
Von der Schockstarre zur Klarheit
Dezember 2025
Warum KI uns zwingt, uns neu zu bestimmen.
Nach meinem ersten Artikel (Der Weg in die Überflüssigkeit, nachlesbar auf themavorarlberg.at) habe ich zahlreiche Rückmeldungen erhalten. Offenbar habe ich damit einen Nerv getroffen – viele berichteten von Unsicherheit, schlaflosen Nächten, Panikgefühlen. Diese Resonanz hat mich nicht überrascht, wohl aber ihre Intensität und die Vielzahl der Reaktionen.
Denn die Angst, die viele Menschen derzeit spüren, ist längst kein individuelles Phänomen mehr. Sie hat sich tief in das kollektive Bewusstseinsfeld eingeschrieben. Sie begegnet uns in ganz unterschiedlichen Gestalten – und wir Menschen haben traditionell keinen konstruktiven Umgang mit Ängsten, vor allem nicht mit diffusen, schwer benennbaren.
Es ist die Vorahnung, dass etwas Grundlegendes aus den Fugen gerät. Dass ein über Jahrhunderte gewachsenes Gesellschaftssystem – und mit ihm unser Selbstverständnis als Menschen – an seine Grenzen stößt und zerfallen muss, bevor es in einer neuen Gestalt wieder erstehen kann.
Unsere Vorstellung von Zukunft lässt sich nicht mehr als Linie denken, die sich einfach verlängert – sie hat sich von der Achse gelöst. Früher konnten wir Kindern mit gutem Gewissen raten, ein Handwerk zu erlernen – „weil man gute Handwerker immer brauchen wird“. Oder wir ermutigten sie zu einem Studium, im Vertrauen darauf, dass es die Grundlage für ein gelingendes Leben bietet.
Heute ist dieses Vertrauen zerbrochen. Die meisten Entscheidungsträger meiner Generation teilten einst denselben Glauben an eine verheißungsvolle Zukunft. Doch dieser Glaube ist erodiert. Zurück bleibt bestenfalls eine kritische Haltung – im schlechteren Fall das Gefühl, nur noch Schachfiguren zu sein, gezogen von einer numinosen neuen Kraft, ängstlich abwartend auf das, was kommt.
Kollektive Angst als Schwellenwächter
Psychoanalytisch betrachtet, ist Angst kein Fehler im System. Vielmehr ist sie ein Marker. Sie zeigt uns unmissverständlich – und oft körperlich erfahrbar –, dass wir an einer entscheidenden Schwelle stehen. Dass wir etwas loslassen müssen, ohne schon zu wissen, was uns erwartet.
Das Wort selbst verrät es: „Angst“ ist verwandt mit dem indogermanischen anghu – „Enge, Bedrängnis“. Diese Enge schnürt uns die Kehle zu und zwingt uns, einen neuen Durchgang zu finden.
Angst ernst zu nehmen, ist entscheidend. Wer sie verdrängt, verharrt in der Schockstarre. Wer sie versteht, kann sie nutzen: als Signal, dass es jetzt Zeit ist, sich neu zu orientieren – und neu zu positionieren. In unseren zerbrechenden Rollenbildern. In unserem Selbstverständnis als Menschen.
Und in unserer Verantwortung als Unternehmer, die Marken führen, Menschen beschäftigen und Systeme prägen, die überleben oder untergehen werden.
Positionsbestimmung auf einer neuen Bühne
Wenn Künstliche Intelligenz in kürzester Zeit viele unserer Tätigkeiten übernehmen kann, reicht es nicht mehr, Arbeit, Leistung, Erfahrung oder Wissen als sichere Quellen unserer Identität zu begreifen.
Wir stehen vor der Aufgabe, uns neu zu bestimmen. Nicht über Output, sondern über Haltung. Nicht über Effizienz, sondern über Resonanz. Nicht über Argumente, sondern über die Fähigkeit, Vertrauen und Bedeutung zu stiften.
Die entscheidende Frage lautet: Was bleibt, wenn wir nicht mehr gebraucht werden? Diese Frage ist unbequem, aber notwendig. Und sie betrifft nicht nur Einzelne, sondern Unternehmen, Branchen, Gesellschaften – letztlich die gesamte Welt.
Vom Erschrecken zum Gestalten
Die Büchse der Pandora ist längst geöffnet. Wegschauen hilft nicht. Zuwarten ist gefährlich – schon wenige Monate Stillstand können heute gravierende Wettbewerbsnachteile bedeuten.
Der Weg führt nicht über Abwehr, sondern über bewusste Integration. Die Frage ist nicht mehr, ob KI kommt, sondern wie wir sie einsetzen.
Das bedeutet konkret:
›› Repetitive Aufgaben intelligent automatisieren, um Freiräume für Kreativität und Beziehung zu schaffen.
›› Datenfluten analysieren, um Muster zu erkennen, die Orientierung geben – und Kosten sparen.
›› Kundenerlebnisse personalisieren, um Resonanz zu erzeugen.
›› Interne Wissensarbeit erleichtern, um Klarheit zu schaffen.
›› Innovationen fördern, die nicht aus Effizienz, sondern aus Sinn und Haltung gespeist sind.
Doch damit allein ist es nicht getan. Unternehmen müssen lernen, die entstehenden Freiräume und Stillzeiten nicht als Leere zu fürchten, sondern als Räume neuer Lebendigkeit. Es gilt, Menschen zu motivieren, sich lebendig fühlen zu wollen – weil sonst die Gefahr besteht, in eine depressive Grundhaltung abzugleiten.
Die Aufgabe lautet: das kollektive Bewusstsein nicht nur mit Angst, sondern mit neuen Freuden, Perspektiven und Möglichkeiten zu fluten. Und ja – das ist möglich.
Die neue Positionierung
Viele haben mich gefragt, wie man sich als Unternehmen oder Marke in dieser neuen Welt positionieren kann.
Als jemand, der sich, seit er denken kann, mit der Psyche, mit Resonanz und mit unbewussten Kräften beschäftigt – und der aus beruflichen Gründen oft ein Stück in die Zukunft gehen muss – verstehe ich mich als Weggefährte und Impulsgeber auf diesem Weg.
Impulse, wie Unternehmen KI sinnvoll in ihre Prozesse eingliedern können. Impulse, wie Marken auf das reagieren, was sich bereits heute im kollektiven Feld abzeichnet. Impulse, wie Menschen ihre Angst in Klarheit verwandeln – und daraus neue Bedeutung schöpfen.
Denn letztlich ist dies nicht nur eine technologische, sondern vor allem eine psychologische und kulturelle Aufgabe: Die Neu-Bestimmung des Menschseins auf einer völlig neuen Bühne.









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