Geliebte Schatten
Auf dem Areal der heutigen Vorarlberger Landesbibliothek wird seit Jahrhunderten Geschichte geschrieben. Ausgrabungen belegen, dass sich hier bereits die Kelten, die Römer sowie später die Heiligen Kolumban und Gallus niedergelassen haben. Bereits 1856 preist Franz Ransperg, Chronist der Stadt Bregenz, diesen Ort, an dem ein lebensgroßer Stein gefunden wurde, der einer Legende zufolge den Abdruck des heiligen Gallus gezeigt haben soll. Dieser heilkräftige Stein, dem fiebersenkende Wirkung zugeschrieben wurde, fand allerdings schon 1808 beim Bau des Lindauer Hafens Verwendung und wurde zu diesem Zweck zerstört.
1854 kaufte der aus Würzburg stammende Baron Ernst von Poellnitz, der bis dahin Schloss Riedenburg bewohnte, den Ansitz Babenwohl. Fasziniert von der gotischen Decke im ersten Obergeschoss habe er innerhalb von 24 Stunden den Umbau geplant und zog dann am 17. April 1855 in das in neuem Glanz erstrahlende Schloss. Ebenda wurde am 29. Dezember die evangelische Gemeinde Vorarlbergs gegründet, nachdem Kaiser Franz Joseph I. das Protestantenpatent erlassen hatte, das die Evangelischen den Katholischen rechtlich gleichgestellt hatte. Spuren der Familie Poellnitz sind in Vorarlberg noch vielerorts zu erkennen – so etwa die Villa Falkenhorst in Thüringen. John Sholto, ein Sohn der ursprünglich schottischen Industriellenfamilie Douglass, die hier ihren Sitz hatte, heiratete nämlich die Poellnitz-Tochter Wanda. Da er sich besonders um die Entwicklung des Alpinismus in Vorarlberg verdient gemacht hatte, ist auch die Douglass-Hütte am Lünersee nach ihm benannt. Er verstarb 1874 früh bei einem Jagdunfall im Klostertaler Radonatobel, woran dort noch heute eine Gedenktafel erinnert. Das Schicksal der Witwe Wanda von Poellnitz, die sich nach dem Tod ihres Gatten in den bürgerlichen Maler Jakob Jehly aus Bludenz verliebte und ihn entgegen aller Widerstände auch heiratete, wurde von Grete Gulbransson, einer Tochter aus dieser zweiten Ehe, in der Erzählung „Geliebte Schatten“ thematisiert. Das Schlösschen Babenwohl ist somit einer der wenigen Orte in Vorarlberg, der als Schauplatz einer literarischen Handlung verewigt wurde.
1906 kaufte ein Schweizer Benediktinerorden – ursprünglich aus Mariastein bei Basel stammend – das Areal unterhalb des Gebhardsbergs, um dort ein Kloster zu errichten. Der katholische Orden hatte schon 1875 im Zuge des schweizerischen Kulturkampfes den Kanton Solothurn verlassen müssen, ließ sich für einige Jahre in Frankreich, dann in Salzburg und schließlich in Bregenz nieder. Das neue Kloster erhielt den Namen „Benediktinerstift St. Gallus“ und es sollte aufgrund der Nähe zur Schweiz besonders Nachwuchs von dort aufnehmen können. Das ursprüngliche Schlösschen Babenwohl war für die Zwecke der Schweizer viel zu klein und so bauten sie bis 1917 ein stattliches Konventsgebäude, eine Stiftsbibliothek und zuletzt die Stiftskirche, heute Kuppelsaal der Landesbibliothek.
Bis 1940 blühte das Kloster auf und am Höchststand lebten hier fast 60 Personen. Schon bald nach dem Anschluss Österreichs 1938 sah sich der Orden existenziellen Bedrohungen ausgesetzt, welche Anfang 1941 zu seiner Aufhebung wegen „Volks- und Staatsfeindlichkeit“ durch die Gestapo führte. Noch am selben Tag – die Mönche hatten mit ein paar Habseligkeiten das Kloster verlassen und waren in die Schweiz geflüchtet – wurde das Kloster von SA- und Gestapoleuten regelrecht geschändet. Emmerich Gmeiner, der kürzlich verstorbene Stadtarchivar von Bregenz, hat anlässlich der Eröffnung des Kuppelsaals 1993 in einer Festschrift die Ereignisse minutiös rekonstruiert. So sollen betrunkene Parteifunktionäre Messwein aus Kelchen getrunken haben, das Kirchen- und Klosterinventar geschändet und systematisch geplündert haben. Interessanterweise wurde bei dem Treiben auch eifrig fotografiert und die Fotos später in SA-Kreisen und an den Wirtshaustischen der Stadt herumgezeigt. Über den Sinn und Zweck der Fotos konnte er nur mutmaßen: Einerseits könnte damit dokumentiert worden sein, dass die Macht der neuen Herren jene der Kirche bei Weitem übersteigt, andererseits könnte es auch sein, dass damit die Beteiligten erpressbar gemacht werden sollten. Nach dem Krieg waren jedenfalls die meisten Gegenstände aus Kirche und Kloster spurlos verschwunden; einzig die Bibliothek des Benediktinerstifts hatte die Wirren des Krieges unbeschadet überstanden.
Da die Benediktiner zwischenzeitlich wieder in ihr ursprüngliches Kloster Mariastein bei Basel zurückkehren durften, stellten sie nach dem Krieg das Gebäude und das umliegende Areal der Vorarlberger Schulbehörde zur Verfügung und entsandten nur noch einen Statthalter, der hier über viele Jahre hinweg das Schlösschen Babenwohl bewohnte, regelmäßig Messen las sowie Taufen und Hochzeiten abhielt.
Den überwiegenden Teil des Gebäudes nahm von 1946 bis 1982 das Mädchengymnasium von Bregenz auf. Nachdem 1924 der Lehrkörper des Bundesgymnasiums für Knaben die Koedukation abgelehnt hatte, gelang es nach großen Anstrengungen, im Kloster Marienberg auch den Mädchen eine gymnasiale Ausbildung anzubieten. Da sich das Kloster nach dem Krieg nicht mehr in der Lage sah, die Mädchenschule weiterhin aufzunehmen, begann die Suche nach geeigneten Räumlichkeiten. Es ist wohl der Initiative von Dr. Emil Schneider, Unterrichtsminister a. D. zu verdanken, dass mit den Benediktinern aus Mariastein ein Abkommen getroffen und die Schule ins Gallusstift verlegt werden konnte. Nachdem in Eigeninitiative von Schülerinnen und Lehrern das Gebäude notdürftig für den Schulbetrieb adaptiert wurde, konnten am 24. April 1946 die Direktion und drei Klassen übersiedeln. 1983 zogen die Mädchen in das renovierte Gymnasium Gallusstraße um und machten Platz für die Landesbibliothek, die sich zuvor mit dem Landesarchiv in der Bregenzer Kirchstraße ein Gebäude hatte teilen müssen.
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