Helmut Kramer †

(*1939 in Bregenz, † 2023 in Wien)  war von 1981 bis 2005 Leiter des Österreichischen Instituts für Wirtschaftsforschung, ab 1990 Honorar­professor an der Universität Wien, 2005 bis 2007 Rektor der Donau-­Universität Krems.
Foto: Robert Newald

 

Worüber ich gegenwärtig optimistisch bin

April 2016

Noch nie wurden Zuversicht und Zukunftsglaube eines ganzen Kontinents so erschüttert wie in den letzten Monaten. Eine tiefe Verunsicherung, Entsetzen und Angst haben sich über Europa gelegt. Unsere privilegierte Situation inmitten einer Welt von Elend, Spannungen und Unvermögen wurde uns noch nie so klar bewusst: die Bilder hunderttausender Flüchtlinge, die alles aufs Spiel setzen – und oft genug verlieren, die Bilder von Attentaten, die Unschuldige treffen, von Brutalität und Menschenverachtung. Und dazu Hilflosigkeit der Politik, Bedrohungen der Umwelt und der Demokratie und gefährliches Knacken im Gebälk von Institutionen, die uns Fortschritt gewährleisten sollen: globale Wirtschaftsordnung, EU und Euro, Schengen, Friede mit Russland, Solidarität und soziale Sicherheit, Menschenrechte.

Dem Ökonomen fällt es nicht schwer, zu begründen, warum die Krise in absehbarer Zeit nicht behoben sein wird. Sie könnte im Gegenteil noch schlimmer werden. Fast schon krampfhaft wird – wie früher – ein wirtschaftlicher Aufschwung herbeiprognostiziert. Übertriebener Pessimismus könnte sich aber selbst verwirklichen. „Lasset alle Hoffnung fahren, ihr, die ihr hier eintretet“ konnte Dante über das Tor zum Inferno schreiben. Ein Ökonom darf das sicher nicht.

Fragen Sie einen aus dieser Zunft einfach: Gibt es etwas, Herr Kramer, über das sie gegenwärtig optimistisch sind? Die gegenteilige Frage wäre leichter zu beantworten. Man muss schon ziemlich ungerührt sein, Hoffnungen auf eine bessere Zukunft zu begründen. Ausgenommen vielleicht die kleinen Beobachtungen, die, wenn man sie sehen will, das Leben auf der Erde immer noch wunderschön erscheinen lassen: die aufblühenden Frühlingsblumen, ein freundliches Lächeln der Sympathie, das einem unerwartet geschenkt wird, die ersten Schritte des Enkels auf eigenen Beinen, Zuneigung und Liebe.

Fortschritt

Gibt es den noch? Da ich in letzter Zeit öfter, als mir lieb war, der modernen Medizin ausgeliefert war, sehe ich gewaltig verbesserte Leistungen in Diagnose und Therapie: etwa bei modernen bildgebenden Verfahren oder in der minimal-invasiven Chirurgie. Und wenn nicht alles täuscht, ist ein Durchbruch  basierend auf Gentechnik und Mikrobiologie im Gang. Auch der Service wird deutlich besser: Wie mein Augenchirurg die Sehfähigkeit der Netzhaut meines Auges wiederherstellte, war schon eine tolle Leistung. Dass ich dann zur stationären Betreuung in einem Wiener Krankenhaus auch noch eine Krankenschwester aus Langenegg bekam, war eine Sonderleistung. Ich jammere nicht mehr, unser Gesundheitssystem sei krank.

Umwelt

Das Bodenseewasser und die meisten Flüsse und Bäche sind mittlerweile so sauber, dass die Erträge der Fischerei zurückgehen. Felchen und Zander finden immer weniger zu fressen. Zu sauber? Immerhin: In mancher Hinsicht wurde die Umwelt tatsächlich besser. Und im Weltmaßstab gibt Hoffnung, dass nun doch weit überwiegend anerkannt wird, dass die Erde ein endlicher Lebensraum ist. Und dass es im Prinzip möglich und geboten wäre, die Atmosphäre nicht als grenzenloses Abfalllager für energetische Endprodukte und Klimagase anzusehen. Ob sich das rechtzeitig durchsetzen wird, darüber muss man allerdings noch ziemlich skeptisch sein.

Unsere Jugend

Auch wenn ihre Schulbildung eher auf die Verhältnisse des späten 19. Jahrhunderts zugeschnitten scheint, entwickeln immer mehr Burschen und Mädchen erstaunlich viel Fantasie und neue Lebensformen, die die Verhältnisse des gegenwärtigen Jahrhunderts umgestalten – beileibe nicht nur Computerspiele, sondern auch innovative Anwendungen der digitalen Welt, leichtere Formen des Zusammenlebens und soziale Intelligenz. Soziale Netzwerke erleichtern ihnen ihre schwierig gewordenen Startbedingungen. Wir Älteren kannten den Begriff Netzwerke noch gar nicht, wir verfügten nicht über das gesamte Wissen der Menschheit weltweit auf Knopfdruck, oder besser: durch Wischen mit dem Daumen auf dem Touchscreen des Smartphones.

Heimat

Vorarlberg ist eine Modellregion geblieben. Das verdankt das Land vielleicht seiner Lage in der Mitte, jedoch nicht in den Zentren des Trubels der Großstädte Europas. Und, vielfach erlebt, einer Mentalität, die Tatkraft mit Eigenverantwortung und Weitblick kombiniert. Die französische Architektin Dominique Gauzin-Müller beschreibt in ihrem Meisterwerk „Ökologische Architektur in Vorarlberg“ das Ländle nicht nur als architektonisches, sondern auch „als soziales, ökonomisches, kulturelles und dynamisches Modell“. Darauf stütze ich einigen Optimismus.

Spiritualität

Ich schöpfe Zuversicht aus dem Brief der österreichischen Bischöfe an die Regierung über die Verbindlichkeit des Asylrechts, deren Mahnungen übrigens auch der Präsident des Verfassungsgerichtshofs zugestimmt hat. Auch aus gelungenen Erfahrungen mit der Integration von Flüchtlingen, denen zu helfen nicht nur eine Last, sondern auch als innere Bereicherung erlebt werden kann. Auch gibt Hoffnung, dass Papst Franziskus Mutter Teresa heiligsprechen wird und nicht den doch fragwürdigen letzten österreichischen Kaiser.

Wissenschaft

Sie zögern, mir das alles abzunehmen? Auch die Jünger der unglücklichen Wissenschaft von der Ökonomie geben nach dem eklatanten Versagen ihres Fachs vielversprechende Signale: Weltumspannend hat sich eine fast revolutionäre Bewegung der Studierenden und ihrer geistig noch nicht alt gewordenen Professorinnen und Professoren gebildet, die, finanziell unterstützt von George Soros, einige fatale Dogmen über Bord werfen und „New Economics“ vorantreiben. Psychologie, Gesellschaftswissenschaften und historische Erfahrungen werden nicht mehr krampfhaft ausgeklammert, sondern zu realistischen Ansätzen für die großen gesellschaftlichen Probleme der Gegenwart zusammengefügt.

Zum Schluss ein Argument, bei dem ich sicher bin, nicht viel Widerspruch zu ernten: Unter der Leitung des Schweizers Marcel Koller bin ich optimistisch für die österreichische Nationalmannschaft bei der Europameisterschaft in Frankreich.

Und wenn Sie auch da nicht so sicher sind, verrate ich gerne, bei welchem Anblick ich Glücksgefühle empfinde, weil er sich solange ich zurückdenken kann, nicht geändert hat, trotz aller Umbrüche der Welt: der Blick vom Bartholomäberg oder von hinter der Innerberger Kirche hinüber zu den Drei Türmen und zur Zimba, oder der vom Pfänder auf den See vor Sonnenuntergang, oder beim Plätschern des Dorfbrunnens auf dem Kirchplatz in Schwarzenberg. Und das sind nur wenige Beispiele von vielen, die das Land jedem, der sehen will, anbietet. Die sind alle wundervoll geblieben, seit ich sie vor langer Zeit zum ersten Mal bewundern konnte.
Wenig Anlässe für Optimismus? Natürlich könnte ich ohne viel Mühe noch etliche hinzufügen: Steuer-, Pensions- und Schulreformen haben in Österreich einen Grad an „Qualität“ erreicht, dass man nur noch optimistisch sein kann. Schlechter können sie nämlich nicht werden.

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