Simon Groß

Vorarlberger Gemeindeverband

Der Jihad – unter Beobachtung

Mai 2019

Der Islamische Staat scheint durch die Anti-IS-Koalition in Syrien und dem Irak geschlagen zu sein. Damit ist die islamistische Ideologie aber noch längst nicht „gestorben“, nicht in Syrien und dem Irak, nicht in Europa – und auch nicht im sicheren Vorarlberg.

Das Engagement von Dschihadisten aus EU-Staaten in den Krisen- und Kriegsgebieten des Nahen Ostens ist überdurchschnittlich groß und die in dieser Region erworbenen Kampferfahrungen sowie die Vernetzung mit anderen Kämpfern tragen zu einer generell erhöhten abstrakten terroristischen Gefährdungslage in Europa und auch in Österreich wesentlich bei“, heißt es im österreichischen Verfassungsschutzbericht von 2015. Zwei Jahre später wird berichtet, dass mindestens 313 Personen aus Österreich als „Jihad-Reisende“ in Syrien und im Irak identifiziert wurden. Davon seien vermutlich 55 Personen in der Region ums Leben gekommen und 94 Personen wieder nach Österreich zurückgekehrt. Weitere 59 konnten an einer Ausreise gehindert werden und hielten sich nach wie vor in Österreich auf. Anfang 2017 wurde in Vorarlbergs erstem Terrorprozess ein 25-jähriger Tschetschene wegen der Beteiligung an terroristischen Verbindungen im Ausland zu zweieinhalb Jahren Haft verurteilt, ein ähnlicher „Rückkehrer-Prozess“ folgte – beide Verdächtigten wurden zuvor vom Landesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (LVT) beobachtet. 

Schwierige Ermittlungen

„Vorarlberg spielt im Zusammenhang mit extremistischem Islam österreichweit eine untergeordnete Rolle“, sagen die Verfassungsschützer. Das gelte sowohl für die Anzahl der Personen, die dieser Szene zugeordnet werden, und folglich auch hinsichtlich der Gefährdungslage. In Vorarlberg wurden seit 2013 15 Anzeigen im Zusammenhang mit Terrorismus eingebracht, bislang konnte aber erst zwei Personen nachgewiesen werden, auch tatsächlich im Ausland für eine terroristische Organisation gekämpft zu haben. Laut den Beamten sind Ermittlungen zum Nachweis terroristischer Straftaten „grundsätzlich schwierig und aufwändig“. Da es keine entsprechende Kooperation mit staatlichen Einrichtungen und Behörden in den jeweiligen Kriegsgebieten gebe, sei man auf Aussagen und Informationen aus dem Internet angewiesen. Laut dem Verfassungsschutzbericht von 2017 werden Reisen nach Syrien und in den Irak gleichzeitig immer weniger. Das ist neben den Entwicklungen in den Krisengebieten auch auf die verstärkten präventiven und repressiven Maßnahmen der österreichischen Behörden und auf eine konsequente Strafverfolgung zurückzuführen. Eine Gefährdung durch Rückkehrer bleibt aber weiterhin bestehen, die allerdings generell niedrige Gefährdungslage in Vorarlberg habe sich jedenfalls nicht verändert.

Hardliner im Land

„Der harte Kern an Personen im Bereich Salafismus ist seit einiger Zeit konstant“, sagen die Beamten. Es muss also im Land selbst angesetzt werden, denn auch in Vorarlberg geschieht Radikalisierung – besonders „durch persönliche Kontakte, rund um Gebetshäuser und -räume mit islamistischen Zugängen, Aktionen wie ‚Lies‘ oder über das Internet“, betonen die Verfassungsschützer. Die Berichte von 1997 und 2001 besagen, dass bereits damals Personen unter Beobachtung standen, insbesondere aus Moscheen und islamischen Vereinen. Laut Aussage des Landesamtes hat sich in Bezug auf das Umfeld von Gebetshäusern bis heute nichts geändert. Die umstrittene Ummet-Moschee in Feldkirch wurde unlängst in einer vom Land Vor­arlberg in Auftrag gegebenen Studie als „politisch-salafistisch“ beschrieben und soll sich stark in der Koranverteilungskampagne „Lies!“ engagiert haben. Diese habe stark zur Radikalisierung von Jugendlichen in Deutschland und Österreich beigetragen, heißt es in der Studie. Ein Teil der damit angesprochenen Jugendlichen sei 2014/2015 in Syrien beim IS oder anderen terroristischen Organisationen gelandet. Bis zur Auflösung im Herbst 2018 haben sich in der Moschee vor allem junge Salafisten mit tschetschenischem, dagestanischem, bosniakischem, türkischem, kurdischem und afghanischem Migrationshintergrund versammelt.

Mit der Lizenz zum … Beobachten

Es gibt also gute Gründe, weshalb der Verfassungsschutz hier ein besonders scharfes Auge hat, auch nach der Auflösung der Moschee. Das Landesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung ist eine Abteilung der Landespolizeidirektion und schöpft somit dieselben gesetzlichen Möglichkeiten aus wie die Polizei. „Natürlich greifen die Kriminalbeamten des LVT bei ihren Ermittlungen auf Bestimmungen zurück, die Polizisten auf den Polizeiinspektionen eher selten bis nie anwenden“, erklären die Ermittler. Die „Verfassungsschützer“ unterstützen oder übernehmen Ermittlungen, wenn Spezialwissen für die Aufklärung erforderlich ist, arbeiten grundsätzlich aber mit jeder Dienststelle und dem Landeskriminalamt zusammen. Zu den Hauptaufgaben zählen Informationsgewinnung, Prüfen von Hinweisen und Verfassen von Gefährdungseinschätzungen „Wenn wir von ‚Beobachten‘ sprechen, so ist in der Regel gemeint, dass wir auf bestimmte Personen durch Ermittlungen, Beobachtungen oder sonstige Hinweise aufmerksam geworden sind und diese nach Möglichkeit im Auge behalten“, wird klargestellt. Das bedeute aber nicht zwangsläufig eine regelmäßige, dauerhafte „Beschattung“. Es müssen besondere Verdachtsmomente vorliegen, damit auch die rechtlichen Bedingungen für solche Maßnahmen erfüllt sind. „Dies ist nur selten der Fall“, kommentieren die Beamten. Im Juli 2018 war in einer Meldung der ORF-Onlineplattform von gut zwei Dutzend Beobachteten die Rede. Wie viele Personen aktuell „im Auge behalten“ werden und wer diese sind, wurde nicht explizit angegeben. Der „Szene“ sollen derzeit allerdings etwa 50 Personen zugehörig sein.

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