Lea Putz-Erath

* 1980 in Niederösterreich, studierte Tourismus- Management, Soziale Arbeit und Erziehungswissenschaften. Lea Putz-Erath ist seit 2016 Lehrbeauftragte an der FHV im Studiengang Soziale Arbeit und seit 2017 Geschäftsführerin femail FrauenInformations­zentrum Vorarlberg (zur Zeit in Karenz). Davor mehrjährige berufliche Stationen als Sozialarbeiterin in Deutschland und den USA.

Gendern ohne „Gender“

März 2023

Über den Sinn geschlechtergerechter Sprache.

Ja, selbstverständlich kann jemand, dem Gleichstellung ein Anliegen ist, der geschlechtergerechten Sprache und insbesondere konkreten Sprachleitfäden kritisch gegenüber stehen. Schwer fällt mir jedoch nachzuvollziehen, dass Personen die Anliegen der Gleichberechtigung vertreten wollen, so massiv, geballt und voller Pauschalverurteilungen dagegen anschreiben. 
Legen wir doch den Fokus einmal auf das sprachliche Alltagsleben. Individuelle Sprache verändert sich: im Laufe der Zeit, in Beziehungen, mit dem Konsum von Medien, durch Lesen, Gespräche und auch durch Bräuche, Erlebnisse oder durch Wissen.
So beginnt bei vielen Menschen die Auseinandersetzung mit geschlechtergerechter Sprache weniger, weil es ein von außen aufgesetztes Regelwerk gibt, sondern weil sie aus einem bestimmten persönlichen Grund für Ungerechtigkeiten und Geschlechterdiskriminierungen sensibilisiert werden. Das kann zum Beispiel der berufliche Weg der eigenen Tochter sein, der plötzlich sichtbar macht, was bisher erfolgreich ausgeblendet wurde oder die Unzufriedenheit oder Überforderung mit der eigenen Vielzuständigkeit als Frau sein. Das kann aber auch das Bemühen um Frauen als Fachkräfte für die Organisation sein.
Ebenso ziehen die wenigsten Menschen, die ich kenne geschlechtergerechte Sprache zu 100 Prozent durch. Auch ich nicht. Aber vielleicht bin ich auch kein „Sprachpolizist“ oder „Genderaktivist“. Oder doch? Immerhin liebe ich trotzdem Sprache und ihre Schönheit. Viele finden hier oder dort ihre eigenen Lieblingsformulierungen, beginnen „Ich gehe zu meiner Ärztin“ zu sagen, wenn sie eben Patient bei einer Medizinerin sind oder fangen an, Bebilderungen von Medienberichten in Hinblick auf Geschlechtergerechtigkeit kritischer zu betrachten.
Mit der Sprache ist so viel verbunden. So ärgerte ich mich sehr über mich selbst, als ich bei einem Interview zur partnerschaftlichen Rollenteilung vielfältige Familienformen überhaupt nicht erwähnt habe. Ich habe nur von Vätern und Müttern gesprochen, kein Wort von Allein­erziehenden, oder von gleichgeschlechtlichen Eltern. Wofür es kein Wort gibt, das ist nicht besprechbar, das existiert nicht, darf nicht existieren? Ja, Sprache spielt eine Rolle bei der Gleichstellung! Wie froh bin ich über neuere Begriffe wie „Sorgearbeit“ oder „genderfluide“. Sie ermöglichen Beobachtungen an mir selbst, bei anderen Menschen oder in der Gesellschaft zu benennen, darüber zu sprechen.
Manche Entwicklungen der geschlechtergerechten Sprache finde ich auch nicht sehr sympathisch. So ist der Begriff der „Person“, der aktuell häufig statt „Mann“ oder „Frau“ oder „Mensch“ verwendet wird, recht unnahbar. Eine „Person“ war in meiner Kindheit jemand, von dem sich diejenige, die über sie spricht, lieber distanzieren wollte. „Was macht denn diese Person hier?“ strotzte in der Welt meiner Kindheit und Jugend nur so von Ablehnung, Abgrenzung und Abwertung. Dass gerade dieses Wort jetzt so gut passen soll, um Menschen aller Geschlechter zu inkludieren, finde ich gewöhnungsbedürftig. Stelle ich darum aber die gesamten Werte, die hinter den Varianten geschlechtergerechter Sprache stehen in Frage? Nein. Es steht mir ja frei, ganz unaufgeregt einfach andere Wörter zu verwenden.
Sicherlich ist im universitären Umfeld der gefühlte sprachliche Zwang größer als woanders. Allerdings gibt es in der Wissenschaft neben Regelungen zur geschlechtergerechten Sprachverwendung noch viele andere Reglements (Abgrenzung zur Alltagssprache, Verwenden von Fachbegriffen, Zitieren, Gliederung, …), die Berücksichtigung finden müssen und auf den ersten Blick recht wenig mit den eigentlichen Forschungsgegenständen zu tun haben. Nicht umsonst unterscheidet sich beispielsweise eine Doktorarbeit von einem populärwissenschaftlichen Buch. Somit könnte einfach eine Akzeptanz der Regelungen zu geschlechtergerechter Sprache neben der Akzeptanz anderer Kriterien wissenschaftlicher Güte stehen, oder?
Ohne Überheblichkeit, also persönlich, ohne Selbstgerechtigkeit, also selbstkritisch Menschen von dem Sinn gerechterer Sprache überzeugen? Ja, das ist möglich. Aber es wird schwierig, wenn davor eine Stimmung mit bewusst gewählten Wörtern voller Zorn und Ablehnung erzeugt wurde. Schade eigentlich.

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