Simon Groß

Vorarlberger Gemeindeverband

„Ich muss zerstören, doch es darf nicht mir gehören“

Oktober 2018

Glasscheiben, Autospiegel, Verkehrsschilder, Blumentöpfe, Hauswände, Schulen, Spielplätze, Fahrräder, Baustellen – die Liste ließe sich noch länger machen. „Zerstörungswütige“ scheinen keine Scham zu kennen, zumindest nicht, bis sie sich verantworten müssen. Spätestens dann zeigt sich aber auch, dass Vandalismus mehr als nur jugendlicher Leichtsinn ist.

Allein im Zeitraum von Jänner bis Juni 2018 wurden bei der Vorarl­berger Polizei über 1000 Sachbeschädigungen angezeigt, bei knapp 40 davon handelt es sich nach dem Strafrahmen sogar um schwere Sachbeschädigung. Im vergangenen Jahr lag die Aufklärungsquote mit 748 geklärten Sachbeschädigungen bei 32,8 Prozent.

„Ich geh am Gartenzaun entlang, wieder spür ich diesen Drang“

„Bei Vandalismus ist kein Jahreszeitentrend erkennbar“, sagt Horst Spitzhofer, Pressesprecher der Landespolizeidirektion Vorarlberg. Vergleiche man die vorhandenen Statistikzahlen, zeige sich, dass etwa Sommermonate nicht stärker von Vandalismus betroffen wären als die restliche Jahreszeit. Im Gesamtjahresvergleich von 2016 und 2017 zeigte sich ebenfalls keine signifikante Änderung: 2016 wurden insgesamt 2270 Sachbeschädigungen angezeigt, im Jahr darauf 78 mehr. Während kein Jahreszeitentrend bei Vandalismus feststellbar ist, lassen sich sehr wohl „Top-Ziele“ festmachen. „An erster Stelle stehen klar öffentliche Einrichtungen wie Bushaltestellen oder Schulen, aber auch abgestellte Fahrzeuge und Baustellen sind beliebte Ziele“, berichtet Spitzhofer. Die letzten entsprechenden Polizei-Presseaussendungen bestätigen das:

„Meine Sachen will ich pflegen, den Rest in Schutt und Asche legen“

„Eine bisher unbekannte Täterschaft beschädigte in der Nacht von Dienstag (24. Juli) auf Mittwoch (25. Juli) in den Gemeinden Wolfurt, Hard, Fußach und Höchst zahlreiche Wartehäuser bei Bushaltestellen. Dabei wurden die Glasscheiben mit einem unbekannten spitzen Gegenstand (eventuell ein Notfallhammer) eingeschlagen.“ Die Bilanz: Ein Schaden von rund 30.000 Euro.
„Ein bislang unbekannter Mann trat am 22. August 2017 gegen 1.30 Uhr in der Klostergasse in Bregenz gegen die Seitenspiegel von mehreren, entlang der Straße abgestellten Pkw. Zumindest an drei Fahrzeugen entstand dadurch Sachschaden.“ Die Tat wurde von mehreren Zeugen beobachtet: Der Mann sei alkoholisiert gewesen und habe herumgeschrien.
„Vorwiegend handelt es sich bei den Tätern um Jugendliche und junge Erwachsene“, betont Spitzhofer. Früher wie heute waren und sind viele Täter unter 18 Jahre alt. „Fragt man sie nach ihren Beweggründen, heißt es oft: Mir war langweilig“, sagt Johannes Luff von der Kriminologischen Forschungsgruppe des Landeskriminalamts Bayern. Das kann auch die Psychotherapeutin und Sozialpädagogin Sigrid Hämmerle-Fehr vom Institut für Sozialdienste bestätigen. Sie blickt auf eine langjährige Erfahrung im Bereich Jugendarbeit zurück und sagt, dass die Täter ihre Zerstörungswut oft sehr unterschiedlich erklären. Mal ist es Langeweile gepaart mit Gruppendynamik: „Wir sind ‚rumgehangen‘ und haben nicht gewusst, was wir tun sollen. Einer hat angefangen und dann hat jemand eine noch lustigere Idee gehabt“, heißt es oft. Auf der anderen Seite sind es aber auch oft großer Frust und psychischer Druck, unter dem sich die Betroffenen einfach nicht mehr im Griff haben.
Jugendliche wollen grundsätzlich öffentlichen Raum besetzen. Gerade Zwölf- bis 18-Jährige treffen sich gerne in der Öffentlichkeit, sitzen am Abend und am Wochenende auf Spiel- oder Schulplätzen herum. „Sie können sich frei bewegen, fühlen sich ein Stück weit unabhängig und tun, was ihnen gerade einfällt. Und manchmal ist das eben destruktiv: Da wird Müll herumgeworfen, etwas beschmiert oder kaputtgemacht. Das ist typisch für dieses Alter“, betont Hämmerle-Fehr. Natürlich ist in vielen Fällen auch Alkohol im Spiel. Von jugendlichem Leichtsinn kann bei Vandalismus jedoch keinesfalls die Rede sein: „Es handelt sich um strafrechtliche Delikte wie Sachbeschädigungen oder schwere Sachbeschädigung – ganz egal, ob es sich dabei um Randale bei einem Fußballmatch, Schmierereien oder um Dampf-Ablassen unter Alkoholeinfluss handelt“, stellt Spitzhofer klar. 

„Und jetzt die Königsdisziplin, ein Köpfchen von der Puppe ziehen“

Dass es mehr als nur Leichtsinn ist, sieht jedenfalls nicht nur das Gesetz so: Destruktives Verhalten auszuleben sei auch Teil der Pubertät und somit von zentraler Bedeutung für die psychische Entwicklung junger Menschen, erklärt Hämmerle-Fehr. Vor allem aber handle es sich um einen Lernprozess. „Wir müssen alle lernen, mit Frust umzugehen, oder damit, für irgendetwas gerade keine Lösung zu haben. Dieses Gefühl, in bestimmten Momenten überfordert zu sein, gehört zum Menschsein dazu. Das Austesten von Grenzen ist ein Bedürfnis der Jugendlichen, eine Reaktion von uns Erwachsenen auf Verfehlungen von Jugendlichen ist aber wichtig.“ Sobald es sich aber im Bereich strafrechtlicher Relevanz bewegt, „dann ist es notwendig, klarzumachen, dass der Bogen überspannt wurde und ein Korrektiv in Form des Gesetzes greift“, sagt die Psychotherapeutin. 
Es gibt aber Delikte, bei denen eine Wiedergutmachung möglich ist. Die Polizei arbeitet beispielsweise mit dem Verein Neustart zusammen: „Jugendliche, die Schwierigkeiten haben, können Sozialstunden ableisten, etwa für ein paar Tage in einem Altersheim oder im Wildpark mitarbeiten.“ Und parallel dazu kann man auch immer hinterfragen, was Jugendliche zum Zerstören bewegt. Hier kommt dann auch die Verantwortung ins Spiel. „Es geht nicht immer nur um das Verstehen – man sagt ja Sozialarbeitern nach, dass sie das so gut können – denn damit entschulden wir die Leute vorschnell. Es ist auch nötig, aufzuzeigen, dass man als Mensch Verantwortung trägt oder Dinge ändern kann.“ Viele Täter haben eine Erklärung für ihr Verhalten, sagen, warum eine Aggression beispielsweise ausgeufert ist. Wenn man hier verstärkt ansetzt und Jugendliche auch ernst nimmt, lässt sich auch an ihre Vernunft appellieren.

„Ich muss zerstören, doch es darf nicht mir gehören“
Textzeile aus dem Song „Zerstören“ – Album „Rosenrot“ der Band „Rammstein“.

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