Simon Groß

Vorarlberger Gemeindeverband

Ein Exot unter den Vorarlberger Schnäpsen

September 2021

Subirer, Marille, Vogelbeere: Vorarlberg hat eine lange Tradition des Schnapsbrennens.
Es gibt zahlreiche beliebte Sorten, aber auch interessante Exoten: Etwa den sogenannten „Kalmus“.

Der Höchster Harald Schobel brennt schon seit vielen Jahren Schnäpse und betreibt mit seiner Frau Sonja und Sohn Marcel eine Familien-Manufaktur, mittlerweile hauptberuflich. Neben der Herstellung von Feinkostprodukten wie Trockenfrüchten oder eingelegten Walnüssen finden sich im Sortiment ausgewählte Edelbrände. „Wir arbeiten ausschließlich in der Königsdisziplin der Destillation, der Obstbrennerei. Hier müssen viele Faktoren zusammenpassen: Witterung im Obstgarten, Erntezeitpunkt, die heikle Vergärung der Maische und schließlich eine präzise Destillation“, sagt Schobel. Neben traditionellen bekannten Obstbränden stellt Schobel auch Kalmusschnaps her. 
Doch was ist das, was diesen doch ungewöhnlichen Namen trägt? Die mittlerweile auf der ganzen Nordhalbkugel verbreitete Pflanze stammt ursprünglich aus Indien und dem Himalaya und gelangte von dort aus bereits im 16. Jahrhundert über den Nahen Osten nach Mitteleuropa. Die auch in Vorarlberg heimisch gewordene Pflanze wächst an Uferzonen nährstoffreicher, stehender und langsam fließender, sonnenwarmer Gewässer. Laut dem inatura-Fachberater Klaus Zimmermann bildet der Kalmus kolbenförmige, seitlich abstehende Blüten: „Die Früchte kommen allerdings nicht zur Reifung. Meist sind nur die schwertlilienartigen Blätter sichtbar.“ 

Universal-Allheil-Hausmittel

Kalmus galt allerdings schon vor Jahrhunderten als Heilpflanze. Gerade in Verbindung mit Alkohol, der die Wirkstoffe aus der verwendeten Wurzel löst, war er Allheilmittel für jegliche Beschwerden. In seinen vielfältigen Inhaltsstoffen – Ätherische Öle mit Asaronen, Bitter- und Gerbstoffe – und wohltuenden Eigenschaften hat der Mensch einen großen Nutzen gefunden: „Das aromatische Bittermittel hilft bei Magen-, Darm- und Gallenbeschwerden, bei Appetitlosigkeit und zur allgemeinen Tonisierung des Verdauungstraktes“, erklärt Zimmermann. Bei Magen- und Darmbeschwerden, deren Ursache im vegetativen Nervensystem liegt oder psychogener Natur ist, hilft Kalmus offenbar besonders gut. Allerdings ist die Pflanze giftig. Daher sollten Dosierungsvorschläge eingehalten und die Einnahme über einen längeren Zeitraum vermieden werden. Der Pflanze sagt man auch nach, dass sie Halluzinationen hervorrufen kann. „Nicht aber der europäische Kalmus. Die indische Form wirkt angeblich zwar leicht halluzinogen, allerdings erst in einer Dosierung, bei der wiederum die Giftigkeit rasch zum Problem wird“, sagt der Experte. 
Das Kauen der Wurzel ist übrigens kein Genuss: „Früher hat man Kleinkindern Kalmus zu Kauen gegeben – als Hilfe beim Zahnen. Die adstringierende Wirkung hat dabei sicher Linderung gebracht, aber die bittere Wurzel muss für die Kinder wohl sehr ekelhaft gewesen sein.“ Die beim Kauen freigesetzten Stoffe wirkten auch blutstillend, entzündungshemmend und austrocknend. 
Bei Kalmus bietet sich doch die Nutzung in verflüssigter Form an – gut, dass er auch zu edlen Tropfen verarbeitet wird. Kalmusschnaps gebe es im Rheintal etwa gleich lange wie beispielsweise den vergleichbaren Enzianschnaps in den Bergregionen, sagt Schobel – Also schon seit Urzeiten. Exakte Datierungen zu einem verstärkten Aufkommen des Kalmusschnapses sind kaum möglich. 

Vorkommen

Früher war die Pflanze in großen Mengen vorhanden, durch Regulierungen, ‚Verschönerungen‘ und die intensivere Landwirtschaft wurde der Kalmus aber immer rarer.“ Dazu hat vermutlich auch das verbotene Kalmusstechen seinen Teil beigetragen. Das Sammeln von Pflanzen aller Arten ist in Naturschutzgebieten generell verboten, stellt Klaus Zimmermann klar: „Das Ausgraben von Wurzeln erst recht! Für medizinische Zwecke braucht es nur minimale Mengen. Kalmus gibt es fertig getrocknet, geschnitten und gereinigt in der Apotheke oder in Kräuterfachgeschäften zu kaufen.“ Der sich rein vegetativ vermehrende Kalmus war im Übrigen nie invasiv, die Pflanze wird durch andere Pflanzen gut in Zaum gehalten. „Wenn man Kalmus aber ohne Konkurrenz in einen Topf setzt, dann breitet sie sich stark aus“, sagt Zimmermann. Daher bieten sich private Gartenteiche, Riedgräben oder auch Topfkulturen als schonende Bezugsquelle an. Grundsätzlich ist die ideale Erntezeit für die Wurzel entweder im Frühjahr, bevor die Wachstumsperiode einsetzt, oder eben der Herbst, bereits ab September. 

Das Prozedere

Die Wurzeln werden entweder eingemaischt oder mit einer Maische aus Obst vermengt. „Und dann gibt es auch unsere Art: Wir brennen einen klassischen Obstbrand aus Äpfeln und Birnen, in den wir die sorgfältig gereinigten, kleingeschnittenen Kalmuswurzeln geben. Der Alkohol entzieht diesen die ätherischen Öle sowie die Wirk- und Bitterstoffe“, erklärt Harald Schobel. Dadurch werden die Wurzelstücke nicht mehr erhitzt und die Wirkstoffe bleiben zur Gänze erhalten. Nach einer gewissen Ansatzzeit wird der goldgelbe Brand schließlich noch gefiltert. 

Ein edler, bitterer Tropfen

Ich denke, das ist die einzige Variante, durch welche die besonderen Inhaltsstoffe der Pflanze nicht zerstört werden und am Schluss nur noch ein bitterer Geschmack übrigbleibt. Ganz ohne Bitterstoffe geht es nicht, der Kalmusschnaps hat eine erdig-bittere Note. „Viele wirken zwar erst etwas irritiert, entwickeln dann aber doch eine Faszination, und der Kalmusschnaps muss dann doch daheim ins Sortiment. Wenn man merkt, wie gut die Bitterstoffe und die Aromen des Obstbrandes miteinander harmonieren können, kommt man mitunter schon auf den Geschmack.“ Also: Am besten einfach selbst probieren. Doch wer einen Kalmusschnaps sucht, wird nicht so leicht fündig. „Es gibt sicher umsatzstärkere Produkte, und gerade jüngere Menschen kennen Kalmus gar nicht.“ Deswegen ist der Kalmus auch in Schobels Manufaktur zwar eher eine Randerscheinung, die jedoch immer wieder für interessante Gespräche sorgt.
„Und wehe, der Kalmus ginge uns aus: Das würde einigen Stammkunden dann doch sauer aufstoßen“, sagt Schobel, „aber genau dafür gibt es ja den Kalmus.“

Kommentare

To prevent automated spam submissions leave this field empty.