Gerhard Siegl

Historiker, Wirtschaftsarchiv Vorarlberg

Buchbinder: Die letzten Mohikaner ihres Handwerks

November 2021

Nicht, dass es keine Bücher mehr gäbe. Ganz im Gegenteil. Aber sie werden schon lange industriell hergestellt. Für eine Fadenbindung oder einen Goldschnitt braucht es heute keinen Meister an der Werkbank mehr. Und für kleinere Arbeiten, etwa die Bindung einer Diplomarbeit, gibt es ja noch Copyshops, wo man für wenig Geld seine mühsam erarbeiteten Seiten in Buchform zusammenkleben lassen kann. Markus Kevenhörster würde dabei allerdings kaum von einem „echten Buch“ sprechen. Wenn er sagt, das Bewusstsein für das Buch ist in den Hintergrund gerückt, dann meint er, dass die Menschen heute nicht mehr um die Bestandteile und Produktionsschritte, oder allgemeiner um den handwerklichen Wert dieses Alltagsgegenstands Bescheid wissen. Ähnlich wie Kinder, die auf die Frage, woher die Milch kommt, antworten: Aus dem Geschäft! 
Das Buchbinden ist ein beinahe ausgestorbenes Handwerk, wie das des Wagners oder Fassbinders. Es gibt nur mehr wenige Spezialisten, die ihre Profession als Restauratoren oder Kunsthandwerker betreiben. Diese alten Berufe haben in einer industrialisierten Welt nur mehr einen Nischenplatz. 
Der Feldkircher Markus Kevenhörster hat die Buchbinderei von seinem Vater erlernt. Dessen Credo war: „Verzierungen, Vergoldungen, das ist alles gut und recht, aber zuerst muss man das Buch öffnen können. Und das Buch muss haltbar sein. Und man sollte als Buchbinder nicht unbedingt den Buchdrucker oder den Autor übertreffen wollen, das ist nicht Sinn der Sache. Man sollte die Gnade haben zurückzustehen und sagen, der Einband muss zweckmäßig sein.“ Nach diesem Motto wurden bis gegen Ende des 20. Jahrhunderts zahlreiche höchst unterschiedliche Materien bearbeitet: Kirchenbücher, Bundes- und Landesgesetzblätter, Zollamtsunterlagen, Tageszeitungen und Zeitschriften, Bibliotheksgut, Grundbuch und Urkundensammlungen der Bezirksgerichte, etc. Dies alles verlangte in der vordigitalen Zeit nach dem Buchbinder, wollte man es geordnet ablegen. 

Der Buchbinder als Geheimnisträger

Oft waren Buchbinder mit brisanten Aufträgen betraut. Kirchliche Scheidungen beispielsweise erforderten zur Entscheidung die Vorlage in Rom. Dazu mussten die hiesigen Papiere zu einem Akt gesammelt, gebunden, und nach Rom geschickt werden. In diesem Prozess war der Buchbinder die einzige Person außerhalb des Klerus, der diese heiklen und oft pikanten Unterlagen zu Gesicht bekam. Dass diese geheimen Papiere freilich nicht gelesen werden durften, sondern quasi „blind“ gebunden werden sollten, war eine nur schwer einzuhaltende Vorgabe des Auftraggebers. Bei den Grundbüchern oder den Urkundensammlungen war es ähnlich: Die Buchbinder, die die losen Bögen zu Bänden zusammenfügten, wussten mitunter über Gerichtsangelegenheiten Bescheid, die nicht für die Öffentlichkeit bestimmt waren. 
Die Buchbinder wurden teils durch die Digitalisierung verdrängt, teils durch die industrielle Buchproduktion. Das Massengeschäft ist weitgehend weggebrochen, geblieben sind Privatbibliotheken jener wenigen bibliophilen Menschen, die Wert auf gut gebundene Bücher legen. Markus Kevenhörster hat in seinen letzten Berufsjahren häufig für europäische Adelshäuser gearbeitet und für Privatpersonen hochwertige Bücher gebunden und restauriert. Er erzählt dazu: „Zur Arbeit als Buchrestaurator sagte der Vater immer: ‚Bub, du musst nicht deinen Namen hinterlassen, du musst das richten, und zwar bescheiden. Immer so, dass das erhalten bleibt, was man erhalten kann. Du musst nicht neu binden.‘ Und es ist nicht einfach, sich da zurückzuhalten. Man ist einfach so. Also, man möchte es schön machen und macht es dann zu schön. Man muss den Punkt finden, wie viel man restauriert und wie viel man lieber noch in Ruhe lässt.“ 

Die Buchbinderwerkzeuge sind Kulturgüter

Von den Maschinen und Geräten des Buchbinders sind vor allem die Vergoldungswerkzeuge spezielle und individuelle Anfertigungen. Markus Kevenhörster führt dazu aus: „Jeder Buchbinder hat zwei, drei Fileten, das sind diese Messingwerkzeuge, mit denen man bei der Vergoldung Linien auf dem Buch zieht. Oder Stempel, das sind Verzierungen, die man darauf stempelt. Das sind Messing- oder Bronzelegierungen, gravierte Stempel. Ja, da hatte jeder Buchbinder so drei, vier Stück. Vor allem mein Vater forcierte den Ankauf von Fileten und Stempeln. Wir sagten, wir brauchen sie, damit wir das auch nachmachen beziehungsweise restaurieren können, aber nicht als Restaurierwerkstätte, sondern als Buchbinder, der auch reparieren kann. Ja, da hatten wir dann 200, 300 Fileten und Stempel. Also eine unglaubliche Anzahl. Und zwar von ganz Österreich. Natürlich alle aus Vorarlberg und selbstverständlich von allen Büchern, die jetzt in der Stadtbibliothek oder im Stadtarchiv Feldkirch sind. In Feldkirch waren ja ein Haufen Buchbinder, als Studierstädtle. Auch Martin Bitschnau (ehemaliger Kurator des Tiroler Landesmuseums Ferdinandeum, Anm.) sagte, dass er so eine Sammlung wie unsere noch nie gesehen hat und das wäre halt wahnsinnig, wenn sie vernichtet würde.“
Nur mit diesen Werkzeugen und der Handwerkskunst des Buchbinders beziehungsweise Restaurators ist es möglich, praktisch alle Bücher, die jemals in Vorarlberg und weit darüber hinaus gebunden worden sind, originalgetreu wieder herzustellen. Aber Markus Kevenhörster möchte sie nicht einfach einem Museum übergeben. Als langjähriger Leiter des Schattenburg-Museums weiß er, wie schwierig der Umgang mit solchen Exponaten ist. Daher schwebt ihm die Weiterführung seiner Werkstatt in einem anderen Rahmen vor, etwa zur Ausbildung von Restauratoren oder Kunstbuchbindern. Dadurch würde die jetzt noch funktionierende Werkstatt lebendig bleiben und Fachleute könnten damit etwas anfangen. Er führt aus: „Mir tut das jetzt weh, weil ich wirklich der letzte Mohikaner bin und die Frage ist: Wem gebe ich das? Wenn ich weg bin, dann fliegt das in den Container, weil man ja auch gar nicht weiß, was das alles ist. Und dann ist alles, was man gesammelt hat, wirklich Kulturgut, ein Kulturgut, das nie mehr zu beschaffen wäre, für immer verloren.“
Das Wirtschaftsarchiv Vorarlberg hat von Markus Kevenhörster neben einem ausführlichen Interview auch Fotos und anderes Schriftgut zur dauerhaften Archivierung erhalten.

Kontakt

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