Wolfgang Weber

Er etablierte 2003 die Grundlagenlehr­veranstaltung „Politische Bildung“ für Lehramtsstudierende in Geschichte und Sozialkunde an der Universität Innsbruck. Neben der Lehre ist seine Fachexpertise als demokratiepolitischer Bildner auch in Vermittlung und Forschung gefragt, etwa bei Ausstellungsprojekten mit Klassen der Mittelschule Lauterach (2006) und des Bundesgymnasiums Lustenau (2008) und gegenwärtig als Fachexperte im EU-finanzierten Forschungs- und Vermittlungsprojekt „World Class Teacher“ mit Standorten in England, Österreich, Polen und der Slowakei.

Das Ende Vorarlbergs in der Geschichte

März 2015

Am 1. Februar 1940 verabschiedete sich das Land Vorarlberg aus der Geschichte. 75 Jahre später verstreicht dieses Jubiläum ohne offizielles Gedenken und ohne selbstreflektiertes Innehalten mit kritischer Rückschau. Ausreichend Selbstbewusstsein oder fehlende Demut vor der Vergangenheit?

Mit der Machtübertragung an die NSDAP im März 1938 wurde das Ende des selbstständigen Landes Vorarlberg eingeleitet. Zwei Wochen nach dem deutschen Einmarsch verwies Christian Opdenhoff, Personalamtsleiter im Stab jenes NS-Reichskommissars, der von Adolf Hitler mit der verwaltungstechnischen Neugliederung Österreichs beauftragt worden war, in einem internen Papier da­rauf, dass „die sich vom Westen nach Osten erstreckende Wurst, Vorarlberg, Tirol, Salzburg […] nach Norden hin aufgeteilt werden“ müsse.

Diese drei österreichischen Länder sollten an Bayern gehen. Quasi als Vorleistung dafür wurde das ehemals autonome Vorarlberg parteipolitisch und administrativ an Tirol angegliedert, sämtliche Dienstgeschäfte der vormaligen Vorarlberger Landeshauptmannschaft wurden mit 1. Februar 1940 an Innsbruck abgetreten. Für viele Vorarlberger Beamte hieß dies Versetzung, zumindest nach Tirol, oft auch weiter in den Osten, über Österreich hinaus. Eine Vorarlberger Landesverwaltung oder ein Land Vorarlberg gab es ab dem 1. Februar vor 75 Jahren nicht mehr – auch keine Landes­bürgerschaft und kein Montfortwappen, keine Landeshymne und kein sportliches Messen mit anderen Ländern.

Nach der Befreiung von der NS-Diktatur im Mai 1945 errichtete die französische Militärregierung das Land Vorarlberg wieder als von Tirol unabhängige Verwaltungseinheit. Es war jedoch keineswegs klar, wie dauerhaft diese Wieder-Gründung sein würde. Ein sogenanntes „Aktionskomitee des Alpenländischen Demokratischen Bundes“ um den Bregenzer Bürgermeister Julius Wachter und seinen Singener Amtskollegen Bernhard Dietrich machte im Oktober 1945 der Militärregierung den Vorschlag, doch einen neuen alpenländischen Staat zu gründen, um damit den preußischen Militarismus, der zwei Weltkriege und den National­sozialismus hervorgebracht hatte, auf Dauer zu neutralisieren. 29 Prozent der Vorarlberger Bevölkerung befürworteten nach einer französischen Meinungsumfrage einen solchen Schritt.

Gemeinsam mit Bayern, Liechtenstein und den schwäbisch-alemannischen Teilen von Baden und Württemberg wäre Vorarlberg in einem solchen konföderativen Alpen-Donau-Staat aufgegangen, der, so Julius Wachter in einem Tagebucheintrag, in weiter Ferne in einem Bund mit dem Namen „Vereinigte Staaten von Europa“ enden werde.
Charles de Gaulle nahm den letzten Gedanken gerne auf und arbeitete gemeinsam mit Konrad Adenauer erfolgreich an der Gründung Europas. Den Vorschlag einer Konföderation mehrheitlich katholischer Länder, die nach dem Muster Schweizer Kantone autonom verwaltet werden sollte und bis zu 19 Millionen Menschen umfasst hätte, lehnte er ab.

General de Gaulle wies daher die französischen Militärregierungen in Deutschland und Österreich an, Aktivitäten für derartige Pläne zu unterbinden. Er war lediglich bereit, das durch die Alliierten der Anti-Hitler-Koalition wieder errichtete Österreich durch die Rückführung von Südtirol und den Anschluss Berchtesgadens und des Ruppertswinkels territorial zu stärken. Ansonsten sollte aber das alliierte Kriegsziel der Wiederherstellung Österreichs und Europas in der Ordnung vor dem Zweiten Weltkrieg unverändert bleiben. Damit war auch Vorarlbergs fünfjähriger Abschied aus der Geschichte vor 75 Jahren Makulatur. Mit den beiden Länderkonferenzen im Herbst 1945 wurde Österreich als Bundesstaat und Vorarlberg als einer seiner Gliedstaaten wiedererrichtet.

Schon die Nachkriegspläne von Wachter & Co hätten Vorarlberg als eigenständigen Kanton im neuen alpenländischen Staat wiedererstehen lassen. Die territoriale Integrität des Landes vor dem Arlberg schaffte nur die NS-Diktatur ab – vor 75 Jahren.
Vorarlberg als Teil anderer Staaten zu etablieren, hatten jedoch schon andere versucht. Vor 200 Jahren etwa, im Frieden von Preßburg 1815, wurden Vorarlberg und Tirol von der österreichischen Krone an Bayern abgetreten. Über hundert Jahre zuvor, 1702, wollte der österreichische Kaiser die damals noch nicht als eigenständiges Land Vorarlberg bestehenden Herrschaften um Bregenz und Feldkirch an die Fürstäbte von Kempten und St. Gallen verkaufen. 1918 initiierte der Lustenauer Lehrer Ferdinand Riedmann eine Bewegung für einen Anschluss Vorarlbergs an die Schweiz.

Riedmanns Gegner forderten einen Anschluss Vorarlbergs an Deutschland. Nach ihrer Meinung hätte Vorarlberg gemeinsam mit anderen alemannisch-schwäbischen Landesteilen in Baden, Bayern und Württemberg ein Bundesland Schwaben der Republik Deutschland werden sollen. Zwanzig Jahre später wurde diese Idee noch einmal von den seit März 1938 regierenden Vorarlberger Nationalsozialisten aufgenommen: Um eine Auflösung des Landes und einen Anschluss an Tirol zu verhindern, plädierten sie für die Errichtung eines Gaues Schwaben, von dem Vorarlberg einen Teil gebildet hätte. Sie setzten sich nicht durch, und Vorarlberg verabschiedete sich mit 1. Februar 1940 als eigenständiges Land aus der Geschichte. Ein bisher einmaliger Akt der modernen Landesgeschichte – als solcher ist er ein umfassendes und öffentliches Gedenken wert.

Kommentare

To prevent automated spam submissions leave this field empty.