Ein „Wanderer“ auf Abwegen
In Meinrad Pichlers Standardwerk zur Auswanderung von Vorarlbergern in die USA nehmen die Familien Ganahl, Drexel und Kohler einen prominenten Platz ein. Dort wird vom Aufstieg des Hauses Ganahl in der neuen Heimat berichtet, aber auch von den auftretenden Schwierigkeiten, die manche Familienmitglieder wieder zur Rückkehr nach Vorarlberg bewegten. Der interessanteste Teil der Familie geht auf Josef Ganahl zurück, der 1796 als Sohn des Dornbirner Gerichtsschreibers geboren, 1819 geschäftlich nach Georgia entsandt wurde, dort eine Einheimische aus gutem Haus heiratete und schließlich in Amerika blieb. Wie bei vielen Europäern verursachte das ungewohnte Klima bei ihm gesundheitliche Probleme und er verstarb schon 1836 während einer Geschäftsreise in Jamaica. Von seinen neun Kindern erreichten nur vier das Erwachsenenalter. Henry (*1821) lernte in europäischen Handelshäusern und übernahm den väterlichen Wollhandel, Charles (*1824) studierte in Heidelberg und Paris Medizin und gründete in Texas die Siedlung Zanzenberg, später Center Point, Joseph (*1828) und Francis (*1832) absolvierten erfolgreich englische und amerikanische Rechtsschulen. Während Charles noch in der Tradition südstaatlicher Pflanzer, Patriarchen und Sklavenhalter verhaftet war, engagierte sich Joseph in seiner Funktion als Staatsanwalt gegen den Sklavenhandel.
Er wurde noch als junger Mann in einen Kriminalfall von historischer Bedeutung verwickelt: Es ging dabei 1859 um illegalen Sklavenhandel im großen Stil, der am Vorabend des Amerikanischen Bürgerkriegs in Georgia für einige Aufregung sorgte. Joseph wurde nach solider Ausbildung Staatsanwalt in der Küstenstadt Savannah (Georgia) und war in dieser Causa dafür zuständig, die Verdächtigen anzuklagen, um sie der Bestrafung zuzuführen. Dabei spielte der „Wanderer“ eine Hauptrolle, ein Schoner aus dem New York Yacht Club, der 1856 als luxuriöses Vergnügungsschiff für einen Industriemagnaten gebaut wurde. Bereits 1858 wurde die Yacht wiederum an einen Geschäftsmann aus den Südstaaten verkauft, der das Schiff für ganz andere Zwecke nutzen wollten, denn er ließ es so umbauen, dass es sich für den Transport von Sklaven eignete. Da der Import von Sklaven in die Vereinigten Staaten aber seit 1808 offiziell verboten war, rumorten schon vor der Abfahrt aus New York Gerüchte über den illegalen Zweck der Fahrt. Das Schiff segelte dann an die Mündung des Kongos, wo der Sklavenhandel unter portugiesischem Protektorat eine lange Tradition genoss. Mit fast 500 Sklaven an Bord machte sich das Schiff auf die Rückfahrt über den Atlantik, während der zahlreiche Gefangene verstarben. Der „Wanderer“ erreichte schließlich am 28. November 1858 mit noch 409 lebenden Afrikanern an Bord Jekyll Island, der Küste Georgias vorgelagert. Schnell wurden die Sklaven auf Märkten der Umgebung, aber auch in South Carolina und Florida der Kundschaft angeboten.
An dieser Stelle trat nun der für das Gebiet zuständige Staatsanwalt Joseph Ganahl in Aktion, da er von der Straftat erfuhr und sofort die Ermittlungen aufnahm. Er begann augenblicklich Beweise gegen die Verdächtigen zu sammeln und ließ mehrere Mitglieder der Wanderer-Crew, meist erfahrene Seemänner portugiesischer Herkunft, verhaften. Dem Drahtzieher der ganzen Operation war jedoch nur sehr schwer beizukommen, obwohl Historiker anhand überlieferter Protokolle Ganahl Mut, Tatkraft und schnelles Handeln attestierten. Sein mächtiger Gegner war Charles Lamar, aus einer alteingesessenen und einflussreichen Familie aus Savannah stammend. Er war ein leidenschaftlicher Verfechter der Sklaverei und verabscheute die Nordstaaten, die schon längst per Gesetz damit abgeschlossen hatten. Als Mitglied der „Fire Eaters“, einer extremistischen Gruppe, ging es ihm mit der Fahrt der „Wanderer“ sowohl um schnelles Geld, als auch um den Beweis, dass Sklavenhandel allen Gesetzen zum Trotz immer noch möglich sei. Regelmäßig gelang es ihm mit Hilfe einflussreicher Freunde die Beweisaufnahme Ganahls zu stören. Als etwa einer der Afrikaner aufgegriffen und festgenommen wurde, konnte dieser in der folgenden Nacht – von Unbekannten befreit – schon wieder aus der Gefängniszelle entkommen. Wenig später gelang es Ganahl weitere 36 Sklaven zu inhaftieren, auf Geheiß eines Richters wurden sie aber schnell wieder freigelassen und verschwanden spurlos. Zwischen 1859 und 1860 kam es dann zu Gerichtsverfahren gegen Lamar und dessen Handlanger, die allesamt mit Freisprüchen oder Einstellung der Verfahren endeten. Für Ganahl und die anklagende Behörde muss es wohl sehr frustrierend gewesen sein, mitanzuschauen, wie auch die wenigen, die wirklich inhaftiert wurden, in ihren Zellen mit Rotwein, Tabakwaren und feinen Speisen regelrecht verwöhnt wurden. Einflussreiche Freunde auf allen Ebenen hielten immer wieder ihre schützende Hand über die Verdächtigen. Außerdem belasteten Konflikte innerhalb der anklagenden Behörde das Arbeitsklima, so habe der beigezogene Bundesanwalt seinen Kollegen Ganahl im Verfahren wie einen untergeordneten Gerichtsdiener behandelt. Die Summe all dieser Vorkommnisse bewogen Ganahl schließlich, als District-Attorney von Savannah zurückzutreten.
Dennoch reiht sich Joseph Ganahl in seiner Funktion als Staatsanwalt gebührend in die Reihe vieler beruflich erfolgreicher Familienmitglieder ein. Meinrad Pichler macht dabei Gemeinsamkeiten aus, die für deren Karrieren verantwortlich seien: „Sie haben als echte Amerikaner selbstbewusst ihren Aufstieg und wirtschaftlichen Erfolg auch nach außen demonstriert, sie haben sich aber auch immer in öffentlichen Belangen engagiert.“
Die „Wanderer“-Episode und die fehlenden Schuldsprüche waren kurzfristig sicher ein Sieg für die Gruppe um Lamar, längerfristig änderte dies aber nichts mehr am Niedergang der Sklaverei. Danach gelang es nur noch einem einzigen Schiff, der „Clotilda“ im Jahr 1860, Sklaven nach Amerika, in diesem Fall an die Küste Alabamas zu bringen. Mit dem kurz darauf ausbrechenden Amerikanischen Bürgerkrieg und der Niederlage der Südstaaten wurde das Ende der Sklaverei dann endgültig besiegelt.
Auch der „Wanderer“ war nach diesem Vorfall nur noch eine kurze Lebensdauer vergönnt. Die Armee der nördlichen Union bestückte den einstigen Schoner im Bürgerkrieg mit Waffen und verwendete ihn aufgrund seiner bemerkenswerten Höchstgeschwindigkeit von 20 Knoten als Kurierschiff für wichtige Güter und Nachrichten. Nach dem Krieg wurde das Schiff kurzfristig für den Transport von Früchten nach Amerika verwendet, bevor es bereits 1871 an einem Felsen vor Kuba zerschellte und sank.
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