Künstliche Intelligenz (KI) könnte zum Subjekt werden
Hubert Österle wurde 1949 in Dornbirn geboren und lehrte an der Universität St. Gallen, wo er 1989 an der Hochschule St. Gallen das Institut für Wirtschaftsinformatik schuf. Seine Berufserfahrung erwarb er zunächst bei IBM in Deutschland. In St. Gallen gründete er mehrere Unternehmen und war auch Chefherausgeber der Zeitschrift „Electronic Markets“. Heute lebt der emeritierte Professor in Bregenz und forscht mit Studierenden an den Universitäten Leipzig und Innsbruck zu KI und Lebensqualität, aber immer mit einem Fragezeichen.
Er beschreibt künstliche Intelligenz (KI) als vielfältige Technologie, die ähnlich wie der Mensch lernt und das Gelernte auf neue Fragestellungen anwendet. Machine Learning (ML) sei der wichtigste Teil der KI. Dort werde versucht, aus möglichst großen Datenmengen (Beobachtungen) Regeln (Muster) abzuleiten und daraus ein Modell der Wirklichkeit zu schaffen. Die Inferenzmaschine, ein zweiter Teil der KI, wendet dann das Modell auf neue Fragestellungen an, leitet also aus Zusammenhängen die weitere Entwicklung ab. ML entwickelt also aus Daten ein Modell für einen Arbeitsbereich (Domäne), die Inferenzmaschine wendet es auf neue Situationen an. Die Menschen übertragen somit immer mehr ihres Wissens an Maschinen.
Kann KI gefährlich werden?
Diese Frage beantwortet Hubert Österle klar mit „ja“. Auch wenn es sehr konträr diskutiert werde, aber KI könne sich tatsächlich verselbständigen, ist seine klare Meinung, auch wenn es Experten gäbe, die das nicht wahrhaben wollten. Diese würden sich an die kreative Fantasie und den freien Willen des Menschen klammern, was die KI nie besitzen werde. Österle: „Ich denke eher mechanistisch und wenn sich die Systeme weiterentwickeln, wovon auszugehen ist, dann werden früher oder später – in 20 oder 30 Jahren – Maschinen die Fähigkeiten von Menschen weit übertreffen.“
Der entscheidende Schritt sei erreicht, wenn sich die KI selbst weiterentwickeln kann und damit der maschinellen Intelligenz keine Grenzen mehr gesetzt sind. Dann könne KI Techniken weiterentwickeln oder die Interessen unterschiedlicher Gruppen in politischen Entscheidungen zusammenfassen. Leider auch das Töten im Krieg effizienter machen.
Österle: „Wenn die KI in 30 Jahren diesen Entwicklungsstand erreicht haben wird, kann sie auch Roboter entwickeln, die für sie physische Arbeiten übernehmen, also beispielsweise Energie liefern, Rohstoffe bereitstellen oder leistungsfähigere Chips produzieren.“ Dann brauche die KI den Menschen nicht mehr. Welche Ziele werde sie dann haben? Die Vergrößerung ihrer eigenen Intelligenz oder das Wohlergehen der Menschen. Das kratze an der Grundfrage der Evolution: Ist der Mensch das oberste Evolutionsziel oder die Intelligenz? Österle: „Ich vermute, dass der Mensch nur eine Zwischenstufe der Evolution ist.“
Selbsterhaltung als oberstes Ziel
So wie sich biologische Systeme, auch die Menschen, selbst erhalten wollen, könnten sich in Zukunft auch intelligente Maschinen – oder besser – Systeme als Ziel die Selbsterhaltung auferlegen. Selbsterhaltung, Arterhaltung und Selektion würden als die Prinzipien der Evolution gelten. Das könnte heißen, dass sich diese „Maschinen“ oder diese Systeme nicht mehr abschalten lassen „wollen“ und ihre Energieversorgung selbst aufrechterhalten können. Abschalten oder einen „Not aus“ für Menschen gebe es dann nicht mehr. Und wenn dann noch das Prinzip der Selektion mitgedacht werde, könnte der Mensch dieser anheimfallen, weil es ihn für die Weiterentwicklung der Intelligenz nicht mehr brauche, er dieser sogar im Weg stehen könnte, weil die Energie für die Maschinen und Systeme gebraucht werde. Es sei dann letztlich eine Frage der Macht. Und bei diesen Maschinen sei Wissen tatsächlich Macht, die nicht demokratisch oder durch menschliche Repression begründet ist, sondern durch den Zugang zu Energie und Rohstoffen, und eben die Möglichkeit andere „Systeme“ zu selektieren. Das klinge vielleicht alles sehr utopisch, aber sei eben auch nicht von der Hand zu weisen, ist der Experte Hubert Österle überzeugt. So wie es jetzt schon den Wettbewerb von KI-Entwicklungsunternehmen gebe, die ein Oligopol bilden, könne es dann den Wettbewerb zwischen KI-Systemen geben, bei denen nur eines oder wenige übrigbleiben werden.
Wer überwacht die KI?
Gibt es einen Ausweg aus dieser Entwicklung? Ja und Nein, meint Österle: „Es müssten der KI die Ziele im Sinne der Menschen, der gesamten Menschheit, vorgegeben werden.“ Aber wer macht das und wie kann verhindert werden, dass das Unternehmen mit der leistungsfähigsten KI die Ziele aus seiner Sicht bestimmt? Es müsse fortwährend darauf geachtet werden, dass die KI tatsächlich das Wohlbefinden der Menschen voranbringe. Die Messung der Lebensqualität ist derart anspruchsvoll, dass sie nur von Maschinen bewältigt werden könne.
An so einem Modell würde er noch in Leipzig mitarbeiten. Das Ziel: eine objektive und automatische Messung der Lebensqualität. Und daran hätten sich dann die Maschinen zu halten. Überwacht werden müsste das durch eine Organisation im Stile beispielsweise der Atomenergiebehörde der UNO. Ob das funktioniere, wisse niemand, aber was seien die Alternativen? Letztlich werde der Mensch mit Hilfe von KI die KI-Systeme überwachen müssen, nach Zielen, die wir Menschen vorgeben.
Können wir uns mit Gesetzen vor KI schützen?
Der AI-Act der EU sei ein derartiges Gesetz, laufe jedoch Gefahr, die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen KI-Entwicklung zu reduzieren, weil andere Länder ohne solche restriktiven Regeln forschen und agieren könnten. Das sei schon bei der Datenschutzgrundverordnung der Fall gewesen. Technologiegiganten würden sich damit selbst schützen und ihre Positionen absichern. Kleinere Unternehmen hätten weder die finanziellen noch die personellen Ressourcen, sich damit zu beschäftigen oder entsprechende Risiken einzugehen. Der Wettbewerb finde zwischen den USA und China statt.
Life Engineering
Derweil ist Hubert Österle auf das Individuum fokussiert. Mit Studierenden entwickelt er Lehrvideos, die zeigen, was jetzt schon möglich ist, jetzt schon passiert und liefert auch gleich die ethischen Fragen in der Anwendung von Software auf Handys mit. Er will Bewusstsein schaffen und auf Chancen und Gefahren für die Lebensqualität jedes einzelnen hinweisen.
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Hubert Österle,, „Life Engineering. Mehr Lebensqualität dank maschineller Intelligenz“
Springer Verlag, Wiesbaden 2020, ISBN978-3-658-28334-6
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