„Ich komme aus der Sozialen Arbeit“
… damit stellt sich der neue Gesundheits- und Sozialminister Johannes Rauch vor. „Ich auch!“ bin ich versucht zu antworten und erinnere mich bei der Lektüre des wunderbaren Buchs „Kindheit(en) in Vorarlberg“ (Hg. Vorarlberger Kinderdorf, 2018) daran, warum ich mich entschlossen habe, Sozialarbeiterin zu werden.
Anfang 20 war ich neben dem Tourismusstudium Küchenchefin im Inigo, einem Gastronomiebetrieb der Caritas im ersten Wiener Gemeindebezirk. Das Inigo hat übrigens Vorarlberger Wurzeln, wurde es doch von Pater Sporschill gegründet. Der Name leitet sich vom „Hineingehen“ – „Inigo“ ab. Im Inigo waren neben ehemals langzeitarbeitslosen Menschen auch Freigänger:innen beschäftigt, also Menschen, die tagsüber für ihre Arbeit die Haft verlassen durften. Eine der Freigänger:innen war eine junge Frau, nennen wir sie Anna. Sie hatte im Alter von 21 bereits einige Jahre Haft hinter sich. Rollen und Macht waren klar verteilt: Anna die Mitarbeiterin – Lea die Chefin. In diesem Setting konnte ich mitentscheiden über Sanktionen, die möglicherweise schwerwiegende Folgen für Anna hatten. Ich wurde damals diese eine Frage nicht los: Warum hat sich das Leben von uns gleichaltrigen Frauen so unterschiedlich entwickelt? Und die für mich noch viel wichtigere Frage gesellte sich unmittelbar dazu: Was kann getan werden – was kann ich tun – um diese Ungleichheiten in unserer Gesellschaft zu reduzieren?
Darum habe ich Soziale Arbeit studiert: Weil mir das Beantworten des „Warums?“ – des Entstehens von benachteiligenden Unterschieden – nicht genug war. Sozialarbeiter:innen erlernen eine Profession, die es ihnen ermöglicht, Ungleichheiten zu reduzieren. Auf der individuellen Ebene (Einzelfallarbeit), auf der Gruppenebene (Soziale Gruppenarbeit) und auf der kommunalen Ebene (Gemeinwesenarbeit). Viele Kolleg:innen positionieren sich so, dass Soziale Arbeit auf allen Ebenen ein politisches Mandat hat.
Die Pionierinnen der Sozialen Arbeit um 1900 waren durchwegs Frauen: Alice Salomon (1872–1948, Deutschland), Ilse Arlt (1876–1960, Wien) oder Agathe Fessler (1870–1941, Vorarlberg) um drei Beispiele zu nennen. Sie beobachteten soziale Ungleichheiten und Not, begründeten konkrete Angebote (beispielsweise das Marienheim in Bregenz) zum Lindern von Leid und entwickelten umfangreiche Erklärungs- und Lösungsmodelle. Es war ihnen wichtig, ihr Know-how in Ausbildungseinrichtungen weiterzugeben. Häufig argumentierten sie mit profundem volkswirtschaftlichen Wissen. Eine bis heute kluge Untermauerung: Für den Staat rentiert es sich Armut zu reduzieren, Menschen zu helfen und Zukunft für breite Teile der Bevölkerung sicher zu gestalten. So gelang es, auf Basis der Ergebnisse der Pionier:innen die Soziale Arbeit als fixes Angebot (mit-)finanziert durch die öffentliche Hand zu etablieren.
Sozialarbeiter:innen arbeiten in unterschiedlichsten Handlungsfeldern wie beispielsweise der Kinder- und Jugendhilfe, der Haftentlassenenhilfe, der Wohnungslosenhilfe oder den Hilfen zur Arbeit.
Sozialarbeiter:innen arbeiten in großen wie kleinen Einrichtungen, auf der Straße, in der WG oder einem Büro. Sie handeln nach höchsten ethischen Standards und professionellen Diagnose- und Hilfeplanmodellen. Sozialarbeiter:innen arbeiten mit dem Instrument der tragfähigen Beziehung. Sie lassen sich auf ihre Klient:innen ein, sie gehen Umwege mit und sie stärken die Autonomie ihrer Gegenüber. Vertreter:innen meiner Profession setzen sich mit ihrem Wissen über benachteiligende Lebenssituationen und benachteiligende gesellschaftliche Strukturen für gute Rahmenbedingungen zu Prävention und Hilfe ein.
Das ist die Ansage, an der ich unseren Sozialminister messen werde: „Ich komme aus der Sozialen Arbeit.“
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