Matthias Sutter

*1968 in Hard, arbeitet auf dem Gebiet der experimentellen Wirtschaftsforschung und Verhaltensökonomik, ist Direktor am Max Planck Institut zur Erforschung von Gemeinschaftsgütern in Bonn und lehrt an den Universitäten Köln und Innsbruck. Der Harder war davor auch an der Universität Göteborg und am European University Institute (EUI) in Florenz tätig.

Unnötigen Papierkram abschaffen zahlt sich aus

Februar 2024

Wer kennt sie nicht: Die ganzen Berichtspflichten und Checklisten im Berufsalltag, die viel Zeit kosten, deren Nutzen aber häufig begrenzt ist. Bürokratie gibt es nicht nur in der öffentlichen Verwaltung, sondern auch im privaten Sektor. In beiden Bereichen würde es sich auszahlen, das Dickicht an Papierkram zu hinterfragen und zu lichten.

Abbau von Bürokratie ist eine immer wieder gehörte Forderung, um die Wirtschaft anzukurbeln, aber auch um das Leben von Bürgern einfacher zu machen. Nicht selten kommt es vor, dass etwa in Formularen mehrmals nach der Adresse der ausfüllenden Person gefragt wird; als ob es nicht genügen würde, diese Information einmal anzugeben. Für Unternehmen kommen praktisch jährlich neue Berichtspflichten dazu. Ein bekanntes aktuelles Beispiel ist die ESG-Berichtspflicht, wonach Unternehmen verpflichtet sind, Informationen über ihre Umwelt-, Sozial- und Unternehmensführungspraktiken offenzulegen. Man fragt sich, ob neben dem Erstellen aller Berichte – die häufig auch noch ungelesen bleiben – überhaupt noch Zeit bleibt, etwas zu produzieren.
Berichtspflichten und unnötige Formularangaben gibt es aber nicht nur aufgrund von oftmals fragwürdigen Bestimmungen politischer Entscheidungsträger, sondern auch unternehmensintern. Darunter ist zum Beispiel zu verstehen, dass Mitarbeiter in Unternehmen angeben müssen, wie und wann sie welche Arbeitsschritte oder Aufgaben erledigen. In der ökonomischen Theorie werden solche Berichtspflichten oft als notwendiges „Monitoring“ bezeichnet, also die Überwachung und Überprüfung, dass Mitarbeiter alles richtig machen (und nicht auf der faulen Haut liegen). Es wird auch argumentiert, dass solche Pflichten – häufig in der Form von Checklisten abzuarbeiten – vermeiden, dass Mitarbeiter Fehler machen, die für ein Unternehmen sehr kostspielig sein könnten. Selten wird in der ökonomischen Theorie darüber diskutiert, ob solche Berichtspflichten wirklich notwendig und nicht etwa kontraproduktiv sind, weil sie Mitarbeiter gängeln und diesen als ein Signal des Misstrauens von Seiten der Unternehmensführung erscheinen. Es erscheint aus diesem Blickwinkel betrachtet gar nicht unplausibel, dass der Nutzen von Berichtspflichten geringer als deren Kosten sein könnte. Nur ist das schwer zu messen.
Matthias Heinz von der Universität zu Köln hat mit mehreren Kollegen kürzlich eine Studie vorgestellt, die untersucht hat, welche Auswirkungen die Reduktion von Berichtspflichten in Unternehmen haben kann. Dazu kooperierte er mit einer großen Bäckereikette in Deutschland, die in 145 Filialen über 2000 Beschäftigte hat. Aufgrund einer eingehenden Erfassung stellten die Autoren fest, dass in jeder Filiale pro Woche bis zu 22 verschiedene Checklisten ausgefüllt werden mussten, viele davon jeden Tag und von jedem Mitarbeiter. Eine frühere Befragung aller Mitarbeiter hatte ergeben, dass solche Checklisten als Zeitverschwendung auf der einen Seite, aber auch als entwürdigend auf der anderen Seite wahrgenommen wurden. Zwei dieser Listen waren besonders unbeliebt. In einer davon musste jeder Mitarbeiter jeden Tag Arbeitsprozesse und -abläufe bestätigen, die überaus detailliert waren; beispielsweise, ob man jeden Kunden beim Bedienen angelächelt hat, ob man auf jeden Krapfen den Zucker in der richtigen Form aufgestreut oder ob man eine bestimmte Brotsorte im Ofen immer auf eine ganz bestimmte Seite des Backofens gelegt hat. Für jede Frage musste täglich abgezeichnet werden, dass man es richtig gemacht hatte. Im Schnitt brauchte jeder Mitarbeiter pro Woche über eine halbe Stunde für diese Checkliste. Dazu kam noch eine weitere halbe Stunde pro Woche für das Tagesprotokoll, in dem Vorfälle des Tages zu protokollieren waren.
Diese beiden (besonders unbeliebten und als unnötig erachteten) Checklisten wurden in der Hälfte der Filialen für die Dauer von neun Monaten abgeschafft. Dabei wurde zufällig festgelegt, in welchen Filialen diese Listen entfielen. Dann wurde aufgrund von Verkaufs- und Personaldaten und weiteren Befragungen untersucht, ob die Abschaffung einen Einfluss auf die betreffenden Filialen hatte, jeweils im Vergleich mit der anderen Hälfte der Filialen, in denen das Ausfüllen beider Listen weiter tägliche Pflicht war.
Die Ergebnisse sind eindeutig. Die Abschaffung erhöhte die Umsätze in den betreffenden Filialen um fast drei Prozent, was bei einem Gesamtumsatz der Bäckereikette von rund 100 Millionen Euro ein spürbarer Betrag ist. Die eingesparte Zeit (von über einer Stunde pro Woche und Mitarbeiter) konnte viel sinnvoller für den Verkauf und die Präsentation der Waren beziehungsweise der Verkaufsflächen verwendet werden. Die Abschaffung der beiden Checklisten hatte auch zur Folge, dass die Filialleiter substanziell seltener kündigten, insbesondere weil sie sich von unnötigem Papierkram entlastet fühlten und den Eindruck hatten, sie könnten sich wichtigeren Dingen widmen. Die Abschaffung der beiden Checklisten führte nicht etwa zu schlechterer Qualität der Bäckereiwaren oder einer schlechteren Präsentation der Waren, wie verdeckte Einkäufe bestätigten. Vielmehr führte sie zu einer stärkeren Identifikation mit dem Unternehmen und dem Eindruck, dass das Unternehmen den einzelnen Mitarbeiter stärker vertraute.
Der Effekt der Abschaffung dieser Checklisten war jedoch nicht in jeder Filiale gleich. Bereits vor der Durchführung der Studie wurden Regionalleiter gefragt, bei welchen Filialen sie positive Effekte erwarten würden. Wie sich zeigte, hatten die Regionalleiter ein gutes Gespür dafür, wo die Abschaffung positiv wirken würde, nämlich in jenen Filialen, die sie als „ohne Probleme“ beschrieben. Dort erhöhten die gewonnene Zeit und das gesteigerte Vertrauen die Produktivität. In Filialen, wo Probleme in der Belegschaft wahrgenommen wurden, brachte die Abschaffung der Checklisten hingegen keinen Vorteil. In Summe aber war die Reduktion von Berichtspflichten vorteilhaft für das Unternehmen.

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