Ein unerwarteter Fossilfund
Manchmal hilft der Zufall, die Sammlungen der inatura zu erweitern. Werden nicht bereits bekannte Fossilfundstellen zum wiederholten Male durchforscht, so steht die Suche nach neuen Fundpunkten am Anfang der Sammeltätigkeit. Und die kann recht mühsam werden: Im Norden Vorarlbergs stehen die Chancen in den steilen, unwegsamen Gräben am besten, wo fließendes Wasser immer wieder frisches Gestein freilegt. Gleichzeitig sorgt das Wasser an anderer Stelle dafür, dass Erdreich nachrutscht und die Aufschlüsse wieder überdeckt. Die kleinen Gerinne sind einem steten Wandel unterworfen. Und selbst wenn Gestein freigespült wurde, so ist dies noch lange kein Garant für Fossilfunde. Sehr selten aber kommt es vor, dass eine neue Fossilfundstelle gleichsam im Vorbeigehen entdeckt wird. So geschehen vor rund zwei Monaten an der Pfänderstraße, an einer Stelle, wo niemand mit Fossilien gerechnet hätte.
An einem schönen Samstagvormittag also schritt ich der Straße entlang in der Hoffnung, das eine oder andere Insekt oder sonstige Krabbeltier fotografieren zu können. Gleichzeitig sollte die Pflanzenwelt an diesem Straßenabschnitt dokumentiert werden. Aber ein Geologe betrachtet auch immer das Gestein (selbst an Baudenkmälern lassen sich manchmal interessante Strukturen entdecken). Und so war es vielleicht doch kein Zufall, dass ich am Straßenrand anstelle der erwarteten lebenden Tierchen eine versteinerte Schnecke erblickte, in einem Gestein, das ich an dieser Stelle nicht erwartet hätte. Süßwasserkalk ist von anderen Stellen am Pfänderstock bekannt, und dort hat er in der Vergangenheit schöne Fossilien geliefert. Wo eine Schnecke war, sollten daher auch weitere sein. Ein Blick auf die Straßenböschung brachte Gewissheit. Die Kamera war rasch mit dem Geologenhammer vertauscht – der Fund musste gesichert werden. 72 Objekte sind mittlerweile in der Sammlung der inatura inventarisiert. Und das vorerst an der Fundstelle verbliebene Gestein muss neuerlich gesichtet werden: Denn im Zuge der Aufarbeitung zeigte sich, dass manche Schneckenarten recht klein sind – so klein, dass sicher einige Arten bei der ersten Aufsammlung übersehen worden sind.
Neben der Freude über den Fund stand eine Frage im Vordergrund: Wie konnte es sein, dass diese Stelle bisher nicht beachtet wurde? Im Jahr 2010 war hier der Hang samt Teilen der Pfänderstraße abgerutscht. Doch das dadurch freigelegte Gestein war von Schlamm überzogen. Die Sanierungsarbeiten änderten nichts daran, im Gegenteil wurde neues Erdreich über den Fels geschüttet. Begrünung sollte den Hang stabilisieren. Das Begrünungskonzept aber ging nur teilweise auf, und in den seither vergangenen Jahren hat der Regen das Steinmaterial wieder freigewaschen.
Am Pfänderstock lagert der Schutt der jungen Alpen. In dem Augenblick, als das zukünftige Gebirge in Form von Inseln aus dem Meer ragte, setzte die Abtragung ein. Im Norden bildete sich eine Vorsenke, die all die Geröll- und Sandmassen aufnahm. Das Meeresbecken war rasch gefüllt und wurde von einer Flusslandschaft mit Überschwemmungsebenen und Restseen abgelöst. Nach einer neuerlichen Absenkung wiederholte sich das Geschehen. Der Ablagerungsraum wurde erneut vom Meer geflutet, das ebenfalls rasch verlandete. Diese zweite Meeresabfolge ist im Raum Gebhardsberg – Kennelbach – Langen zu finden. Weiter bergauf gegen den Pfändergipfel zu vollzieht sich der Wandel zu Süßwasserablagerungen. In beiden Einheiten ist die Nagelfluh das dominierende Gestein. Dieses Konglomerat ist das Geschiebe, das die aus den Alpen kommenden Flüsse in die Vorsenke schütteten. Am Gebhardsberg und in der Felswand am Känzele oberhalb Kennelbach zeigen sich dem geschulten Auge die Vorschuttkörper zweier Deltas, die jeweils von Flussablagerungen überlagert werden. Meeresspiegelschwankungen sorgten dafür, dass die Flussmündungen ihre Lage änderten. Nun wurden Sand und Schlamm in flachen Lagunen deponiert. Gegen den Gipfel zu und weiter im Norden aber repräsentieren die Konglomeratbänke ausschließlich Flussrinnen. Die Mündungen in den ausgesüßten großen Restsee lagen weiter nördlich. Zwischen den Rinnen wurde das feinere Material abgelagert. Und sehr selten konnte sich in abgeschnürten Stillwasserbereichen ohne störenden Sand- und Schlammeintrag Kalk bilden. Es ist dieser Süßwasserkalk, der die meisten Fossilien aus der Oberen Süßwassermolasse – wie diese Gesteinszone in der Geologie genannt wird – geliefert hat. In den Flussrinnen wäre jedes Bodenleben vom Geschiebe zermalmt worden. Und abseits der Rinnen erstickte der hohe Sand- und Schlammeintrag die Tiere. Beide Zonen waren durchaus lebensfeindlich. Nur in geschützten Bereichen konnte sich Leben ansiedeln – und auch fossil überliefert werden. Über das Alter der Versteinerungen freilich lässt sich streiten. Es kann nur indirekt ermittelt werden. Selbst wenn radiometrisch datierbare vulkanische Aschenlagen vorhanden gewesen wären, lägen sie in diesem hochmobilen Ablagerungsraum nicht mehr ungestört vor. So bleibt nur die relative Einstufung über den Fossilinhalt. Doch diese Zeitskala basiert auf Meerestieren. Bei landgebundenen Ablagerungen wiederum gelten Säugetiere als Leitfossilien. Süßwasserschnecken eignen sich nicht für eine zeitliche Einstufung – ihre Gehäuse zeigen zu geringe Veränderungen im Laufe der Zeit. Wir müssen uns daher mit einer ungefähren Schätzung, ausgehend von den datierbaren Schichten der unterlagernden Meeresmolasse, zufriedengeben. Deren Ende wird vor rund 17,5 Millionen Jahren angenommen. Unsere Schnecken müssen also jünger sein. Wo genau sie aber innerhalb der Schichtfolge der Oberen Süßwassermolasse zeitlich positioniert werden könnten, ist (noch?) reine Spekulation.
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