Matthias Sutter

*1968 in Hard, arbeitet auf dem Gebiet der experimentellen Wirtschaftsforschung und Verhaltensökonomik, ist Direktor am Max Planck Institut zur Erforschung von Gemeinschaftsgütern in Bonn und lehrt an den Universitäten Köln und Innsbruck. Der Harder war davor auch an der Universität Göteborg und am European University Institute (EUI) in Florenz tätig.

Über Risikofreudigkeit, Berufseinstieg und Gehaltsunterschiede

Juni 2024

Im Bemühen um die Gleichbehandlung von Männern und Frauen auf Arbeitsmärkten tut die Politik alles Mögliche, indem sie beispielsweise Transparenzvorschriften, Antidiskriminierungsrichtlinien oder Vorschriften über Frauenquoten erlässt. Trotzdem gibt es immer noch Unterschiede, insbesondere bei Gehältern. Das liegt auch an Verhaltensweisen, die die Politik praktisch nicht beeinflussen kann.

Arme Politiker, könnte man sagen. Da erlassen sie ein Gesetz nach dem anderen, um Gleichheit zwischen Männern und Frauen auf Arbeitsmärkten (und darüber hinaus generell in unserer Gesellschaft) herzustellen, aber es klappt und klappt nicht. Anstatt als Folge der Bemühungen der letzten Jahrzehnte vollkommene Lohngleichheit herzustellen, beträgt der bereinigte Lohnunterschied zwischen Männern und Frauen aktuell rund sieben Prozent in Österreich. Männer verdienen also mehr als Frauen, selbst wenn man mögliche Unterschiede im Alter, in der Ausbildung oder bei Berufserfahrungen berücksichtigt. Wie kann das nur sein?
Sicher spielen viele Gründe eine Rolle, aber einen davon kann die Politik beim besten Willen praktisch nicht beeinflussen, nämlich Geschlechterunterschiede in der Risikofreudigkeit und in der Einschätzung der eigenen Fähigkeiten. Auf den ersten Blick mögen diese beiden Faktoren weit weg von Fragen der Gleichbehandlung von Männern und Frauen sein. Das ist aber ein Irrtum.
Frauen sind praktisch rund um den Erdball weniger risikofreudig als Männer. Methodisch lässt sich das beispielsweise folgendermaßen zeigen. Eine Versuchsperson bekommt die Wahl zwischen einem sicheren Betrag und einer sogenannten Lotterie. Nehmen wir an, dass man in dieser Lotterie mit gleicher Wahrscheinlichkeit entweder 100 Euro oder nichts gewinnen kann.
Alternativ kann die Versuchsperson einen sicheren Betrag bekommen, muss dann aber auf die Lotterie verzichten. Die Frage ist nun, ab welchem sicheren Betrag eine Versuchsperson auf die Lotterie verzichtet. Je geringer dieser Betrag, umso risikoscheuer ist die betreffende Person. Wenn jemand beispielsweise für sichere zehn Euro auf die Lotterie verzichtete, dann wäre so jemand extrem risikoscheu, denn immerhin hat die Lotterie einen erwarteten Gewinn von 50 Euro. Üblicherweise muss man Versuchspersonen im Schnitt so um die 45 Euro bezahlen, damit sie auf die Lotterie verzichten. Das entspricht einem geringen Maß an Risikoscheu. Jedoch zeigt sich in unzähligen Studien – über den ganzen Erdball hinweg –, dass Frauen systematisch risikoscheuer als Männer sind. Während Männer meist erst bei 47 Euro auf die Lotterie verzichten, tun Frauen das im Schnitt bei 42 oder 43 Euro.
Warum spielt Risikoscheu oder Risikofreudigkeit für Gehaltsunterschiede eine Rolle? Patricia Cortes von der Boston University und Koautoren haben diesen Zusammenhang in einer aktuellen Studie zum Berufseinstieg von Wirtschaftsstudenten einer amerikanischen Universität untersucht. Sie befragten rund 2000 Absolventen sehr ausführlich über deren Arbeitsplatzsuche, die verschiedenen Angebote dabei und wann sie ein Angebot angenommen oder abgelehnt haben. Die Autoren haben auch Informationen über die Risikoeinstellungen dieser Absolventen. Dabei zeigt sich das allgemein bekannte Bild: Frauen sind risikoscheuer als Männer. Das aber hat unmittelbare Auswirkung auf die Arbeitsplatzsuche, wann jemand zu suchen beginnt, wie schnell jemand ein Angebot annimmt und wie hoch die Gehälter sind.
Es zeigt sich nämlich, dass Frauen systematisch früher mit der Arbeitsplatzsuche beginnen (um nämlich auch sicher einen Job zu bekommen). Unabhängig vom Zeitpunkt des Suchbeginns nehmen Frauen Angebote schneller als Männer an (um einen sicheren Job zu haben), und zwar im Schnitt um einen Monat. Männer hingegen verhandeln lieber nach, was die Annahme eines Angebots verzögert, oder lehnen ein Angebot einfach ab. Letzteres hat mit der Einschätzung der eigenen Fähigkeiten zu tun. Männer sind viel optimistischer als Frauen, dass sie noch bessere Angebote bekommen können. Deshalb suchen sie länger. Das kann im Einzelfall dazu führen, dass sie später ein Angebot annehmen (müssen), das schlechter als ein vorher abgelehntes ist – und das passiert Männern deutlich häufiger als Frauen –, aber es zahlt sich im Schnitt für Männer aus. 
Die längere Suche und die höhere Bereitschaft, Rückverhandlungen zu führen oder ein Angebot in der Hoffnung auf ein noch besseres abzulehnen, führen zu durchschnittlich über zehn Prozent höheren Einstiegsgehältern für Männer. Im Zeitablauf des Suchprozesses nach dem Studienabschluss sind die Gehaltsunterschiede zwischen Männern und Frauen zu Beginn am größten (über 15 Prozent), was vor allem mit den schnelleren Annahmen von Angeboten durch Frauen zu tun hat. Je länger sowohl Männer als auch Frauen zuwarten, umso kleiner werden die Lohnunterschiede, auch wenn Männer immer noch höhere Löhne bekommen. Die Verminderung des Unterschieds bei längerer Suchdauer kommt vor allem daher, dass Männer ihre Gehaltsvorstellungen stärker als Frauen nach unten schrauben, je länger sie auf der Suche sind.
Unterschiedliche Risikoeinstellungen und die stärkere Überzeugung von Männern in die eigenen Fähigkeiten (heißt hier: gute Angebote in der Zukunft zu bekommen und darum ein aktuelles ablehnen zu können) tragen also zu Geschlechterunterschieden in den Einstiegsgehältern bei, deren Höhe auch spätere Gehälter systematisch beeinflusst. 
Diese Faktoren aber lassen sich von der Politik nur schwer beeinflussen. Bei einer Diskussion hat mir kürzlich jemand entgegnet, dass der Staat einfach Rückverhandlungen verbieten sollte. Dass das die Vertragsfreiheit als wichtigen Pfeiler unserer Wirtschaftsordnung massiv unterminieren würde, war der Person egal, denn sie hatte eher sozialistisch anmutende Vorstellungen von Wirtschaft. Es lässt sich aber nicht alles regulieren und durch staatliche Vorschriften gleich machen, wenn wir keine Planwirtschaft wollen.

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