Matthias Sutter

*1968 in Hard, arbeitet auf dem Gebiet der experimentellen Wirtschaftsforschung und Verhaltensökonomik, ist Direktor am Max Planck Institut zur Erforschung von Gemeinschaftsgütern in Bonn und lehrt an den Universitäten Köln und Innsbruck. Der Harder war davor auch an der Universität Göteborg und am European University Institute (EUI) in Florenz tätig.

Fehlverhalten im Beruf und die unterschiedlichen Folgen für Männer & Frauen

Februar 2024

Auf Arbeitsmärkten gibt es nach wie vor Unterschiede zwischen Männern und Frauen im Hinblick auf deren Gehälter und Aufstiegschancen. Gilt das auch im Hinblick auf Sanktionen im Fall von Fehlverhalten? Daten aus der Finanzbranche lassen diesen Schluss zu.

In meinen vergangenen Beiträgen habe ich über Lohnunterschiede zwischen Männern und Frauen, die Auswirkungen von Gehaltstransparenz oder Bedeutung von weiblichen Führungskräften geschrieben. Grob zusammengefasst ging es also um Gehälter und Aufstiegschancen von Frauen und Männern. Diese sind in vielen Fällen und Branchen nach wie vor nicht gleich und sowohl politische Entscheidungsgremien als auch Unternehmen versuchen, Fortschritte bei der Gleichstellung zu machen. Im Vergleich zu früheren Jahrzehnten ist schon viel erreicht, aber am Ziel sind wir als Gesellschaft ziemlich sicher noch nicht.
Während aber Fragen von ungleichen Gehältern oder Aufstiegschancen zwischen Männern und Frauen relativ viel mediale und politische Aufmerksamkeit bekommen, sind andere Aspekte von Geschlechterunterschieden auf Arbeitsmärkten nach wie vor zu wenig erforscht und auch zu wenig bekannt. Das betrifft beispielsweise die Frage, ob es Unterschiede zwischen Männern und Frauen gibt, wenn sie sich in einer Firma eines Fehlverhaltens schuldig gemacht haben. Man würde spontan denken, dass es bei gleichen Verfehlungen und gleichen Tätigkeiten eigentlich keinen Unterschied machen sollte, ob ein Mann oder eine Frau die Verfehlung begangen hat. Eine aktuelle Studie von Mark Egan, Gregor Matvos und Amit Seru zeigt, dass dem aber nicht so ist.
Egan und Koautoren werteten Daten der amerikanischen „Financial Industry Regulatory Authority“ (FINRA) aus den Jahren 2005 bis 2015 aus. Die FINRA erfasst sehr detaillierte Daten über Finanzberater (Broker, Investmentberater, und dergleichen) in US-amerikanischen Finanzfirmen. Insbesondere gelten strenge Berichtspflichten im Hinblick auf Fehlverhalten von Finanzberatern. Dazu zählen beispielsweise das Handeln ohne Einverständnis des Klienten, das mehrmalige Kaufen und Verkaufen, um die Kommissionen zu erhöhen, die falsche Darstellung von Investment-Risiken oder auch Betrug am Kunden. Firmen sind zum Melden solchen Fehlverhaltens verpflichtet, weil andernfalls hohe Strafen drohen. Dadurch enthält die Datenbank der FINRA sehr detaillierte Aufzeichnungen über mögliches Fehlverhalten von Finanzberatern. Zusätzlich sind Daten über die Karrierewege, Jobwechsel, Kündigungen, Beförderungen et cetera vorhanden.
In der Studie von Egan und Koautoren wurden die Daten von rund 1,2 Millionen Finanzberatern verwendet. Die Autoren waren daran interessiert, ob Fehlverhalten von Männern und Frauen – selbst wenn es sich um die gleiche Art handelt – zu unterschiedlichen Konsequenzen führte. Insgesamt hatten sieben Prozent der 1,2 Millionen analysierten Finanzberater einen Eintrag wegen Fehlverhaltens. Im Durchschnitt führte solches Fehlverhalten zu einer Entschädigungszahlung von über 500.000 Dollar von der Firma des betreffenden Beraters an den betroffenen Klienten. Es ging also nicht um Kleinigkeiten. Von den 1,2 Millionen Beratern waren ungefähr drei Viertel Männer und ein Viertel Frauen. Die Wahrscheinlichkeit von Fehlverhalten war deutlich geringer bei Frauen – nur drei Prozent von ihnen hatten einen Eintrag – als bei Männern, bei denen neun Prozent ein Fehlverhalten gezeigt hatten. Auch die Wahrscheinlichkeit, dass nach einem registrierten Fehlverhalten innerhalb von zwölf Monaten ein weiteres folgte, war ungefähr doppelt so hoch bei Männern wie bei Frauen.
Angesichts dieser Daten könnte man vermuten, dass Männer häufiger nach einem Fehlverhalten ihre Stelle verlieren würden als Frauen, bei denen deutlich weniger Fehlverhalten festgestellt wurde. Zudem ist das Ausmaß des Fehlverhaltens bei Frauen nicht größer; ganz im Gegenteil, Männer begehen im Schnitt sogar schwerwiegendere Verstöße.
Trotzdem verloren Männer mit Fehlverhalten nur in 46 Prozent der Fälle ihre Stelle, während das bei 55 Prozent der Frauen zutrifft. Das macht einen Unterschied in der Kündigungswahrscheinlichkeit von circa 20 Prozent zuungunsten von Frauen aus. Die schlechtere Behandlung von Frauen war besonders stark in Firmen, in denen im Top-Management (auf der Vorstandsebene) keine Frauen saßen. Waren im Top-Management hingegen im Wesentlichen gleich viele Männer wie Frauen vertreten, unterschieden sich die Kündigungswahrscheinlichkeiten bei Fehlverhalten nicht mehr zwischen männlichen und weiblichen Finanzberatern. 
Dieses Ergebnis deutet daraufhin, dass Männer im Top-Management ihren Geschlechtsgenossen systematisch mehr nachsehen als Frauen. Damit ist auch ein weiteres wichtiges Ergebnis der Studie von Egan und Koautoren erklärbar. Männliche Finanzberater, die aufgrund eines Fehlverhaltens gekündigt wurden, fanden in 47 Prozent der Fälle innerhalb eines Jahres einen neuen Job in der Finanzbranche. Bei weiblichen Finanzberatern liegt dieser Anteil nur bei 33 Prozent. Frauen mit Fehlverhalten verlieren also nicht nur häufiger ihren Job, sondern sie finden auch weniger schnell wieder einen neuen. Die Autoren erklären diese Ergebnisse im Wesentlichen durch bevorzugte Behandlung von Männern durch andere (einflussreiche) Männer, während Frauen diese wichtigen Netzwerke häufiger fehlen würden. 
Auch das ist eine Form ungleicher Behandlung von Männern und Frauen auf Arbeitsmärkten, wenngleich eine seltener wahrgenommene als wenn Männer mehr verdienen als Frauen oder schneller die Karriereleiter hinaufsteigen.

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