David Stadelmann

* 1982, aufgewachsen in Sibratsgfäll, ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Bayreuth, Fellow bei CREMA – Center for Research in Economics, Managemant and the Arts; Fellow beim Centre for Behavioural Economics, Society and Technology (BEST); Fellow beim IREF – Institute for Research in Economic and Fiscal Issues; Fellow am Ostrom Workshop (Indiana University); Mitglied des Walter-Eucken-Instituts.

 

Schwerpunkt November 2024: INNOVATION

Oktober 2024

Von Irrwegen der Politik und dem tatsächlichen Bedarf von Unternehmen. 

Nur allzu oft gilt bei einst von politischen Entscheidungsträgern als „zukunftsträchtig“ identifizierten Innovationen der Spruch: Außer Spesen nichts gewesen. Vom Friedhof der Innovations-Irrtümer und dem tatsächlichen Bedarf der Unternehmen.

Quaero, lateinisch für „ich suche“, war der Name einer europäischen Internetsuchmaschine. Die französisch-deutsche Innovationsinitiative aus dem Jahr 2005 ist ein Beispiel für einen in Europa allzu oft begangenen politischen Innovations-Irrweg. Ursprünglich sollte Quaero den amerikanischen Giganten Yahoo! und Google Paroli bieten. Jacques Chirac und Gerhard Schröder, damals an den Hebeln der Macht, verkündeten nichts Geringeres als eine europäische Antwort auf die Dominanz des Silicon Valley und strebten mit einer europäischen Suchmaschine einen großen Sprung nach vorn an. Die Gesamtfördersumme sollte sich auf rund 400 Millionen Euro belaufen – ein strategisch bedeutsames Innovationsgroßprojekt. Der französische Staat unterstützte die Initiative bis zu ihrem Ende im Jahr 2013. Mittlerweile besteht nicht einmal mehr die Webseite. Wer heute noch etwas über das Quaero erfahren möchte, wird danach googeln müssen oder die künstliche Intelligenz ChatGPT befragen. Wie allzu oft bei von politischen Entscheidungsträgern als zukunftsträchtig identifizierten Innovationen gilt hier der Spruch: „Außer Spesen nichts gewesen.“
 
Friedhof der politisch geförderten Innovationsprojekte
Das Grundproblem von Quaero und vergleichbaren, von politischen Entschei dungsträgern gewünschten und geförderten Innovationsprojekten liegt in den Anreizen des politischen Prozesses. Politische Entscheidungsträger wollen ihre Macht sichern und ihre spezifischen Interessengruppen und Unterstützer bedienen. Dazu müssen sie Wahlen gewinnen. Den Wählern liegt Innovation am Herzen, da sie in der Regel Wachstum schafft und so langfristig die Wohlfahrt erhöht. Allerdings wissen weder Wähler noch Politiker, welche Branchen oder Projekte tatsächlich zukunftsträchtig sind. Erst nach Jahren lässt sich feststellen, was wirklich erfolgreich war. In so einer Situation haben die regierenden Politiker viel Spielraum, das zu tun, was vor allem ihnen nützt.
So kündigen sie gerne vollmundig an, in welche „Zukunftsbranchen“ und „Zukunftstechnologien“ man Fördergelder investieren müsse. Mit viel Pathos beschwören sie die strategische Bedeutung bestimmter Technologien, stellen diese als alternativlos dar und schüren damit die Erwartungen. Da überrascht es wenig, dass sich größere, bereits bestehende Unternehmen und Hochschulen freudig auf die bereitgestellten Fördertöpfe stürzen. Schließlich liegt es in der Natur dieser Akteure, nach Fördergeldern zu streben.
Was aber, wenn die hochtrabenden Förderprojekte scheitern? Dann wird über die Misserfolge geschwiegen, und sie geraten in Vergessenheit. Kein politischer Entscheidungsträger interessiert sich für das Versagen seiner Vorgänger – ja, nicht einmal die politischen Gegner interessieren sich für gescheiterte Projekte, die über eine Legislaturperiode hinausgehen. Denn in der Politik wird die Zukunft gehandelt, nicht die Vergangenheit. Regierungen wechseln, andere Themen werden wichtiger. Daher wird über das Scheitern staatlich geförderter Innovationsprojekte kaum gesprochen. So wäre die Liste der gescheiterten Projekte lang, aber ungeschrieben, und in Erinnerung bleiben höchstens einzelne spektakuläre Misserfolge. Fast niemand beschäftigt sich damit, welche Projekte auf dem Friedhof der politisch gewünschten und staatlich finanzierten Innovations-Irrtümer langsam verwesen, denn es fehlen einfach die Anreize dazu. Vereinfacht formuliert: Das Innovationsgeschwätz der politischen Entscheidungsträger von gestern interessiert heute niemanden mehr, weil das Geld ohnehin bereits verloren ist. Die wenigen erfolgreichen Projekte machen sich hingegen schnell selbstständig und lösen sich von der Politik.
 
Warum oft aufs falsche Pferd gesetzt wird
Da es äußerst schwer und oft nahezu unmöglich vorherzusehen ist, was in der Zukunft wichtig wird, welche Innovationen sinnvoll und machbar sind, und welche tatsächlich Mehrwert schaffen, scheitern selbstverständlich auch viele Innovationsversuche von Unternehmern. Doch weil politische Entscheidungsträger das Thema „Innovation“ gezielt politisch für sich bewirtschaften, führt deren Ansatz noch häufiger zu Misserfolgen als die Innovationsversuche von Unternehmern.
Während Unternehmer ihr eigenes Kapital investieren und bei einer Fehleinschätzung die Konsequenzen weitgehend selbst tragen, hantieren Politiker mit öffentlichen Geldern für Innovationsförderung. Da Innovationsprojekte in der Regel länger dauern als ihre Amtszeit, tragen sie weder die monetären noch die politischen Kosten für Misserfolge.
Politiker interessieren sich dafür, Wähler von sich selbst zu überzeugen. Aber sie interessieren sich im Vergleich zu Unternehmern kaum für die zukünftige Zahlungsbereitschaft potenzieller Kunden oder die langfristigen Marktchancen einer Technologie. Unternehmern geht es darum, Profite zu erwirtschaften und ihre Anreize sind dementsprechend, möglichst dort zu investieren, wo eine erwartete Zahlungsbereitschaft der Kunden vorhanden ist. Im Gegensatz dazu streben Politiker nach kurzfristigem Prestige, um sich in den Medien für die nächsten gut darzustellen.
Es ist daher kaum überraschend, dass Politiker und Unternehmer oft unterschiedliche Einschätzungen darüber haben, in welche Bereiche investiert werden sollte und welche Projekte innovativ sind. Politische Entscheidungsträger setzen auf Sichtbarkeit und kurzfristige Erfolgsmeldungen. Das erhöht die Wahrscheinlichkeit, auf falsche Pferde zu setzen.
 
Politik sollte sich auf Rahmenbedingungen konzentrieren
Statt zu behaupten, man könne Zukunftsbranchen identifizieren und bestimmte Innovationen gezielt fördern, sollten sich politische Entscheidungsträger auf ihre Kernaufgabe besinnen: das Schaffen guter Rahmenbedingungen, damit Innovationen im Markt und in Hochschulen gedeihen können. Dabei geht es nicht darum, gezielt eine bestimmte Branche zu fördern, nur weil sie gerade „en vogue“ scheint – wie es vor fast 20 Jahren mit Suchmaschinen der Fall war. Vielmehr müssen die Grundlagen geschaffen werden, damit die Marktkräfte selbst die vielversprechendsten Innovationen hervorbringen.
Für die meisten europäischen Länder hieße das konkret: Der Binnenmarkt müsste weiter gestärkt, die Kapitalmärkte besser integriert, die Bildungschancen für alle verbessert und die Belastung von Arbeit und Kapital durch Steuern, Abgaben und Regulierungen gesenkt werden. Zudem wären Investitionen in die Grundlagenforschung wichtiger als spezifische Förderungen für einzelne Unternehmen, Branchen oder Projekte. Mit soliden Grundlagen kann auch die angewandte Forschung in Unternehmen aufblühen und Spin-Offs von Universitäten und Fachhochschulen entstehen dann von selbst.
Doch gute Rahmenbedingungen bieten weitaus weniger Potenzial für glanzvolle Ankündigungen als medienwirksame Leuchtturmprojekte. Da das politische Tagesgeschäft von Schlagzeilen und kurzfristiger Sichtbarkeit geprägt ist, fehlen den politischen Entscheidungsträgern die Anreize, langfristig bessere Rahmenbedingungen zu schaffen.
 
Alternative: Tax Credits und Innovation in der Verwaltung
Auch wenn es richtig ist, stets darauf hinzuweisen, dass politische Entscheidungsträger sich um gute Rahmenbedingungen bemühen sollten, muss man realistisch bleiben. Die Anreize im politischen Prozess sind, wie sie eben sind. Insofern ist es nachvollziehbar, dass sich Entscheidungsträger mit Leuchtturmprojekten schmücken wollen. Da es kaum möglich ist, politische Entscheidungsträger davon abzuhalten, sich in Innovationsprozesse einzumischen, braucht es alternative Ansätze, die die Erfolgswahrscheinlichkeit von Innovationsfördermaßnahmen erhöhen, einen größeren Mehrwert schaffen und verhindern, dass das investierte Geld verloren geht.
Statt direkter Subventionen für vermeintlich innovative Projekte oder Branchen können sogenannte Steuergutschriften (oder „Tax Credits“) eine Alternative darstellen. Sie reduzieren die Steuerlast von Unternehmen, die tatsächlich erfolgreich sind. Das bedeutet: Ein Unternehmen investiert in ein innovatives Projekt, realisiert dann Gewinne und spart dank Steuergutschriften Steuern ein. So wird das Wissen der Unternehmen genutzt, und die unternehmerischen Anreize bleiben bestehen, in profitable und zukunftsfähige Bereiche zu investieren – denn dann lohnen sich die Steuergutschriften. Auch wenn Steuergutschriften keine perfekte Lösung sind, verhindern sie eher, dass Steuergelder in politischen Prestigeprojekten mit wenig Innovationskraft verloren gehen. Die Vereinigten Staaten haben mit ihren Tax Credits als Innovationsanreiz recht gute Erfahrungen gemacht – oder zumindest bessere als die meisten Länder der Europäischen Union mit ihren Förderansätzen.
Ein Leuchtturmprojekt böte sich für politische Entscheidungsträger an: Sie könnten versuchen, Innovationen in der staatlichen Verwaltung anzustoßen. Diese steht ihnen ohnehin nahe. Solche Innovationen sollten die Verwaltung möglichst schlank und effizient machen. Idealerweise könnten auf innovative Art und Weise Doppelspurigkeiten identifiziert und viele Dokumentationspflichten für Unternehmen von den Behörden selbst übernommen werden. Interessanterweise scheuen sich viele politische Entscheidungsträger davor, Innovationen in der Verwaltung zu fordern und zu fördern – vermutlich auch, weil ihnen völlig unklar ist, wie man dort Innovationen realisieren könnte. Dennoch meinen sie, in ihnen weit entfernteren Branchen und Bereichen besser Bescheid zu wissen, wo Innovationspotential liegt.

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