil es schwierig sein wird, Versäumtes nachzuholen. Außerdem wissen die jungen Menschen, dass es nicht sinnvoll ist, jetzt weniger für das eigene Fortkommen zu tun. Aber nicht alle setzen dieses Wissen in konkretes Handeln um. Deshalb müssen sie geführt werden. Eine weitere Schließung von Schulen und die Einführung von Distance Learning wären deshalb fatal. Die Kommunikation würde massiv erschwert.
Lehrpersonen unterstützen
Lehrpersonen werden in ihrem Ansinnen, den jungen Menschen Bildung zu vermitteln, unterstützt, wenn die Vorgaben der vorgesetzten Behörden klar formuliert sind. Dabei soll auf Ausgewogenheit zwischen Fördern und Fordern geachtet werden. Die Idee, mit Förderstunden Versäumtes nachzuholen, ist sehr gut, aber nur dann wirksam, wenn den Lernenden vermittelt wird, dass sie auch geprüft werden. Sie haben im Laufe ihrer Schullaufbahn die Bedeutung von Prüfungen erfahren und ihr Lernverhalten entsprechend angepasst. Anders formuliert: Ein Großteil der jungen Menschen lernt dann intensiver, wenn klar ist, dass Wissen und Können auch abgefragt werden. Das kann man bedauern, aber so ist unser Schulsystem konstruiert.
Wir brauchen Planungssicherheit und Unterstützung darin, Verbindlichkeiten zu schaffen. So wäre es beispielsweise verhängnisvoll, würde auch heuer wieder auf die Abhaltung der mündlichen Reifeprüfungen beziehungsweise Reife- und Diplomprüfungen verzichtet. Das vergangene Schuljahr hat gezeigt, dass die Abhaltung leicht möglich gewesen wäre, sowohl von den Anforderungen an die Lernenden her als auch aus hygienischer Sicht. Die Prüfungen durchzuführen, ist aus mehreren Gründen sinnvoll. Schon während des Schuljahres wäre klar, dass am Schluss eine größere Prüfung erfolgt. Die Zeit nach den schriftlichen Prüfungen könnte dafür genützt werden, weitere Lernfortschritte zu erzielen. Und schließlich könnten die Maturanten:innen nochmals zeigen, was sie gelernt haben. Über eine Kürzung der Anzahl der Themen kann man durchaus diskutieren, eine generelle Absage wäre schlecht.
Die Abhaltung der mündlichen Prüfungen sei nur als Beispiel angeführt. Auch sonst wäre eine Erhöhung der Verbindlichkeit aus den oben genannten Gründen wichtig. Es ist keine Frage, dass wir alle unter den Einschränkungen leiden. Das wirkt sich auf die Psyche und damit auf die Leistungsfähigkeit aus, bei manchen mehr, bei anderen weniger. Hier braucht es dringend mehr Unterstützung für die Lernenden und für die Lehrpersonen. Der Ausbau der Schulsozialarbeit ist ein wichtiger Schritt, dem noch andere folgen müssen. Kurzfristig braucht es besonders Klarheit für den Umgang mit Omikron. Denn eines ist klar, eine gute Strategie (Testung, Maskenpflicht, Quarantäneregeln) ermöglicht das Offenhalten der Schulen. Denn: Präsenzunterrichtet erleichtert das Fördern und das Fordern.
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