Matthias Sutter

*1968 in Hard, arbeitet auf dem Gebiet der experimentellen Wirtschaftsforschung und Verhaltensökonomik, ist Direktor am Max Planck Institut zur Erforschung von Gemeinschaftsgütern in Bonn und lehrt an den Universitäten Köln und Innsbruck. Der Harder war davor auch an der Universität Göteborg und am European University Institute (EUI) in Florenz tätig.

Prosozialität, Mentoring und Arbeitsmarkt

Dezember 2022

Prosozialität bedeutet etwa, anderen vertrauen zu können, auf andere Rücksicht zu nehmen oder auch anderen etwas abzugeben. Daten aus der ganzen Welt zeigen, dass Menschen mit höherer Prosozialität am Arbeitsmarkt erfolgreicher sind.
Wie aber lässt sich Prosozialität verbessern, insbesondere in Bevölkerungsgruppen, die im Schnitt weniger prosoziales Verhalten an den Tag legen? Neue Studien präsentieren einen vielversprechenden Weg.

Wer kennt ihn nicht, den unbekümmerten, knuddeligen Bären „Balu“ aus dem Dschungelbuch? Mit dem Motto „Versuch’s mal mit Gemütlichkeit“ vertreibt er die Sorgen des kleinen Mogli, der als kleines Kind im Dschungel ausgesetzt wurde. Der sympathische Bär Balu wurde in Deutschland zum Namensgeber für ein bundesweites Mentorenprogramm, „Balu und du“, mit dem junge Kinder im Volksschulalter im außerschulischen Bereich gefördert werden sollen. Dazu übernehmen ehrenamtlich tätige Personen – sehr häufig Studierende – für ein Jahr eine individuelle Patenschaft für ein Kind, das sie während des ganzen Jahres mindestens einmal wöchentlich für ein bis drei Stunden besuchen und dann verschiedenste Aktivitäten gemeinsam ausüben. Dazu zählen beispielsweise Besuche im Zoo, einfach miteinander reden oder gemeinsam Sport betreiben. Das Mentorenprogramm ist insbesondere für junge Kinder aus bildungsferneren beziehungsweise weniger betuchten Familien gedacht.
Fabian Kosse, Armin Falk, Pia Pinger, Hannah Schildberg-Hörisch und Torsten Deckers haben in einer vielbeachteten Studie untersucht, welche Auswirkungen dieses Mentorenprogramm auf die Prosozialität junger Kinder hat. Da sich soziales Verhalten schon früh im Leben entwickelt, gleichzeitig aber später für die Berufslaufbahn einen sehr starken Einfluss hat – prosozialere Menschen sind weniger häufig arbeitslos und verdienen mehr Geld, wie aktuelle Daten aus über 70 Ländern der Welt belegen – wollten Fabian Kosse und seine Koautoren wissen, ob das Mentorenprogramm „Balu und du“ einen Einfluss auf Prosozialität hat.
Ausgangspunkt ihrer Studie war die Beobachtung, dass es im Schnitt deutliche Unterschiede im Ausmaß an Prosozialität zwischen Kindern aus höher gebildeten und besser verdienenden Familien und jenen aus weniger gebildeten und ärmeren Familien gibt. Kinder aus der letzteren Gruppe von Familien sind relativ weniger prosozial (mit Betonung auf „relativ weniger“). Das lässt sich durch einfache verhaltensökonomische Messinstrumente belegen, bei denen es etwa um das Ausmaß von Vertrauen, die Vertrauenswürdigkeit oder die Großzügigkeit einer Person geht.
Das Forschungsteam lud über 10.000 Familien aus dem Raum Bonn und Köln zur Teilnahme am Mentorenprogramm ein. Ungefähr 1600 dieser Familien mit sieben- und achtjährigen Kindern waren an der Teilnahme interessiert. Davon konnte dann ungefähr die Hälfte an der Studie teilnehmen. Die teilnehmenden Familien hatten entweder einen relativ hohen sozioökonomischen Status – waren also relativ besser gebildet oder reicher – oder einen relativ niedrigen sozioökonomischen Status. Nur Kinder aus der letzten Gruppe kamen für das Mentorenprogramm in Frage, was dazu führte, dass die Autoren in dieser Gruppe einen Teil der Kinder zufällig für das Programm auswählten, einen anderen Teil aber als Kontrollgruppe weiter beobachtete und befragte. Zu diesen beiden Gruppen von Kindern mit niedrigem sozioökono­mischen Status kam dann noch eine zweite Kontrollgruppe aus Kindern mit hohem sozioökonomischen Status.
Wie in anderen Studien auch beobachteten die Autoren in den beiden Kontrollgruppen einen starken Unterschied im Ausmaß an Prosozialität zwischen Kindern aus Familien mit niedrigem beziehungsweise hohem sozioökonomischen Status. Das lag vor allem an weniger intensiven Bezugspersonen und anderen Rollenvorbildern. Bedeutsamerweise hatte das Mentorenprogramm aber einen sehr positiven Effekt auf die Prosozialität der Kinder. Im Verlaufe eines Jahres stieg das Ausmaß an Prosozialität der Kinder im Mentorenprogramm (die alle aus Familien mit niedrigem sozioökonomischen Status kamen) auf das Niveau der Kinder aus den Familien mit hohem sozioökonomischen Status an. Das Mentorenprogramm hatte also die ursprünglich bestehenden Unterschiede zwischen diesen Gruppen vollkommen ausgeglichen. Detaillierte Analysen zeigen, dass dieser Ausgleich vor allem auf die starke soziale Bindung zu den (selbst sehr prosozialen) Mentoren und auf die Intensivierung sozialer Kontakte durch das Mentorenprogramm zurückzuführen ist. Die Effekte des Programms halten mindestens zwei weitere Jahre lang an, wie Nachfolgeerhebungen zeigten. Es ist also davon auszugehen, dass das Programm einen kausalen Einfluss auf die Herausbildung größerer Prosozialität in den Volksschuljahren und darüber hinaus hat. Das gibt Anlass zur Hoffnung, dass Startnachteile von Kindern aus Familien mit niedrigerem sozioökonomischen Status zumindest teilweise ausgeglichen werden können. 
Es ist nämlich nicht von der Hand zu weisen, dass es im Laufe des Lebens häufig selbstverstärkende Prozesse gibt, die oft in eine Art Teufelskreis münden können. Wenn die Prosozialität in jungem Alter vom sozioökonomischen Status der jeweiligen Familie abhängt, gleichzeitig aber Prosozialität für Erfolg im späteren Berufsleben bedeutsam ist und damit etwa einen messbaren Einfluss auf das Einkommen hat, dann hat ein Startnachteil in der Kindheit und Jugend möglicherweise einen sehr lang anhaltenden negativen Effekt, der den jeweiligen sozio­ökonomischen Status verfestigt. Darum sind Interventionen wie das beschriebene Mentorenprogramm wichtig.

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