Simon Groß

Vorarlberger Gemeindeverband

„Legsch du aber scho Tracht ah, oder?“

August 2018

Bei der bekannten Bregenzerwäldertracht geht es tatsächlich noch um die Übertragung von Kultur, Brauchtum und Tradition in die Moderne. Und das geht auch, ohne gleich ein verstaubtes Image mitzutragen.

Dirndl und Lederhose lassen sich in vielen Vorarlberger Kleiderkästen finden – und sie werden bald auch wieder vermehrt anzutreffen sein. Ob durch modischen Traditionalismus, als Mittel zur vestimentären Identitätssuche oder als Oktober- und Zeltfestuniform: Die „Tracht“ gewinnt besonders bei der Jugend immer mehr an Bedeutung, wobei „traditionelle Elemente“ besonders in der nahenden Oktober- und Festzelt-Zeit in der Regel eher nebensächlich sind. Unter dem Jahr auf offener Straße in Vorarlberg jemandem in Tracht zu begegnen, ist nicht alltäglich. Schon bald aber wird es wieder reihenweise Zelt- und Oktoberfeste geben, zu denen sich viele Vorarlberger in der kultigen Kluft zeigen werden. Und spätestens beim Anblick eines „regulär gekleideten“ Festbesuchers inmitten des Karo- und Lederwahnsinns stellen sich viele irritiert die Frage, wer denn heute noch ohne Tracht auf so ein Volksfest geht. Aber ebenso irritierend sollten bereits aus einem vor-festzeltlichen Zustand heraus schon die auffallenden Parallelen des Trachtenhypes zum Fasching sein: Sich kostümieren, verkleiden und für kurze Zeit anders sein, vielleicht auch die Zeit anhalten wollen.

New Volkstum – old-fashioned

Andreas Gabalier, der pseudo-österreichische Archetyp mit bedingungsloser Hingabe zu Heimat, Tradition und Identität, hat nicht nur eine steile Karriere hingelegt. Er singt auch genau diese Begriffe in das Bewusstsein vor allem der jungen Bevölkerung und macht nebenbei durch seine Vorliebe zu Lederhose und Trachtenhemd die illusionistische Uniform in jungen Gefilden wieder salonfähig. Damit trifft der selbsternannte „Volks-Rock’n’Roller“ aber auch im alemannisch angehauchten Vorarlberg einen Nerv: Gerade in der heutigen schnelllebigen und hypertrendigen Welt sind es vor allem junge Menschen, die in Tracht und Heimatbegriffen ein Versprechen auf Beständigkeit und Abgrenzung suchen. Und das nicht nur in modetechnischer Hinsicht – obwohl es Trachtenbikini und -badehose immerhin auch schon bis in die Freibäder geschafft haben. In der Regel bleibt es beim Tragen von „trachtiger“ Kleidung aber bei Veranstaltungen mit volkstümlichem Charakter. Mit dieser offensichtlichen Uniformierung geht nicht nur ein allzu lockerer und inflationärer Umgang mit Begriffen wie Kultur, Brauchtum, Identität und Heimat einher, sondern auch ein vorübergehender kollektiver Gemütszustand, bei dem in Erinnerungen geschwelgt wird, die es eigentlich gar nicht gibt: Der Reiz einer früheren Welt und der Wunsch nach etwas Entschleunigung und Träumerei inmitten der rasenden Globalisierung findet in der Pseudo-Tracht romantische Anknüpfpunkte, und das bereits bei den Jüngsten.

Dazugehören

Dass heute vermehrt Tracht getragen wird, die nicht aus der „eigenen Region“ stammt oder nicht einmal die Großeltern in den unzähligen heutigen Formen und Varianten kannten, hat vor allem gesellschaftliche Gründe. Nämlich das Dazugehören. Und weil man das auf dem Oktoberfest halt so macht. Die eigentliche Kultur und Tradition der Tracht sind in der trendorientierten Gesellschaft Nebensache. Das zeigt sich vor allem am „modernen Dirndl“: Vom Knöchel aus wanderte der Saum in den letzten Jahren immer mehr über das Knie empor, das Dirndl ist zur sexy Abendgarderobe avanciert. Dabei gibt es verschiedenste Varianten und Kombinationen aus Farben, Stoffen und Mustern, wobei sich das neue Alte vor dem prestigeträchtigen Aufstieg der Bluejeans nicht zu verstecken braucht. Das gilt aber auch für die Kultkleidung der Herren: Lederhosen, Trachtensakkos und alpenländische Applikationen wurden auch bei dieser Klientel salonfähig. Sogar Politiker tauschen ihren Anzug bei Gelegenheit gerne gegen „Tschöple“ und Janker, das bringt sie näher an die Leute beziehungsweise Wählerschaft oder lässt sie zumindest für kurze Zeit aus ihrem Politiker-Alltag schlüpfen.

Zu schade

Diese Evolution hat die Vorarlberger Tracht, allen voran die bekannte Bregenzerwäldertracht, (noch) nicht durchgemacht. Hier geht es tatsächlich noch um die Übertragung von Kultur, Brauchtum und Tradition in die Moderne. Und das geht auch, ohne gleich ein verstaubtes Image mitzutragen. Im Gegensatz zur kunstvoll in Handarbeit gefertigten „richtigen Tracht“, sind das modische Dirndl und die Lederhose von der Stange aber auch nicht zu schade für ausgedehnte Alkoholexzesse auf und teilweise unter den Festzeltbänken im Land. Und hier offenbart sich ein wesentliches Unterscheidungsmerkmal dieser Pseudotracht: Sie ist nicht nur leistbar und lässt sich schnell austauschen, sondern als kurzzeitiges Kostüm ebenso schnell wieder ohne kulturelle Anhängsel und nachhaltiges Traditionsbewusstsein abstreifen. Und das passiert dann in den meisten Fällen spätestens Ende Oktober auch wieder.

 

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