Martin Rümmele

* 1970 in Hohenems, ist mehrfach ausgezeichneter Gesundheitsbereich- und Wirtschaftsjournalist und Verleger. Er lebt und arbeitet in Wien und Kärnten und ist Autor mehrere kritischer Gesundheitsbücher unter anderem „Zukunft Gesundheit“, „Medizin vom Fließband“ und „Wir denken Gesundheit neu“. 

Impfdiskussion: Freiheit oder Zwang?

Mai 2019

Die Weltgesundheitsorganisation hat Impfgegner zu einer der zehn größten globalen Gesundheitsbedrohungen erklärt. Das Thema polarisiert wie kaum ein anderes in der Medizin. Jetzt mischen sich auch die Social-Media-Konzerne ein.

Thomas Jungblut ist Allgemeinmediziner mit Passion – und kritisch. Auch dem Gesundheitswesen gegenüber. Nicht zuletzt deshalb engagiert sich der Bregenzer Hausarzt auch in der österreichischen Gesellschaft für Allgemein- und Familienmedizin, ist deren Vizepräsident und Präsident der Vorarlberger Regionalvereinigung. Er sieht seine Berufung darin, dass er sich auf die Seite der Patienten stellt. Doch in der aktuellen Impfdebatte versteht er die Welt nicht mehr. Es sei für ihn schwer nachvollziehbar, warum die Skepsis zunimmt, meint er und erzählt eine Geschichte: „Kaiserin Maria Theresia hatte 16 Kinder – sechs davon sind früh gestorben – unter kaiserlichen Lebensverhältnissen. Man kann sich also ausmalen, wie das in der normalen Bevölkerung war. Das war ein großes Sterben damals.“ Pocken, Polio oder Wundstarrkrampf (Tetanus) waren weit verbreitete tödliche Infektionskrankheiten. Erst mit modernen Impfungen sei es gelungen, diese Krankheiten einzudämmen oder wie im Fall der Pocken auszurotten. Er habe noch ältere Patienten, die als Kinder an Polio erkrankt seien und noch heute an den Folgen leiden, erzählt Jungblut. Bei Polio starb früher ein Drittel der Kinder, ein Drittel war behindert und ein Drittel ist wieder gesund geworden. „Heute ist Polio praktisch ausgerottet. Das zeigt, wie wirkungsvoll Impfungen sind.“

Dennoch steigt, wie die jüngsten Masernausbrüche zeigen, die Zahl der Impfskeptiker und sinkt damit die sogenannte Herdenimmunität. Damit ist jene Situation gemeint, dass aufgrund einer möglichst hohen Zahl an immunen Menschen die Übertragungsmöglichkeit durch Infektionen nicht mehr möglich ist und somit auch jene geschützt sind, die nicht immun sind. Gemeint sind damit die etwas kleineren Kinder, die noch nicht geimpft sind. Weil aber genau dieser Gruppenschutz aufgrund der zurückgehenden Impfquote sinkt, erkranken wieder mehr Kinder. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat Impfgegner sogar zu einer der zehn größten globalen Gesundheitsbedrohungen erklärt. 
Die Folge ist eine Diskussion über Wirkung und mögliche Nebenwirkungen von Impfungen und die Frage der Freiheit in Gesundheitsfragen. Ähnlich wie bei der Frage des Nichtraucherschutzes wird diskutiert, ob jeder Mensch selbst für sein Gesundheitsverhalten verantwortlich ist oder ob der Schutz anderer Menschen die Freiheit des Individuums einschränken soll. Ex-Gesundheitsministerin Beate Hartinger-Klein hatte noch angekündigt, mit entsprechenden Informationen die Skeptiker überzeugen zu wollen. Als Gegengewicht zu den Gegnern, die man ihrer Meinung nach nicht mehr überzeugen könne. Die Österreichische Ärztekammer fordert sogar eine Impfpflicht. 

Das ist aber wieder Wasser auf die Mühlen von Gegnern und Verschwörungstheoretikern, die weiter mobil machen. Nicht zuletzt über soziale Netzwerke. Und deren Algorithmen fördern offenbar die Skepsis zunehmend. Wer einmal auf ein „Gefällt mir“ unter einem Impfgegner-Beitrag geklickt hat, der wird von Facebooks Empfehlungsalgorithmus zu weiteren Impfgegner-Foren geleitet, bekommt gesponserte Beiträge über Impfschäden von Alternativmedizin-Anbietern als bezahlte Werbeanzeigen in seinem Newsfeed angezeigt. Mehr noch: Wie die britische Tageszeitung Guardian enthüllt hat, hat Amazon über sein Smile-Programm sogar indirekt Impfgegner finanziert. Wer nämlich über die Domain smile.amazon.de bestellt, spendet automatisch 0,5 Prozent seines Einkaufswertes an eine wohltätige Organisation seiner Wahl. Jetzt könnte die Situation allerdings kippen.

Internetplattformen wie Pinterest, Youtube und Facebook, aber auch Amazon wollen verstärkt gegen Fehlinformationen über Impfungen vorgehen. Pinterest hat seinen Umgang mit impffeindlichen Inhalten geändert: Bestimmte Suchanfragen zu Impfungen wie übrigens auch zu fragwürdigen Krebstherapien werden blockiert. Auch Nutzerkonten mit irreführenden Inhalten wurden gesperrt. „Wir wollen, dass Pinterest ein inspirierender Platz für Menschen ist, und an Fehlinformationen ist nichts Inspirierendes“, hieß es in einer Unternehmensmitteilung. 
Die Video-Plattform YouTube hat ebenfalls angekündigt, dass sie Werbungen aus impffeindlichen Videos entferne. Facebook will die Verbreitung der Inhalte von Impfgegnern in dem Onlinenetzwerk einschränken. Facebook-Seiten und Gruppen, die „falsche Informationen über Impfungen verbreiten“, werden in Newsfeeds der Nutzer und bei Suchanfragen zurückgestuft, wie das Onlinenetzwerk in einem Blogeintrag mitteilte. Werbung mit falschen Informationen über Impfungen werde überhaupt nicht mehr angenommen. 

Ob das wirkt, wird sich zeigen. Thomas Jungblut beobachtet allerdings, dass die Irrationalität in den Diskussionen zunimmt. „Wenn man rational über das Thema Impfen nachdenkt, ist die Sache klar. Es gibt auch einen österreichischen Impfplan, der wissenschaftlich fundiert ist. Und der sagt eindeutig: Risiken, wenn man impft, sind geringer, als wenn man nicht impft. Impfrisiken liegen weit unter anderen Gesundheitsrisiken wie etwa im Straßenverkehr zu Schaden zu kommen.“ Das Problem ist aber seiner Ansicht nach, dass Impfgegner Argumenten nicht zugänglich sind. Jungblut: „Ich bin sehr für einen kritischen Ansatz in der Schulmedizin, aber beim Impfen ist die Sache klar. Wenn man Risiko und Nutzen wissenschaftlich abschätzt, ist die Sache gegessen.“ Nachsatz: „Natürlich braucht es eine kritische Auseinandersetzung. Aber dazu braucht es eben auch eine Offenheit der Patienten, wie im Fall der Impfungen zu akzeptieren, dass das riesige medizinische Erfolgsgeschichten sind.“ Dafür müsse man nicht 250 Jahre zurückdenken, es reiche wenn man in ärmere Länder fährt und sieht, „was es dort für Krankheiten im Straßenbild gibt.“ Da verstehe selbst der medizinische Laie, was der medizinische Fortschritt erreicht habe.

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