Martin Rümmele

* 1970 in Hohenems, ist mehrfach ausgezeichneter Gesundheitsbereich- und Wirtschaftsjournalist und Verleger. Er lebt und arbeitet in Wien und Kärnten und ist Autor mehrere kritischer Gesundheitsbücher unter anderem „Zukunft Gesundheit“, „Medizin vom Fließband“ und „Wir denken Gesundheit neu“. 

Unwirksame Medikamente

Oktober 2016

Antibiotika gehören wohl zu den wichtigsten und effizientesten Medikamenten überhaupt. Doch ihre Wirksamkeit lässt nach: Zunehmend werden Bakterien resistent. Der Kampf gegen die „Superkeime“ wird immer wichtiger. Nun warnt sogar die UNO vor der „größten Gefahr für die moderne Medizin“.

Antibiotika töten Keime und haben seit ihrer Entdeckung im Jahr 1928 Millionen von Menschen das Leben gerettet. Sie sind wohl die wichtigsten Arzneimittel überhaupt. Heute ist es in den meisten Staaten fast undenkbar, an kleineren Schnittwunden oder einer Halsentzündung zu sterben. Genau das befürchten aber Mediziner und auch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) für die Zukunft. Bereits vor knapp zwei Jahren warnte Keiji Fukuda, Assistant Director-General für Gesundheitssicherheit und Umwelt: „Ohne akutes, gemeinsames Handeln von vielen Akteuren steuert die Welt auf eine post-antibiotische Ära zu, in der harmlose Infektionen und kleinere Verletzungen, die über Jahrzehnte behandelbar waren, wieder tödlich sein können.“ Zuletzt hat nun auch die UNO das Thema auf die Tagesordnung der Vollversammlung in New York gesetzt.

Der Grund für die Sorge sind resistente Bakterien. Kommt ein Patient mit einer schweren Infektion ins Krankenhaus, liegt das Risiko, dass die bisherige Standardtherapie mit Antibiotika nicht mehr wirkt, bereits bei 25 Prozent, bei einigen Tuberkulose-Stämmen liegt die Resistenzrate sogar bei 50 Prozent. Ist das allein schon schlimm genug, kommt noch eine zweite Entwicklung dazu: Antibiotikaresistente Keime machen zunehmend sogar Menschen, die mit ganz anderen Problemen kommen, im Spital krank. Das Europäische Zentrum für Krankheitskontrolle (ECDC) geht von jährlich in der EU auftretenden 4,1 Millionen Infektionen aus, die „gesund“ ins Krankenhaus gekommene Patienten dort erst erwerben. Das führt demnach jährlich zu 37.000 Todesfällen. Die Autoren einer Studie der Berliner Großklinik Charité warnen wiederum, dass die Zahl der Toten von jetzt weltweit etwa 700.000 pro Jahr bis 2050 auf zehn Millionen steigen könnte. Für Europa würde dies einen Anstieg von jetzt etwa 23.000 auf 400.000 Tote bedeuten. Damit würden dann mehr Menschen an multiresistenten Keimen sterben als an Krebs, so die Autoren. Umgerechnet auf Österreich wären das in jedem Fall mehr als 1000 Tote pro Jahr. Zum Vergleich: Im Straßenverkehr kamen im Vorjahr 430 Menschen ums Leben.

Gut ein Zehntel der Krankenhauskeime gilt heute bereits als multiresistent (MRSA), das heißt, sie reagieren nicht mehr auf gängige Antibiotika. Die Gründe dafür liegen unter anderem im unkontrollierten und ausufernden Einsatz von Antibiotika in den vergangenen 30 Jahren. Oft greifen Ärzte leichtfertig zu Antibiotika – nicht selten unter dem Druck von Patienten, Antibiotika zu verschreiben, etwa bei Atemwegsinfektionen. Viele Ärzte geben dem nach, um Patienten nicht zu verlieren oder weil sie in der Diagnose nicht ganz sicher sind. Rund 90 Prozent der Atemwegsinfektionen sind aber virale Infektionen – und da wirken Antibiotika nicht. Ein weiterer Grund ist die Leistungsexplosion in der modernen Medizin: Bei immer mehr Eingriffen werden immer öfter medizinische Barrieren überwunden, und die Zahl der bakteriellen Infektionen steigt in Kliniken rasant – ebenso die Zahl der dort eingesetzten Antibiotika –, was ebenfalls zu Resistenzbildungen führt.
Österreich liegt hier im europäischen Durchschnitt. „Unsere Infektionsrate liegt in etwa beim europäischen Durchschnitt von sechs Prozent. Pneumokokken, Harnwegs- und Wundinfektionen stehen im Vordergrund“, zitierte zuletzt Elisabeth Presterl, Chefin der Universitätsklinik für Hygiene und Infektionskontrolle im Wiener AKH (MedUni Wien), neue Daten aus einer österreichischen Studie.

Immer mehr rücken Infektionen mit dem Durchfallkeim Clostridium difficile in den Blickpunkt von Hygienikern und Infektionsfachleuten. „Was wir gesehen haben, ist eine Sterblichkeit von mehr als zehn Prozent“, sagt Franz Allerberger, Experte der Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit. „Fakt ist, dass die Belagstage im Krankenhaus in einem solchen Fall um zehn Tage steigen. 10 bis 15 Prozent der Patienten erleiden später einen Rückfall.“ Damit haben Krankenhausinfektionen und postoperative Wundinfektionen nicht nur problematische medizinische Konsequenzen, sondern verursachen auch erhebliche Kosten. Nicht zuletzt deshalb suchen auch alle Krankenhäuser nach Lösungen, um Infektionen zu verhindern. Die Vorarlberger Landeskrankenhäuser etwa verfügen über ein eigenes Institut für Krankenhaushygiene und Infektionsvorsorge. Ein eigenes Team betreut dort Infektionsüberwachungsprogramme, führt Hygieneschulungen und Antibiotikaberatungen durch und arbeitet Infektionen und Resistenzen systematisch auf.

Das Problem dabei: Die Ursachen für Resistenzen liegen nicht nur in der Humanmedizin. Neue Studien belegen nun auch einen Verdacht, der schon lange erhoben worden ist: Es gibt eine Verbindung zur Verwendung von Antibiotika bei Mensch und Tier und dem Auftauchen von resistenten Keimen. Zu diesem Schluss kamen im Vorjahr die federführenden Expertengremien der EU in einem neuen Bericht. Die ECDC, die Europäische Lebensmittelbehörde (EFSA Parma) und die EU-Arzneimittelagentur (EMA London) haben erstmals gemeinsam die Situation untersucht und Daten aus Agrarindustrie und Medizin analysiert. Demnach wurden von jedem Menschen in der EU im Jahr 2012 durchschnittlich 116,4 Milligramm Antibiotika pro Kilogramm Körpergewicht „konsumiert“. Die Nutztiere aus der Lebensmittelproduktion kamen mit im Schnitt 144 Milligramm pro Kilogramm Biomasse deutlich schlechter weg. Die Experten in ihrem Bericht: „Insgesamt wurde ein Zusammenhang zwischen der Verwendung von Antibiotika in der Tierzucht und dem Auftauchen von Resistenzen bei den meisten verwendeten Kombinationen beobachtet.“

Antibiotika werden in der modernen Viehzucht eingesetzt, um Tiere gesund zu halten und damit sie schneller wachsen. In einer Studie mit Daten unter anderem aus Österreich zeigten Forscher in der Fachzeitschrift Journal of Antimicrobial Chemotherapy, dass Schweine, Geflügel und Rinder umso öfter resistente Bakterien tragen, je mehr Antibiotika man verwendet. Die Umweltschutzorganisation Greenpeace hat im Vorjahr Schweinefleisch aus österreichischen Supermärkten untersucht. In rund einem Viertel der Proben wurden antibiotikaresistente Keime nachgewiesen. Das Fleisch stammte aus konventioneller Haltung.

Damit Antibiotika auch in Zukunft wirksam bleiben, fordert Greenpeace eine deutliche Reduktion des Medikaments in der Intensivtierhaltung. Die Umweltschutzorganisation fordert, ausschließlich kranke Tiere mit Antibiotika zu behandeln und auf Reserveantibiotika, die als Notfallmedikamente für Menschen gedacht sind, in der Tierhaltung gänzlich zu verzichten.

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