Thomas Feurstein

* 1964 in Bregenz, Studium der Germanistik und Geografie, Biblio­thekar und Leiter der Abteilung Vorarlbergensien an der Vorarlberger Landes­bibliothek seit 1998.

 

Antony Joseph Drexel – Der Vater der Wall Street

Juli 2015

Antony Joseph Drexel (1826–1893), der Sohn eines Vorarlberger Auswanderers, wurde wegen seiner großen Verdienste um das Bankwesen vom amerikanischen Präsidenten Ulysses Grant (1822–1885) angefragt, ob er nicht sein Finanzminister werden wolle. Obwohl Drexel ablehnte, blieb er über viele Jahre hinweg dessen finanzpolitischer Berater.

Im Jahr 1893 widmete die „New York Times“ Drexel anlässlich seines Todes einen ausführlichen Nachruf. Wie der Name des Verstorbenen unschwer erkennen lässt, handelt es sich um den Sohn eines Vorarlbergers, der nach Amerika ausgewandert war. Sein Vater Franz Martin Drexel, geboren 1792 in Dornbirn-Hatlerdorf, erlernte zunächst die Kunstmalerei und wanderte 1817 nach Amerika aus. 1837 gründete er in Philadelphia eine Wechselstube, aus der in wenigen Jahren eine florierende Bank entstand.

Sein Sohn Tony – wie ihn seine Freunde nannten – trat in die Fußstapfen seines Vaters und wurde einer der bekanntesten und reichsten Bankiers der USA mit einem bis zu seinem Lebens­ende untadeligen Ruf. Sein Einfluss auf die damalige Finanzwelt war so groß, dass durch seinen Tod sogar Kurseinbrüche an der Wall Street befürchtet wurden. Allerdings seien die Kurse laut der Zeitungsmeldung stabil geblieben, weil Drexel ein Leben lang in seinen Geschäften Spekulationen und überhöhtes Risiko gescheut habe. Aufgrund dieser soliden Basis konnte er zusammen mit seinem Geschäftspartner und Freund J. P. Morgan von Philadelphia aus eines der weltweit größten Bankhäuser aufbauen. Morgan sagte über Drexel: „He was the best friend I have ever had in every way.“

In einer Biografie mit dem Titel „A. J. Drexel – the man who made Wall Street“ schreibt ihm der Journalist Dan Rottenberg einen entscheidenden Anteil an der Entwicklung des amerikanischen Finanzsystems zu. Das Bankhaus Drexel, Morgan & Co. erblühte in einer Zeit, als die Banken beim Aufbau der Infrastruktur der USA neue Betätigungsfelder vorfanden. So zum Beispiel beim Bau des Panamakanals oder diverser Bahnlinien – Projekte, für deren Errichtung gigantische Finanzmittel nötig waren. Zwischen 1870 und 1890 verdreifachte sich das Schienennetz der USA, parallel dazu vervierfachte sich der Betrag der ausgegebenen Aktien auf über zehn Milliarden Dollar. Die Northern Pacific Railroad Company etwa wurde auf Betreiben der amerikanischen Regierung gegründet und sollte im Norden der USA den Kontinent durchqueren. Die Vorarlberger Landesbibliothek konnte dazu kürzlich ein Aktienzertifikat dieser Bahnstrecke erwerben, das die originale Unterschrift von Drexel trägt. Die Bank war überall dort zu finden, wo innovative, kostspielige Projekte nach verlässlichen Finanzpartnern suchten. So war sie es auch, die das Startkapital für Thomas Edisons Electric Light Company bereitstellte.

Im Nachruf wird Drexel auch als Philanthrop bezeichnet, der große Teile seines Vermögens für das Gemeinwohl spendete und unter anderem auch das „Drexel Institute of Art, Science and Industry“ gründete, aus dem später die noch heute existierende Drexel University in Philadelphia hervorging. Da er seine eigene Ausbildung schon mit 13 Jahren beenden musste, war es ihm ein besonderes Anliegen, eine Ausbildungsstätte zu betreiben, die jungen Menschen eine berufliche Perspektive eröffnete. Er wollte außerdem mit einer neuen inhaltlichen Ausrichtung eine Antwort auf die geänderten Anforderungen einer industrialisierten Welt geben. Anstatt Latein, Griechisch und Philosophie konnte man an der neuen Institution unter anderem Wirtschaft und Chemie, aber auch Bibliothekswissenschaften studieren. Der wichtigste Grundsatz war dabei, dass ein Studium unabhängig von Religion, Rasse, Geschlecht oder sozialer Klasse möglich sein sollte – auch in den USA des 19. Jahrhunderts eine revolutionäre Idee, da eine höhere Bildung normalerweise jungen Männern der Oberschicht vorbehalten war. Antony Drexel verwendete dafür drei Millionen Dollar seines privaten Vermögens, für damalige Verhältnisse eine ungeheure Summe.

Nachdem Drexel im böhmischen Karlsbad verstorben war, wurde sein Leichnam von Bremen aus mit dem Dampfschiff „Kaiser Wilhelm II.“ in die USA überführt. Bei der Ankunft in Philadelphia legte die Jacht von J. P. Morgan am Ozeandampfer an und die drei Söhne Drexels gingen an Bord des Ozeanriesen. Unter großer Anteilnahme der Bevölkerung wurde Antony Joseph Drexel am 19. Juli 1893 in Philadelphia begraben.

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