
„Integration? Es braucht einen Paradigmenwechsel“
Necla Kelek, Islamkritikerin und Publizistin, war zu Gast im Montagsforum. Und sprach in Dornbirn über falsch verstandene Akzeptanz: „Wer Vielfalt als Tatsache nimmt und keine Gemeinschaft anstrebt, fördert das Entstehen von Parallel- und Gegengesellschaften.“
Die Sozialwissenschaftlerin und Publizistin Necla Kelek gilt im deutschen Sprachraum als profilierte Islamkritikerin und als jemand, der sich kein Blatt vor den Mund nimmt. Seit 20 Jahren forscht die Frauenrechtlerin zum Thema, insbesondere zur islamisch geprägten Parallelgesellschaft, und hat beispielsweise den Zwangsehen ein eigenes Buch gewidmet. Kelek polarisiert, ihre Aussagen sind eindeutig. Beispiele? „Wenn ein türkischstämmiger Migrant, der hier studiert hat und perfekt Deutsch spricht, Salafisten unterstützt, ist er für mich verloren, er ist nicht integriert“, sagt Kelek etwa in einem Interview. In ihrem Buch „Chaos der Kulturen“ stellt sie die Frage: „Wie viel Freiheit hält unsere Gesellschaft aus, wenn Menschen andere Werte, andere Traditionen leben, ein anderes Gesellschaftsmodell anstreben?“
Kelek Referentin in Dornbirn
Ebendiese Islamkritikerin war Anfang Mai zu Gast im Montagsforum und referierte im Kulturhaus in Dornbirn zum Thema „Islam und Islamismus“, mit den erwartet klaren Positionen, mit den erwartet klaren Ansagen. Die Geschichte der Zuwanderung nach Europa, sagte die Türkischstämmige einleitend, sei einerseits eine Erfolgsgeschichte, angesichts der Millionen Zuwanderer, „die sich eine Zukunft aufbauen, ihre Identität bewahren, das Land bereichern und keine Probleme haben“. Andererseits aber sei die Integration gescheitert, und zwar bei all denjenigen, „die Kultur nicht als Konsens, sondern als Differenz suchen“. Kelek, selbst Muslimin, spricht das deutlich aus: „Wir stehen heute vor der Tatsache, dass sich europäische Gesellschaften schwertun, bestimmte Gruppen von Migranten in die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Prozesse zu integrieren. Und ganz besonders betroffen sind junge muslimische Männer und Frauen.“
Kelek spricht aus eigener Erfahrung. Sie war zehn Jahre alt, als sie 1967 von der Mutter am Bosporus in den Zug gesetzt und vom Vater in Niedersachsen abgeholt worden war. Bereits damals, sagt die heute 57-Jährige, hätten sich bestimmte Gruppen von Einwanderern ihre Identität im Islam und damit in der Abgrenzung von der europäischen Gesellschaft gesucht. Kelek scherte aus, ging gegen große Widerstände ihren eigenen Weg, studierte später Volkswirtschaft und Soziologie. „Ich habe mir meine Freiheit gegen meinen Vater erkämpfen müssen“, sagt sie.
„Elementare Rechte verletzt“
Nicht nur innerhalb des Islam muss zwischen einzelnen Gruppen differenziert werden, auch innerhalb der einzelnen Zuzugsgruppen. Integration kann laut der Publizistin nur funktionieren, wenn man die verschiedenen Traditionen, Sitten und Moralvorstellungen jeder einzelnen Migrantengruppe entscheidend berücksichtige. Mädchen, die in traditionellen, patriarchalisch strukturierten Familien leben, falle der Weg in ein eigenständiges Leben generell besonders schwer: „Da wird darauf geachtet, dass die Töchter in der Familie bleiben und möglichst traditionell heiraten, eine Ausbildung ist für diese Töchter nicht vorgesehen.“ Von der Mehrheitsgesellschaft werde „als fester Bestandteil einer anderen Kultur akzeptiert, wenn Eltern ihre Kinder von der deutschen Gesellschaft fernhalten, sie beim Schwimmunterricht und bei Klassenreisen fehlen lassen, wenn Jungen und Mädchen getrennt aufwachsen sollen, wenn Jungen zu Wächtern der Familie erzogen werden, wenn die Eltern bestimmen, wann und wen die Kinder zu heiraten haben“. In „Chaos der Kulturen“ schreibt die deutsche Staatsbürgerin: „Es wird eine archaische, oft religiös begründete Kollektivkultur akzeptiert, die elementarste verfassungsmäßige Rechte verletzt.“
Diese Akzeptanz ist für Kelek falsch. „In der Migrationsforschung oder in der Politik wird nie über Integration oder gar Assimilation von Einwanderern gesprochen, sondern nur über Vielfalt – eine Fehlleistung.“ Wer Vielfalt als Tatsache nehme und darüber hinaus keine Gemeinschaft anstrebe, deute das Staatsziel einer Bürgergesellschaft um; wer Kultur nur als Differenz betrachte, fördere das Entstehen von Parallel- und Gegengesellschaften. Zumal die Verfechter dieser Vielfalt die Rolle des Islam ignorieren würden: „Traditionelle Religion und die Art und Weise, wie sie von bestimmten Verbänden verwendet wird, sind oft ein Hindernis der Integration.“ Die Vertreter der religiösen Traditionalisten würden ihrerseits ein kultursensibles Verhalten gegenüber Muslimen einfordern, „und deshalb soll es in Schulen, an denen Muslime in der Mehrheit sind, kein Schweinefleisch mehr geben, europäische Männer sollten begreifen, dass man Kopftuch tragenden Frauen nicht die Hand geben darf, in Krankenhäusern sollen muslimische Frauen nicht von Männern behandelt werden dürfen, und während des Ramadan soll in Schulen wenig Unterricht stattfinden“. Kelek: „Die Liste, was diese Gruppe der religiösen Traditionalisten von den europäischen Gesellschaften fordert, um sich endlich integrieren zu können, ist lang.“ Sie betrachte diese Erwartungen allerdings sehr kritisch, „und ich behaupte sogar, dass uns das nicht zusammen in eine Bürgergesellschaft geführt hat“.
Definierte Bedingungen
Bei einer weiteren Fortsetzung werde man es in Zukunft „sogar mehr noch als heute mit abgeschlossenen Kiezen zu tun haben, gar mit einer eigenen Justiz innerhalb dieser Kreise und mit eigener Schattenwirtschaft“. Ihre Warnung ist eine drastische: „Solange wir orthodox orientierte Verbände haben, die ihren Kindern und ihrer Gemeinde immer wieder die uralten Traditionen vermitteln, solange werden wir auch immer so etwas wie Islamismus haben.“ Damit das nicht eintrete, brauche es in der Integrationspolitik einen Paradigmenwechsel. „Das Zauberwort“, sagt die Forscherin, „ist Integration. Und für mich ist jemand integriert, der in dem Land, in dem er lebt, die Gesetze kennt und danach handelt, der sich in der Sprache des Landes verständigen kann, der die Gepflogenheiten des Landes kennt.“
Muslime, die Teil der modernen Zivilgesellschaft sein wollen, haben laut Kelek nur eine Möglichkeit: „Sie müssen die säkulare Gesellschaft und den Islam zusammenbringen.“
Zur Person:
Necla Kelek (* 31. Dezember 1957 in Istanbul) ist eine deutsche Sozialwissenschaftlerin und Publizistin. Sie hat sich als profilierte Islamkritikerin hervorgetan und versteht sich als Frauenrechtlerin. Sie ist Mitglied im Senat der Deutschen Nationalstiftung. Kelek hat mehrere Bücher geschrieben, unter anderen
„Die fremde Braut“, „Die verlorenen Söhne“ und „Chaos der Kulturen“.
Kommentare