Nora Weiß

Redakteurin Thema Vorarlberg

Foto: Weissengruber

Die Sprache, ein Spiegelbild der Gesellschaft

September 2022

Die Verwendung von gendersensibler Sprache, egal ob in Texten oder im gesprochenen Wort, scheidet die Geister. Die Kluft zwischen den einzelnen Positionen sind tief. Vielfach wird im Zuge der schriftlichen Verwendung auf die verminderte Lesbarkeit oder etwaige grammatikalische Ungereimtheiten verwiesen. Allerdings macht geschlechtergerechte Sprache Frauen und Männer symmetrisch präsent und fördert das Bewusstsein der Gleichwertigkeit.
Bereits 1987 gab es in Österreich Empfehlungen zur sprachlichen Gleichbehandlung von Frauen und Männern. Heute sind diese sowohl im Frauenförderungsplan des Bundesministeriums für Bildung, Wissenschaft und Forschung (BMBWF) als auch im Bundesgleichbehandlungsgesetz verankert. Denn „ein diskriminierungsfreier und geschlechtersensibler Sprachgebrauch ist wesentlich für die Gleichbehandlung und Gleichstellung aller Geschlechter“, heißt es im Leitfaden für geschlechtersensible Sprache der Gleichbehandlungsanwaltschaft. Aber wie sieht nun die konkrete Umsetzung dessen in Texten aus? Welche der zahlreichen Schreibweisen und Richtlinien sollte Verwendung finden? „Alle Formen geschlechtergerechten Formulierens haben Vor- und Nachteile“, erklärt die Chefredakteurin der Duden-Redaktion, Kathrin Kunkel-Razum, und konkretisiert: „Bei der Verwendung von Zeichen wie dem Gender-Sternchen oder dem Gender-Doppelpunkt entstehen häufig grammatikalische Schwierigkeiten. Nichtsdestotrotz werden diese Schreibweisen immer gängiger und sind größtenteils auch von der Sprachgemeinschaft akzeptiert.“ Die nach wie vor gängigste Schreibweise sei aber die Doppelnennung „Absolventen und Absolventinnen“, sagt die Germanistin: „Trotz der Tatsache, dass Menschen, die sich weder dem weiblichen noch dem männlichen Geschlecht zuordnen, hier nicht inkludiert sind, stößt diese Variante auf große Akzeptanz in der Gesellschaft.“ Wer gänzlich auf eine Geschlechterzuordnung verzichten möchte, bedient sich geschlechtsneutraler Varianten wie etwa „Absolvierende“ oder behilft sich mit einer Umschreibung wie „Person, die eine Ausbildung erfolgreich abgeschlossen hat“. „Diese Formen sind jedoch noch ungewohnt und auch ein wenig umständlich“, fasst Kunkel-Razum zusammen. 

Generisches Maskulinum, Asterisk und Doppelpunkt
Im Sinne eines geschlechtergerechten Sprachgebrauchs sind aktuell mehrere Ersatzformen für das so genannte generische Maskulinum gebräuchlich. Werden zur Kennzeichnung der Geschlechter Zeichen im Wortinneren verwenden, entstehen in bestimmten Fällen – wie etwa bei „Absolvent:innen“ – grammatikalische Besonderheiten, die im traditionellen Sinne nicht ganz korrekt sind. Durch die Setzung von *, :, _ oder Binnen-I nach dem Wortstamm, ist in Folge die maskuline Form nicht mehr explizit sichtbar. Hierzu ein Beispiel: Verwendet man die Variante „die Absolventen:innen“ zeigt sich, dass Formen bei denen der Doppelpunkt nach der tatsächlich realisierten maskulinen Form „Absolventen“ und nicht nach dem Wortstamm „Absolvent“ erscheint, schwer bis gar nicht mehr lesbar sind. Ganz im Gegenteil zur gekürzten Form „Absolvent:innen“. „In diesem Zusammenhang kann es daher auch zur Nicht-Markierung des Kasus bei der maskulinen Form kommen, zum Beispiel im Dativ Plural: ‚den Lehrer:innen‘ statt ‚den Lehrern:innen‘“, erklärt Manfred Glauninger, Professor für Sprachwissenschaft an der Universität Wien. Diese Form sei aber in der Gesellschaft bereits konventionalisiert, führt der Linguist aus: „Man nimmt gewissermaßen in Kauf, dass dabei die maskuline Form nicht explizit erscheint beziehungsweise deren Kasusmarkierung nicht sichtbar ist.“

Lesbarkeit und Barrierefreiheit
Vielfach werden die Lesbarkeit sowie die Barrierefreiheit von Texten als Gründe dafür genannt, warum beim Verfassen auf eine geschlechtersensible Sprache verzichtet wurde. Ein Vermerk am Ende des Textes, dass beim generischen Maskulinum alle Geschlechter „mitgemeint“ sind, ist aber keine zulässige Form des Genderns mehr. Zudem belegen diverse Studien, dass der Lesefluss durch die Kennzeichnung mit Asterisk oder Doppelpunkt im Wortinneren nur wenig beeinflusst wird. Der Mensch ist ein Gewohnheitstier, je häufiger wir Texte in gendersensibler Sprache lesen, umso weniger fällt uns auf, dass diese zur Verwendung gekommen ist. 
Hinsichtlich der Barrierefreiheit von Texten können sich die verschiedenen Genderformen als Hürden darstellen, wie Claudia Rauch im Leitfaden der Gleichbehandlungsanwaltschaft skizziert. So kann es beispielsweise bei Screenreadern zu Verständigungsproblemen kommen, da sowohl Asterisk als auch Doppelpunkt als Teil einer mathematischen Formel interpretiert werden können. Menschen, die auf Spracheingabesysteme beim Verfassen von Texten angewiesen sind, sind oftmals mit einer Verlangsamung aufgrund der steigenden Komplexität der Wortbausteine konfrontiert. 

Sprache ist Spiegelbild der Gesellschaft
„Obwohl Frauen als aktiver Teil der Gesellschaft Verantwortung tragen, sind sie in der Sprache hingegen oftmals unsichtbar. Eine fortgesetzte Verwendung von ausschließlich männlichen Formen ignoriert diese Realität und schafft ein Ungleichgewicht.“ Heißt es in der Einleitung des Leitfadens des BMBWF. Geschlechtersensible Sprache führt zu einer Wahrnehmung sowohl der Frauen als auch jener Menschen, die sich keinem der beiden Geschlechter zugehörig fühlen – es geht um deren Anerkennung, um Akzeptanz, die durch sprachliche Abbildung erfolgt. Unsere Gesellschaft ist geprägt von einem stetigen Wandel und dieser spiegelt sich in unserer Sprache wider, oder um Manfred Glauninger das letzte Wort zu überlassen: „Das Ganze zeigt, dass diese Thematik eben, wie letztlich alles Sprachliche, gesellschaftlich/ideologisch ausgehandelt wird – und dass es wohl nur schwer eine Lösung geben kann, die allen recht und zugleich mit Blick aufs Schreiben/Drucken/Lesen/Sprechen praktikabel ist.“

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