Alfons Dür

* 1948 in Lauterach, Studium der Rechts­wissenschaften in Wien, Richter, von 1998 bis 2008 Präsident des Landesgerichtes Feldkirch. Forschungen zur NS-Justiz und zu Fragen der Rechts- und Justiz­geschichte Vorarlbergs.

Einstein und das Bezirksgericht Bludenz

September 2022

Am 4. Februar 1947 schickte das Bezirksgericht Bludenz eine kurze Mitteilung an das Landesgericht Feldkirch. Da Papier knapp war, verwendete es hierfür die unbedruckte Rückseite eines Ediktes, auf dessen Vorderseite stand, dass Albert Einstein „durch Bekanntmachung vom 24.3.1934, veröffentlicht in Nr. 75 des deutschen Reichsanzeigers und Preußischen Staatsanzeigers vom 29.3.1934“ der deutschen Staatsbürgerschaft für verlustig erklärt worden war. Dieses Edikt war Teil eines Loseblattverzeichnisses ausgebürgerter Personen, das bis zum Frühjahr 1942 allen Gerichten, ab diesem Zeitpunkt aber nur mehr den Landes- und bestimmten Bezirksgerichten sowie den Staatsanwaltschaften übermittelt wurde. Von der Aufnahme in dieses Verzeichnis waren vor allem Juden betroffen, die das nationalsozialistische Deutschland verlassen hatten, aber auch oppositionelle Politiker, Schriftsteller und sonstige Personen, die sich für die Emigration entschieden und Deutschland verlassen hatten, wie etwa Willy Brandt, Bertolt Brecht, Thomas Mann oder Stefan Zweig. Insgesamt wurden rund 39.000 Personen in diesen Verzeichnissen erfasst. Ausgebürgerte unterlagen dem Vermögensverfall an das Reich und erb- und schenkungsrechtlichen Beschränkungen.
Ab 1942 wurden emigrierte Juden nicht mehr in das Ausbürgerungsverzeichnis aufgenommen, weil die mittlerweile in Kraft getretene Elfte Verordnung zum Reichsbürgergesetz die mit der Ausbürgerung verbundenen Vermögensfolgen für Juden schon im Gesetz vorsah. Ein individueller Ausbürgerungsakt war daher für diesen Personenkreis nicht mehr nötig.
Aus den vermögensrechtlichen Folgen einer Ausbürgerung wird ersichtlich, aus welchen Gründen das Bezirksgericht Bludenz – und auch die anderen rund 230 Bezirksgerichte, die es damals in Österreich gab – nach dem „Anschluss“ Österreichs an das Deutsche Reich auch über Jahre zuvor erfolgte Ausbürgerungen verständigt wurden: Die Gerichte hatten sicherzustellen, dass ein in ihrem Sprengel vorhandenes Vermögen dieser Personen für den Staat beschlagnahmt wurde und Ausgebürgerte keine Zuwendungen im Erb- und Schenkungswege erhielten.
Im Sprengel des Bezirksgerichtes Bludenz und auch im Sprengel der anderen österreichischen Bezirksgerichte wurde wohl kein Albert Einstein zuordenbares Vermögen gefunden. Sein Fall zeigt aber, mit welcher Gründlichkeit das NS-Regime auf die Suche nach dem Vermögen ausgebürgerter Personen ging. Denn obwohl Albert Einstein die deutsche Staatsbürgerschaft bereits 1934 aberkannt worden war, wurde noch Jahre später nach einem allfälligen Vermögen Einsteins gesucht, das zugunsten des Staates beschlagnahmt hätte werden können.
Interessant sind indes auch die Umstände, die zur Ausbürgerung Albert Einsteins führten. Einstein wurde 1879 „als Deutscher“ geboren, wie er in einem Lebenslauf einmal betonte, verlor aber 1895 die deutsche Staatsbürgerschaft, weil seine Eltern mit ihm nach Mailand übersiedelten. Mehrere Jahre war er staatenlos. 1901 erhielt er die Schweizer Staatsbürgerschaft. In der Schweiz absolvierte er seine Schulausbildung und hielt nach Promotion und Habilitation in Bern und Zürich Vorlesungen. Aufgrund einer Berufung an die Deutsche Universität in Prag war Einstein auch 15 Monate österreichischer Staatsbürger. Nach seiner Bestellung zum hauptamtlichen Mitglied der preußischen Akademie der Wissenschaften wurde er 1914 neuerlich deutscher Staatsbürger. Als er im Jahre 1922 den Nobelpreis für Physik erhielt, befand sich Einstein auf einer Schiffsreise nach Japan, sodass er den Nobelpreis nicht persönlich entgegennehmen konnte. Für diesen Fall sahen die Statuten der Nobelpreisstiftung vor, dass der Botschafter des Landes, dem der Geehrte angehörte, den Preis entgegennehmen sollte. Die Schwedische Akademie ging davon aus, dass Albert Einstein deutscher Staatsbürger sei und ersuchte daher den deutschen Botschafter, Einstein bei den Feierlichkeiten zu vertreten. Kurze Zeit später meldete sich aber auch der Schweizer Botschafter. Einstein sei Schweizer Staatsbürger. Auch er wollte den Nobelpreis für Einstein entgegennehmen. Tatsächlich war Einstein nach wie vor Schweizer Staatsbürger und reiste auf seiner Schiffsreise nach Japan mit einem Schweizer Pass. Juristische Prüfungen ergaben, dass er beide Staatsbürgerschaften besaß. Den Nobelpreis nahm schließlich der deutsche Botschafter für Einstein entgegen.
Als Adolf Hitler am 30. Januar 1933 Reichskanzler wurde, befand sich Einstein in Amerika. Am 11. März 1933 gab er von dort aus bekannt, nicht mehr nach Deutschland zurückzukehren: „Solange mir eine Möglichkeit offensteht, werde ich mich nur in einem Land aufhalten, in dem politische Freiheit, Toleranz und Gleichheit aller Bürger vor dem Gesetz herrschen. Zur politischen Freiheit gehört die Freiheit der mündlichen und schriftlichen Äußerung politischer Überzeugung, zur Toleranz die Achtung vor jeglicher Überzeugung eines Individuums. Diese Bedingungen sind gegenwärtig in Deutschland nicht erfüllt.“ Einstein wollte die deutsche Staatsbürgerschaft von sich aus zurücklegen und erkundigte sich, welche Schritte er hierzu unternehmen müsse. Deutsche Behörden verzögerten dies bis zum Inkrafttreten des Gesetzes vom 14. Juli 1933, das die Aberkennung der deutschen Staatsbürgerschaft ermöglichte und erkannten ihm dann die deutsche Staatsbürgerschaft ab.
An seinem Wohnsitz in Berlin wurden daraufhin Bilder, Teppiche und diverse Einrichtungsgegenstände beschlagnahmt. Auch sein Segelboot, der von ihm heiß geliebte „Tümmler“, wurde beschlagnahmt. Wissenschaftliche Manuskripte konnten mit Hilfe der französischen Botschaft gerettet werden.
Albert Einstein wurde am 1. Oktober 1940 amerikanischer Staatsbürger. Die Schweizer Staatsbürgerschaft behielt er zeitlebens bei. Nach Deutschland kehrte er nie wieder zurück.

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