Gerald A. Matt

Kunstmanager, Publizist und Gastprofessor an der Universität für angewandte Kunst Wien

„Jeder hat etwas zu verheimlichen“

Juli 2016

Seit vielen Jahren faszinieren Gerald Matt Romane und Filme, die um das Verbrechen, das Böse und die Abgründe der menschlichen Existenz kreisen. Sein Interesse gilt dabei den großen klassischen Autoren der Mysteries von Dashiell Hammett bis Raymond Chandler und den genialen Schöpfern des „Film Noir“ von John Huston bis Howard Hawks – Künstler, die Erzählungen und Bilder schufen, in denen sich kriminelle Fantasien und Energien auf faszinierende Weise entladen. Gerald Matt legt Ihnen heute mit „Der Malteser Falke“ das literarische Meisterwerk von Dashiell Hammett ans Herz, dessen Verfilmung durch die Regiegröße John Huston das Genre „Noir“ prägte.

Die Darstellung des Verbrechens in der Literatur und den Filmen des „Noir“ lässt nicht nur an aktuelle gesellschaftliche Debatten über die mediale Darstellung von Gewalt denken, es zeigt sich darin vielmehr eine Kulturtradition, die ihre markanten Spuren in der Kulturgeschichte hinterließ – von Märchen, Volkserzählungen und Heiligenlegenden (man denke nur an die subtile Grausamkeit der Grimm’schen Märchen) über Schauerromane und Mysteries bis hin zum True Crime – und für den Kunsthistoriker Erwin Panofsky der „Befriedigung des Verlangens nach Blut und Grausamkeit“ diente.

Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts boomte die Kunst der dunklen Psyche und erlebte in den USA in der Zwischenkriegszeit, die von der Weltwirtschaftskrise und der Blüte des organisierten Verbrechens geprägt war, in Literatur und Hollywood-Filmen ihren Höhepunkt. Die gewalttätige Realität von Amerikas Metropolen, die in den Fotos von Weegee ihre mörderische Ikonografie gefunden haben, spiegelte sich in der Fiktion, und die Fiktion wirkte zurück auf die Realität. So findet sich auch der Ursprung des „Noir“ in den mit grausamsten, mit Kindsmord, Sodomie, Mord und Totschlag gewürzten Anekdoten abschreckender puritanischer Hinrichtungspredigten (execution sermons) ebenso wie in berühmten, nichtsdestoweniger gruseligen Polizeiberichten der Jahrhundertwende.
1910 erschien „Celebrated Criminal Cases of America“, in dem der bekannte Polizeihauptmann von San Francisco, Thomas Duke, Gustostückerln des Verbrechens wie den Mord an Addie Gilmore, dessen Kopf in der Bay gefunden wurde, einem Publikum kredenzte, das in der gemütlichen Sicherheit des bürgerlichen Heimes nach wohligen Schauern gierte. Dukes Handbrevier wurde zum Who’s Who der berüchtigsten Psychopathen und zur Bibel ambitionierter „Crime“-Autoren. Dashiell Hammett, Urvater des „hard boiled“-Genres, der jahrelang selbst Erfahrungen als Privatdetektiv der Agentur Pinkerton in San Francisco gesammelt hatte, trug angeblich Dukes Buch stets bei sich. Im „Malteser Falken“ liegt es bei Hammetts berühmter Schöpfung, dem illusionslosen Detektivkollegen Sam Spade, auf dem Tisch.

Hammetts „The Maltese Falcon“, erschienen 1930, begründete nicht nur Hammetts Ruhm als Avantgardist des realistischen Romans, sondern ist bis heute der fesselnde literarische Auftakt des „Noir“ in Literatur und Film. Die kongeniale Verfilmung (es war die dritte) 1941 von John Huston mit Humphrey Bogart, Mary Astor und dem wunderbaren Peter Lorre prägte die klassische „Noir“-Periode des amerikanischen Films, der mit seiner pessimistischen Grundstimmung und den harten Schwarz-Weiß-Szenarien radikal mit Hollywoods rührseligem, bunten Happy-End-Kino brach.

Buch und Film zeichnen das Bild einer Gesellschaft, in der desillusionierte Antihelden das Gute negieren und den Glauben an das Glück verloren haben. Im hartgesottenen, meist zynischen Privatdetektiv Sam Spade hebt Hammett die Grenze zwischen Schurke und Detektiv, zwischen Gut und Böse auf. Als skrupelloser und längst korrumpierter Einzelkämpfer unterwandert er Gesetz und Moral, wird selbst Teil des von ihm bekämpften kriminellen Milieus und damit zur archetypischen Figur des „Noir“. Hammetts Sam Spade folgen Charaktere wie Chandlers Philip Marlowe oder MacDonalds Phil Archer, lakonische Einzelgänger, die ohne dauerhafte emotionale Bindung durch die düsteren Straßen heruntergekommener, gefährlicher Großstädte ziehen und in schäbigen Büros auf rare Aufträge lauern – ins Abseits geratene Helden, die längst den hehren Zweck den unlauteren Mitteln geopfert haben. In der irrationalen, unberechenbaren Welt des „Noir“ ist jeder auf der Suche nach seinem Vorteil, potenziell verführbar und böse.

Hustons Film beginnt mit von aufrührender Musik untermalten, atemberaubenden Kameraschwenks über die Bay und die dunklen Straßen von San Francisco. Es folgt in großen Lettern der Name des Detektivbüros „Sam Spade and Miles Archer“ und in einem Close-up das hartgesottene Pokerface von Humphrey Bogart, der Hollywoods „private eye“ Sam Spade sein unsterbliches Gesicht verlieh und zur Ikone des Gangsterfilms wurde. John Huston, Regisseur von Klassikern wie „Asphalt Dschungel/Raubmord“ (The Asphalt Jungle, 1950) interessiert in seinem Regiedebüt nicht primär das Ziel krimineller Machenschaften, sondern der verschlungene Weg dorthin. Regisseur Paul Schrader hielt in seinem Aufsatz „Notes on film noir“ fest, dass das „Wie“ immer wichtiger ist als das „Was“. Sam Spade erhält Besuch von einer attraktiven, aber umso abgebrühteren Klientin, die Spade mit ihren Reizen und Lügengeschichten und mit der Aussicht auf leichtes Geld schnell um den Finger wickelt. Und schon sind wir inmitten eines faulen Verwirrspiels falscher Fährten, Gier, Lügen, Verrat, Mord und mieser Typen. Alle vereint die Suche nach einer geheimnisvollen schwarzen Statue, und in der Wahl ihrer Mittel, das Objekt ihrer Begierde – den „Malteser Falken“ – in die Hände zu bekommen, gehen sie hart zur Sache. Das Drama nimmt seinen fatalen Verlauf, als Sam Spades Partner Archer nachts auf offener Straße von einer unbekannten Person kaltblütig erschossen wird. Der siegessichere, nicht selten handgreifliche und stets zynische Sam Spade verliert zunehmend die Kontrolle über einen Fall, der ihn zur Spielfigur in einer mysteriösen Angelegenheit macht, die am Ende, als alle Rätsel gelöst scheinen, alle als Betrogene und Verlierer dastehen lässt.

Hammetts Roman und Hustons Verfilmung zeugen von der anhaltenden Faszination an jener existenziellen „Twilight Zone“, in der sich Lüge und Wahrheit, Verbrechen und Gerechtigkeit vermischen, in der sich materielle und sexuelle Gier und bürgerliche Moral ineinander auflösen und zu neuen faszinierenden dunklen Parallelwelten organisieren. In ästhetischen Schwarz-Weiß-Szenarien werden die Zuschreibungen von Gut und Böse, von Schuld und Unschuld, die Rollen von Opfer, Täter oder Zeuge aufgelöst. In „The Maltese Falcon“ wird das Verbrechen zur devianten Lebens- und Kunstform und Mord zu seiner theatralen Inszenierung. Roman und Film schufen eine bis heute nachwirkende Ästhetik harter Low-Key-Bilder, die mit düsteren Licht- und Schattenwirkungen spielen und deren zynische und knappe Dialoge und tragische Schicksalshaftigkeit den „American Dream“ von Freiheit, Glück und Selbstbestimmtheit auf den Kopf stellen. Die existenzielle Ausweglosigkeit des „Noir“ beschrieb der Schriftsteller Alfred Andersch: „Das Gefühl der Vergeblichkeit und Machtlosigkeit ist ihr Leitmotiv.“

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