Gerold Strehle

geboren 1974 in Linz, Architekt, Gründer des Büros für Architektur und Umweltgestaltung in Bregenz und Wien

© Foto: Angela Lamprecht

Vom Großen zum Kleinen - Die Neuanordnung der Vision Rheintal

Februar 2018

Die Distanz und die wöchentlichen Wegzeiten zwischen Ihrem Wohnort und Ihrer Arbeitsstätte, die Erreichbarkeit öffentlicher Verkehrsmittel, der zeitliche Aufwand ausgelagerter Kinder- und Altenbetreuung beziehungsweise der Schulweg Ihrer Kinder, Verkehrsräume, welche nur von einem Verkehrsmittel benutzt oder von unterschiedlichen Fortbewegungsmitteln in Anspruch genommen werden können, eine fußläufige oder eine erzwungene, motorisierte Erreichbarkeit Ihres bevorzugten Natur- und Erholungsraums am Wochenende …

Haben Sie schon mal darüber nachgedacht, in welchem Umfang Ihre individuelle und persönliche Lebensqualität mit Problemstellungen der Raumplanung in direktem Zusammenhang steht? Sind Sie sich des Umstands bewusst, dass Ihr Alltagsleben zum überwiegenden Teil von raumplanerischen Strategien bestimmt wird und auch durch zukünftige Planungen und Reglements bestimmt sein wird? Letztendlich sogar die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit eines Unternehmensstandorts dadurch definiert wird?
Werte an Grundstücken und Gebäuden sind in etwa siebenmal höher als alle anderen Vermögenswerte zusammengenommen! Demzufolge spielt das Regelwerk von Landnutzung eine entscheidende Rolle – sowohl bei der Verteilung der jeweiligen Gebrauchsrechte als auch bei der Legitimation jener Stellen, welche die Reglements verabschieden und für verbindlich erklären.

Die OECD hat dazu vor nicht allzu langer Zeit eine Vergleichsstudie*) über Planungssysteme und -konzepte ihrer Mitgliedsstaaten veröffentlicht. Im Gesamtüberblick der westlichen Industriegesellschaften lässt sich erkennen, dass unsere Planungssysteme ähnlich aufgebaut sind und seit Mitte des vergangenen Jahrhunderts die an sie gestellten Anforderungen erfüllen. Diese Analogie betrifft die Gliederung in drei institutionalisierten Hierarchieebenen: Bund – Land – Gemeinde. Diese drei Ebenen (national, regional, lokal) korrespondieren auch mit Planungsumfang, -zeitraum und -finanzierung und mussten in den OECD-Ländern bis dato selten bis gar nicht geändert werden. Im Gegensatz dazu unterliegen Planungsmethoden und -strategien kürzeren Lebenszyklen und müssen auch häufiger an geänderte Rahmenbedingungen angepasst werden. Dem Aspekt der zunehmenden Komplexität von Planungsprojekten wird in den OECD-Ländern dadurch Folge geleistet, dass Mechanismen zur fachlichen Koordination und zu hierarchieübergreifenden Schnittstellen in der Raumplanung mittlerweile implementiert wurden. Bedauerlicherweise zielen diese Formen der Zusammenarbeit jedoch überwiegend auf den kleinsten gemeinsamen Nenner und nicht auf die zukunftsträchtigsten Strategien.

Sobald die Diskussion auf zeitgemäße Planungsstrukturen und -strategien fällt, lohnt sich aus raumplanerischer Sicht ein Blick in die Niederlande: Im Vergleich mit Österreich weisen die Niederlande die zweifache Bevölkerungsanzahl Österreichs auf – jedoch innerhalb der halben Fläche unserer Republik. Dies bedeutet eine vierfache Bebauungsdichte und einer der dichtesten Ballungsräume innerhalb der OECD-Länder. Es versteht sich von selbst, dass ein dementsprechender Bebauungs- und Nutzungsdruck auf die verbliebene Fläche gut gemanagt werden muss.

Von großmaßstäblichen Entwurfs- und Entwicklungsplanungen hat man sich in den Niederlanden schon vor langer Zeit verabschiedet. Zu schnell wurden langfristige Planungsprozesse vom gesellschaftlichen Wandel eingeholt: Die Emanzipation von Interessensgruppen und die eingeforderte Partizipation der Bevölkerung prägen heutzutage den raumplanerischen Alltag. Obwohl die Niederlande als zentralistischer Staat die Bündelung von Kompetenzen wesentlich effizienter gestalten konnte als eine föderalistisch organisierte Republik Österreich, delegierte man die Lösungskompetenz auf ein integrales Planungssystem, welches sich auf kommunale, regionale und nationale Expertisen und Fachleute stützt.

Ein wesentlicher Aspekt der Arbeit dieser hierarchieübergreifenden „Living Lab’s“ ist das Grundverständnis der jeweiligen Aufgabenstellung: Hier wird nicht an akademischen raumplanerischen Projekten getüftelt, sondern an dynamischen, zukunftstauglichen Strategien quer durch alle wissenschaftlichen und planerischen Materien zur Verbesserung des Status quo! Dieser Umstand beinhaltet zu einem großen Teil auch konzeptionelle Mitarbeit von Querdenkern wie Designern, Landschaftsarchitekten und Architekten, um aus den verschiedensten Anforderungen und Rahmenbedingungen zweckvolle und zielorientierte Synthesen zu generieren.

Nachdem dieses Planungssystem alle beteiligten Interessensgruppen frühzeitig einbindet und partizipativ die jeweiligen Projekte entwickelt, stellt dies auch in legislativer Hinsicht eine Alternative zum österreichischen Weg dar, der urbanem Wachstum in raumplanerischer Hinsicht durch eine zunehmende Anzahl an Gesetzesmaterien begegnet.
Was hat das Ganze nun mit Vorarlberg zu tun?

Nachdem Vorarlberg als einziges Bundesland Österreichs keine landesweiten räumlichen Entwicklungsplanungen verordnet hat, kommt der Vision Rheintal zwischen 2006 und 2016 eine besondere Bedeutung zu. Alle relevanten Handlungsfelder zu raumplanerischen Fragestellungen wurden in diesem unverbindlichen Format diskutiert, verhandelt und daraus teilweise auch Lösungsstrategien abgeleitet.

Jedoch zeigt sich unter anderem – wie am Beispiel der Niederlande erwähnt –, dass gesellschaftliche Veränderungen schneller um sich greifen können als planerische Strategien: Beispielsweise fehlt beziehungsweise fehlte bisher in der Vision Rheintal das Thema der mangelnden Verfügbarkeit gewidmeter Flächen ebenso wie die dynamische Entwicklung von Baulandpreisen und die Überlegungen eines landesweiten Baulandfonds. Ebenso wenig sind der Stellenwert und die Nutzung der Landesgrünzone geklärt sowie die Aufweitungen des Rheins im Rahmen des Hochwasser- und Erholungsraumprojekts RHESI. Auch die aktuell unkontrollierte und beliebige Höhenentwicklung von Gewerbegebieten findet sich nicht auf der Agenda der Vision Rheintal.

Vor diesem Hintergrund war das Land aufgerufen, ein Nachfolgemodell der Vision Rheintal zu initiieren, wobei ganz klar zum Ausdruck kam, dass dabei die Verbindlichkeit aller Beteiligten erhöht und der Schritt von der Diskussion zur Umsetzung erfolgen muss.

Organisatorisch wird das Rheintal nun in einzelne zusammenhängende Regionen gegliedert, welche sich aus mehreren benachbarten Städten und Gemeinden zusammensetzen. Ein gemeindeübergreifendes räumliches Entwicklungskonzept (REK) ersetzt die bisherigen REKs, wie es beispielsweise rund um den Kummenberg bereits praktiziert wird.

Diese sogenannten Kooperationsräume sind angehalten, ihre individuellen lokalen Schwerpunkte zu setzen und werden dabei fachlich und qualitativ vom Land begleitet. Als Anreizsystem dient eine lukrative Förderschiene – auf gesetzliche Regelungen und Verordnungen hofft man, auf diese Weise verzichten zu können.
Das Management dieser Kooperationsräume wird zukünftig auch verstärkt Vernetzungsaufgaben in beide Richtungen – der Landesverwaltung wie auch der Gemeindeverwaltung – erfüllen müssen und es wird sich weisen, inwiefern diese neue Verwaltungseinheit Erfolg haben wird: Stichwort kleinster gemeinsamer Nenner statt zukunftsträchtige Strategie.

Es wird sich auch hier zeigen, inwiefern die zukünftige Leitung der Raumplanungsabteilung politisch unabhängig agieren kann und Fachabteilungen der Landesverwaltung gewillt sind, interdisziplinär und hierarchieübergreifend zusammenzuarbeiten.

Abschließend betrachtet ist die Neuaufsetzung der Vision Rheintal ein dringend erforderlicher Schritt, um aktuelle, zukünftige raumplanerische Entwicklungen strukturiert und zukunftsgerichtet bearbeiten zu können. Der „Vorarl­berger Weg“ des offen geführten Diskurses und der Freiwilligkeit wird auch weiterhin beschritten. Es bleibt anzumerken, dass unabhängig von Organisationsform und Verwaltungsstruktur auch das Engagement und die Expertise aller Beteiligten in diesen Prozessen darüber entscheiden, ob die gegenwärtigen Herausforderungen im Rheintal gemeistert werden und zum Gemeinwohl beitragen können.

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