Gerhard Siegl

Historiker, Wirtschaftsarchiv Vorarlberg

„Sehr große Papierstücke“ Zur Geschichte des Plakats und zur Plakatsammlung des Wirtschaftsarchivs

Juni 2021

Das Wort „Plakat“ beschreibt seinem Ursprung nach ein „sehr großes Stück Papier, das zur Weitergabe von Information öffentlich ausgehängt wird.“ Erste Druckwerke, die dem Zweck späterer Plakate entsprechen, stammen aus dem 16. Jahrhundert. Drucktechnische Einschränkungen machten zunächst jedoch das Flugblatt populär. 
Die ersten Plakate der Frühen Neuzeit waren gedruckte Proklamationen im Kanzleistil zur Verbreitung administrativer und politischer Neuigkeiten. Die revolutionären Umwälzungen Ende des 18. bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts läuteten im Zusammenspiel mit drucktechnischen Neuerungen den Durchbruch des Plakats ein. Die Erfindung der Lithografie (1796; Farblithographie 1837) war die Voraussetzung für die Etablierung des Plakats als Massenmedium. 
Nach einer Phase der „wilden“ Plakatierung an Hauswänden etc. wurden in Städten eigens dafür geschaffene Plakatwände aufgestellt. 1855 stellte Ernst Litfaß die nach ihm benannten Rundsäulen auf, die sich rasch verbreiteten und die Plakatwände ergänzten. Im darauf folgenden „Plakatboom“ entstanden eigene Plakatierungsgesellschaften, die Plakatkampagnen koordinierten und „Klebepläne“ entwarfen. Ähnlich wie die Postkarte waren die meisten Plakate bis in die 1870er Jahre fast reine Textplakate. Der Einsatz zusätzlicher darstellerischer Mittel auf Plakaten machte diese Publikationsform auch für andere Bereiche interessant. Mit dem Erstarken der Industrie und dem Aufkommen des Massenkonsums etablierte sich neben dem politischen Plakat nun die neue Form des Waren- beziehungsweise Werbeplakats.

Das Zeitalter der „abstrakten Verdichtung“

Das Plakat wurde noch vor der Wende zum 20. Jahrhundert zumindest im städtischen Raum zum allgegenwärtigen Massenmedium. Die Verkehrsinfrastruktur, wie etwa U-Bahn-Stationen oder Bahnhöfe, eignete sich besonders für die Verbreitung. Großplakate entstanden bereits um die Mitte des 19. Jahrhunderts und erreichten Maße von bis zu vier mal sechs Metern, die in bis zu 18 Teilen hergestellt wurden. Auch im Wirtschaftsarchiv Vorarlberg befinden sich Mehrbogenplakate mit bis zu 36 Teilen (entspricht circa 36 Quadratmeter).
Schon 1904 wurde betont, ein Plakat müsse nicht gefallen, aber auffallen. Seine Wirkung werde umso größer, je weniger es dem allgemeinen Begriffs- und Schönheitssinn entspreche. Das Spiel und der Bruch mit Sehgewohnheiten waren schon für die ersten Plakatmacher von Bedeutung. Es entstanden theoretische Schriften und praktische Anleitungen zur Wirkung und Herstellung von Plakaten. Bereits in den 1920er Jahren beurteilten Werbeträgeranalysen die Wirkung von Farben, Schriftgrößen, die Zahl der Textzeilen, etc. und insgesamt den Erinnerungswert von Plakaten. Besonderes Augenmerk lag auf der Untersuchung der Werbewirksamkeit des Warenplakats, das die Aufmerksamkeit auf sich ziehen, das Interesse wecken, das Verlangen herausfordern und schließlich den Kauf bewirken sollte. Die Sprache der Plakate wurde als „Plakatjargon“ bezeichnet, der als „sprachlicher Widerhall des Zeitalters der abstrakten Verdichtung“ interpretiert wurde.
Die Blütezeit des Plakats erstreckte sich in etwa von Ende des 19. Jahrhunderts bis nach der Mitte des 20. Jahrhunderts. In dieser Zeit nahm das Plakat eine dominierende Stellung unter den Werbemitteln ein und wurde auch als „Königsdisziplin“ des graphischen Gewerbes bezeichnet. Die größte Konkurrenz erwuchs dem Plakat mit dem Fernsehen beziehungsweise der Fernsehwerbung, allerdings wurde es dadurch nicht vollständig verdrängt oder ersetzt. Seine physische Präsenz im öffentlichen Raum trägt nach wie vor zum Erfolg des Plakats bei. 

Die Plakatsammlung des Wirtschaftsarchivs

Der Sammlungsschwerpunkt Grafikdesign wurde im Wirtschaftsarchiv in den 1980er Jahren begonnen. Mittlerweile umfasst dieser Bestand mehr als 5000 Archivalien, darunter neben Plakaten auch Schaufenstersteher und Entwürfe bis hin zu Interviews mit Grafiker*innen. Weit überwiegend besteht die Sammlung aus dinglichen Objekten. In jüngster Zeit erfolgten Übernahmen aber auch in digitaler Form. Ob digital oder in Papierform, im Wirtschaftsarchiv werden die Plakate für die Langzeitarchivierung fit gemacht. Entweder werden sie in säurefreie Papiere eingeschlagen und in Plakatschränken verwahrt, oder in Dateiformaten abgelegt, die sich als Archivstandards herauskristallisiert haben. Jedes Stück wird verzeichnet und mittels Archivsoftware erfasst, sodass ein zuverlässiges Auffinden beziehungsweise eine treffsichere Suche gewährleistet ist. 
Einen ersten Höhepunkt feierte die Plakatsammlung im Jahr 1995, als der damalige Wirtschaftsarchivar Rupert Tiefenthaler sein Buch „Schaulust“ veröffentlichte. Dieser zeitlose Band ist nach wie vor erhältlich und gibt hervorragende Einblicke in die „vordigitale“ Zeit der Vorarlberger Plakatkunst. Gut ein Vierteljahrhundert später gelang 2021 eine weitere Publikation, dieses Mal digital. 

1000 Plakate auf volare

Mit Fördermitteln der Kulturabteilung des Landes Vorarlberg war es möglich, einen beträchtlichen Teil der Plakatsammlung des Wirtschaftsarchivs hochauflösend zu scannen. In Kooperation mit der Landesbibliothek wurden über 1000 Plakate auf dem Vorarlberger Landesrepositorium (volare) online gestellt. So können nun die Plakate eines ganzen Jahrhunderts (circa 1900/1910 bis 2006) aus den Bereichen Wirtschaft (Produktwerbung), Politik, Religion, Sport und Kultur durchgeblättert sowie für den Privat- oder Unterrichtsgebrauch in höchster Auflösung heruntergeladen werden https://pid.volare.vorarlberg.at, Plakatsammlung Wirtschaftsarchiv. Die gesamte Sammlung ist auch online über die Homepage des Wirtschaftsarchivs einsehbar https://wirtschaftsarchiv-v.at/seiten/bestaende.php.

Quellen: Wirtschafts-​archiv Vorarlberg, Plakatsammlung:
P/296: Werbeplakat Kästle, von Heinrich C. Berann, 1956.
P/445: Getränke-hersteller Fohrenburger-Diezano, von Rudolf T. Hagen, ca. 1960–1962.
P/4084: Textilunter­nehmen Ganahl, von Othmar Motter,
ca. 1954–1956.
P/1092: Brauerei Frastanz, von Josef Hofer, 1950.
P/143: Landesopfertag 1951, von Sylvester Licka, 1951.
P/4174: Raiffeisenkasse, von Othmar Motter,
ca. 1951–1952.
P/6419: Theater Kosmos, von Edgar Leissing, 2003.
P/6653: Aids-Hilfe Vorarlberg, von Kurt Dornig, 1995.
P/6555: Kunsthaus Bregenz, von Clemens Schedler, 2001.

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