Daniela Vonbun-Häusle

Redakteurin
Thema Vorarlberg

Reallabor Vorarlberg

März 2025

Experimentierraum für nachhaltige Innovationen: Ein Universitätsprofessor setzt mit seinen Studenten im Auftrag von Vorarlberg Tourismus derzeit ein Reallabor um. Untersucht werden in diesem Projekt Tourismus, Regionalentwicklung und gesellschaftlicher Wandel. Eine Zwischenbilanz. 

Wie wirken Tourismus, Regionalentwicklung und gesellschaftlicher Wandel zusammen? Seit Herbst vergangenen Jahres geht Universitätsprofessor Harald Pechlaner von der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt zusammen mit seinen Studenten dieser Frage im Rahmen eines eigens eingerichteten Reallabors Vorarlberg nach. Die Experten erforschen im Auftrag von Vorarlberg Tourismus nachhaltige Entwicklungspfade, wobei interdisziplinäre Zusammenarbeit und Bürgerbeteiligung eine zentrale Rolle spielen. Ziel ist, langfristig zukunftsfähige Lösungen zu etablieren, wobei das Reallabor als methodischer Rahmen zur Erprobung neuer Ideen in realen Umfeldern wirkt.
Laut Harald Pechlaner ist ein Reallabor „ein Raum, der Experimentiercharakter besitzt und in dem reale gesellschaftliche Prozesse erforscht und gestaltet werden.“ Reallabore bieten die Freiheit, gewohnte Rahmenbedingungen zu hinterfragen, neue Lösungen zu erproben und Transformationen zu initiieren.

Zukunftsbilder und Narrative
Doch was ist die Idee dahinter? Reallabore nutzen Zukunftsforschung, Szenario-Techniken und regionale Entwicklungsarbeit, um nachhaltige Entwicklungspfade zu erkunden. Wichtig ist die interdisziplinäre Zusammenarbeit: Wissenschaftliche Disziplinen, insbesondere Sozial-, Kultur- und Wirtschaftswissenschaften, treffen auf Akteure aus verschiedenen Lebens- und Arbeitswelten. Gemeinsam sollen Zukunftsbilder und Narrative entstehen, die als Orientierungshilfe für gesellschaftlichen Wandel dienen. 
Christian Schützinger, Geschäftsführer von Vorarlberg Tourismus, betont: „Wandel braucht Zeit. Es geht nicht um das Geschäft der nächsten 15 Jahre, sondern um die Zukunft des Lebensraums. Analog zur Vorarlberger Tourismusstrategie 2030, die auf ,Orte und Räume für das gute Leben‘ abzielt, kann Tourismus aktiv mitgestalten.“ Wandel geschehe oft in einem Tempo, das zu voreiligen Schritten verleite, sagt Schützinger weiter. „Mit dem Projekt wollen wir die operative, oft emotionsbehaftete Hektik her­ausnehmen und Veränderungen reflektiert betrachten – beispielsweise geht es um das Potenzial in der Angebotsentwicklung in schneearmen Wintern.“
Bevölkerung ist gefragt
Wie kann sich die Vorarlberger Bevölkerung die Umsetzung in Vorarlberg vorstellen? In Vorarlberg sollen Reallabore in den sechs Ferienregionen Alpenregion Vorarlberg, Arlberg, Bodensee-Vorarlberg, Bregenzerwald, Kleinwalsertal und Montafon entstehen, um Transformationen an unterschiedliche räumliche Gegebenheiten anzupassen. Die aktive Einbindung der Bevölkerung erfolgt über öffentliche Einladungen, um eine möglichst breite Beteiligung zu ermöglichen. Der Fokus liegt dabei auf Reflexion und Diskussion, wobei Meinungen und Thesen auf ihre Wirkung geprüft werden. Wichtig ist eine konstruktive Auseinandersetzung, die über oberflächliche Meinungsbildung hinausgeht.
Das Projekt ist auf eineinhalb Jahre angelegt und folgt einer strukturierten Umsetzung: Vorbereitung im Wintersemester, praktische Arbeit im kommenden Sommersemester und ein abschließender Review-Prozess. „Erste Initiativen wie beispielsweise die Zukunftsinitiative oder das PIZ Montafon haben sich bereits eingebracht. Mit ihnen werden wir zusammenarbeiten, um bestehende Projekte in das Reallabor zu integrieren“, erklärt Pechlaner. Die Reallabore setzen dabei auf einen Bottom-up-Ansatz, um lokale Gegebenheiten bestmöglich zu berücksichtigen.

Treiber der Gastlichkeit
Das neue Masterprogramm, das Pechlaner leitet, wird „Transformation und nachhaltige Lebensraumentwicklung – Tourismus neugestalten“ genannt. Es betrachtet Tourismus nicht isoliert, sondern als integralen Bestandteil eines örtlichen Lebensraums. Ziel ist es, den Tourismus als Ermöglicher für die Entwicklung von Wirtschafts-, Lebens- und Kulturräumen zu verstehen. Dabei wird angestrebt, dass sich der Tourismus nicht nur als eigenständige Branche definiert, sondern mit anderen gesellschaftlichen Bereichen verknüpft wird. „Das Ökosystem der Gastlichkeit ist die Verknüpfung von Regionalentwicklung mit der Bevölkerung, und von der Destinationsentwicklung des Tourismus mit der Standortentwicklung der Wirtschaft. Das sind nicht mehr dreigeteilte Netzwerkentwicklungen, sondern im Grunde muss es übergehen in ein Netzwerk, das sich sozusagen als „Ökosystem der Gastlichkeit“ versteht. Und die Wirtschaft wiederum ist ein Treiber für diese Hospitality“, betont Pechlaner. „Da geht es dann um die Entwicklung neuer Lebensstile der Nachhaltigkeit, um innovative Räume der Begegnung, um Fragen der Lebensqualität, um die Entfaltung kreativer Potentiale oder um neue Mobilitätskulturen“.

Langfristige Wirkung
Reallabore sind keine kurzfristigen Projekte, sondern sollen langfristig wirken. Auch nach ihrer eigentlichen Laufzeit sollen Vereine, Organisationen und Initiativen weiterhin an innovativen und nachhaltigen Konzepten arbeiten. Dazu ist eine enge Zusammenarbeit zwischen Wirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft erforderlich, um Akzeptanz und langfristige Perspektiven zu schaffen. Auch die Einbindung in überregionale Netzwerke spielt eine wichtige Rolle, sei es durch die Teilnahme an Kongressen oder die Vernetzung mit ähnlichen Projekten in anderen Regionen. Die Wirkung von Reallaboren lässt sich nicht immer unmittelbar messen. Ein Beispiel dafür ist das „rollende Reallabor“ in Südtirol, bei dem ein mobiles, nachhaltiges Haus durch verschiedene Dörfer zog, um über nachhaltiges Bauen und dessen Auswirkungen auf Lebensräume zu informieren. Solche Formate ermöglichen Dialoge und Reflexionen, die langfristig nachhaltige Entwicklungen anstoßen können. 
Das Reallabor Vorarlberg verfolgt einen ähnlichen Ansatz: Es soll Möglichkeitsräume schaffen, in denen Neues erprobt, reflektiert und weiterentwickelt wird – immer mit dem Ziel, die Zukunft aktiv mitzugestalten.

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