Thomas Zerlauth

1968 in Dornbirn, ist tiefenpsychologisch orientierter Markenstratege. Er hat 20 Jahre als Markenentwickler der Luxus-Hotellerie und Gesundheitsbranche gearbeitet. Seine Herangehensweise nennt er „MarkenSprint“. Darunter versteht man ein Strategie-Werkzeug, um Marken aus einer radikal neuen Perspektive zu betrachten und damit zu positionieren.
www.markensprint.com

Der Weg in die Überflüssigkeit

September 2025

Eine Warnung aus der unmittelbaren Gegenwart.

Ich schreibe diese Gedanken nieder, weil es zu spät sein wird, wenn wir noch länger warten.

Die meisten Menschen, die noch nicht viel mit künstlichen Intelligenzen arbeiten, sind regelmäßig schockiert, wenn ich ihnen erkläre, wohin wir steuern.

Ich habe diese Phase der Schockstarre und der empfundenen Ratlosigkeit selbst durchlaufen. Warum?

Weil wir es hier mit keiner evolutiven Bewegung oder einem technologischen Quantensprung zu tun haben – sondern mit etwas Fremdem, das mit einer ungeheuren und sich ausdehnenden Kraft ausgestattet ist. Einer Kraft, die alles in ihren Bann ziehen wird.

Kein neues Facebook oder TikTok, sondern etwas ganz anderes.

Was jetzt sehr, sehr schnell auf uns zukommt, ist für Insider keineswegs überraschend, sondern nur logisch. Und es ist viel näher, als die meisten glauben.

In zwei Jahren – vielleicht schon nächstes Jahr – wird künstliche Intelligenz in der Lage sein, den überwiegenden Großteil ALLER menschlicher Tätigkeiten effizienter, kreativer und zuverlässiger zu übernehmen.

Nicht nur Texte. Nicht nur Codes. Nicht nur Bilder, Konzepte, Diagnosen, Musikstücke oder komplexe Entscheidungsprozesse. Sondern ganze Rollen. Ganze Systeme. Ganze Existenzen.

Was verschwindet, ist nicht nur Arbeit. Sondern Relevanz.

Viele feiern diese vordergründige Erleichterung als Fortschritt. Als Befreiung. Als das goldene Zeitalter der Automatisierung.

Aber sie übersehen etwas: Der Mensch ist nicht gedacht für völlige Entlastung. Nicht psychisch. Nicht spirituell. Nicht kollektiv. Nicht im Verbund einer über Jahrhunderte gewachsenen Gesellschaft.

Wenn alles übernommen wird – und das wird es – was bleibt dann?

Wenn niemand mehr gebraucht wird, keine Worte mehr von uns stammen, keine Entscheidungen mehr bei uns liegen – wo verorten wir uns dann im Ganzen?
Die eigentliche Gefahr ist nicht KI, die uns vielleicht eines Tages auslöschen könnte.

Die reale Gefahr ist das menschliche Vakuum, das sie hinterlässt.

Wir werden überflüssig, nicht weil uns jemand vernichten will – sondern weil das sich offenbarende System plötzlich effizienter ist ohne uns.

Und wenn der Mensch aufhört, notwendig zu sein, beginnt er, an sich selbst zu zweifeln.

Und wenn ihm nichts mehr bleibt, bleibt nur noch Zeit – die sich wie Leere anfühlt.

KI macht vieles einfacher. Aber sie führt uns in eine inhaltsleere und von jedem Sinn befreite Welt.

Es spielt keine Rolle, ob man glaubt, dass KI irgendwann empfindungsfähig sein wird, über ein Bewusstsein verfügt, uns Gutes will oder neue technologische Revolutionen bringt.

Die Richtung bleibt dieselbe.

Ich sehe die ersten Kollegen, die sich nicht mehr getrauen, selbst zu schreiben, weil eine Maschine es besser kann.

Ich sehe Schüler, die sich fragen, wozu sie noch lernen sollen, wenn ein Prompt die Antwort in Sekunden generiert.

Ich sehe Unternehmer, die ihre Identität verlieren, weil ihr ganzes Lebenswerk durch eine API ersetzt werden kann.

Ich sehe mich selbst und frage mich, ob ich mir die Zeit für etwas Selbstentwickeltes überhaupt noch nehmen soll – wenn (meine) KI es eh schon kann.

Und ich sehe Gesellschaften, die so betäubt sind vom technologischen Rausch, dass sie den Verlust des Sinns nicht einmal spüren.

Bis sie aufwachen – und feststellen, dass nichts mehr zu tun bleibt, außer zuzusehen.

Wer jetzt denkt, das sei übertrieben: Denk noch einmal.

KI entwickelt sich nicht linear. Sie wächst exponentiell. Sie wird nicht langsam besser – sondern in Sprüngen übermenschlich.

Und das ist kein Märchen. Es ist Mathematik. Es ist Physik. Es ist Wirtschaft. Es passiert.
Also: Was tun?

Wir dürfen nicht darauf warten, dass irgendwann ein Politiker aufsteht oder eine Regierung Alarm schlägt.

Das werden sie erst, wenn bereits weite Teile der Gesellschaft selbst erkennen, was hier vor sich geht – und wohin das zwangsläufig führen wird.

Wir müssen aufhören, uns die Dinge besser zu reden, als sie sind – oder einzureden, dass KI dies oder jenes niemals können wird.

Wir müssen uns diese große Entwicklung und die sich daraus ergebenden natürlichen Folgen zunächst vollständig und in der Tiefe bewusst machen.

Nach einer Phase der Angst, die diese Klarheit jedem Menschen bringen wird, müssen wir uns erheben.

Wir sollten auf den nächstgelegenen Berg steigen. Und dann am besten auf noch einen.

Wir sollten uns an ein Lagerfeuer setzen und uns fragen, woher wir unseren Sinn und unsere Bedeutung ziehen.

Wir müssen Räume schaffen, in denen nicht Effizienz zählt, sondern Echtheit.

In denen nicht Output belohnt wird, sondern Haltung.

In denen es nicht um Profit und Rendite geht, sondern um etwas Essenzielles.

In denen nicht schneller oder zielstrebiger gedacht wird, sondern etwas Wahres und Echtes erlebt wird.

Wir müssen Dinge tun, die sich lebendig anfühlen, die uns zu Tränen rühren und die uns eine Gänsehaut erleben lassen.

Und wir müssen das jetzt tun.

Nicht in Ethikkommissionen. Nicht in Zukunftskonferenzen. Sondern in Schulen, Unternehmen und Familien.

Dies ist keine Warnung vor einem totalen Zusammenbruch der uns bekannten Welt.

Dies ist eine Einladung.

Zum Gespräch über ein radikal neues Menschsein.

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