Vorarlberger Forscher als Motor für Corona-Therapie
International wird derzeit fieberhaft nach einer Therapie gegen die durch das Corona-Virus ausgelöste Krankheit COVID-19 gesucht. Wichtige Inputs dazu kommen von einer aus Bludenz stammenden Pharmazeutin und einem Bregenzerwälder Chemiker.
Im Hinblick auf eine Therapie gegen COVID-19 zeichnen sich erste Lösungen ab. Und die Inputs dazu kommen von Forschern, die aus Vorarlberg stammen und gleichzeitig nicht unterschiedlicher sein könnten. Ende Juni hat der Humanarzneimittelausschuss der Europäischen Gesundheitsbehörde EMA empfohlen, dem Wirkstoff Remdesivir eine bedingte Zulassung für die Behandlung von COVID-19 bei Erwachsenen und Jugendlichen ab 12 Jahren mit Lungenentzündung, die zusätzlichen Sauerstoff benötigen, zu erteilen. Sprich: bei schwer erkrankten Patienten. Vorangegangen waren umfangreiche Studien des Medikaments, das an sich nicht neu ist und auch nicht für COVID-19, sondern gegen Ebola entwickelt wurde.
Einer der Väter des Medikaments ist der Biotech- und Virenexperte Norbert Bischofberger. Der aus Mellau stammende und in Kalifornien lebende Experte hat einst das Grippemittel Tamiflu entwickelt, das Medikament Sovaldi gegen das Hepatitis-C-Virus zur Marktreife gebracht und war auch an den Forschungen zu Remdesivir beteiligt. Bischofberger hat das von ihm mitaufgebaute Unternehmen Gilead in der Zwischenzeit verlassen und sich einem Krebs-Start-up angeschlossen, Gilead treibt die Entwicklung aber weiter. Offen ist derzeit der richtige Zeitpunkt für die Verabreichung des Medikamentes, weil noch nicht klar ist, wann genau ein Patient den Virushöhepunkt erreicht. Zur optimalen Therapiewirkung sollte es aber vorher gegeben werden, sagt Bischofberger. „Wir wissen auch noch zu wenig über die Inkubationszeit.“ Insgesamt zeigte eine aktuelle Studie, dass sich die behandelten, schwererkrankten Patienten nach etwa elf Tagen erholten, verglichen mit 15 Tagen bei Patienten, die ein Placebo erhielten. Dieser Effekt wurde bei Patienten mit leichter bis mittelschwerer Erkrankung nicht beobachtet: Die Zeit bis zur Genesung betrug hier fünf Tage. Das Medikament wird durch Infusion in eine Vene verabreicht und seine Anwendung ist auf Gesundheitseinrichtungen beschränkt, in denen die Patienten genau überwacht werden können. Getestet werden derzeit auch noch Nebenwirkungen und die genauen Einsatzbereiche. Weil die Zeit aber drängt, gab es nun die bedingte Zulassung der EMA.
Ganz andere Wege geht die aus Vorarlberg stammende und an der Universität Wien arbeitende Pharmazeutin Judith Rollinger, die sich auf die Erforschung von pflanzlichen Arzneimitteln spezialisiert hat. Viele Organismen müssen sich gegen Fressfeinde, Krankheiten oder Schädlinge wehren. Mit ihren Stoffwechselprodukten bestücken sie ein chemisches Arsenal. Mit modernen Methoden suchen Rollinger und ihre Kollegen neue Wirkstoffe gegen Lungeninfektionen durch Influenza, das Coronavirus oder Pneumokokken. Rollinger ist Leiterin der Arbeitsgruppe „Phytochemistry & Biodiscovery“ an der Universität Wien. „Das über mehrere Generationen weitergegebene traditionelle Wissen nützen wir als empirischen Erfahrungsschatz, der uns bei der Vorauswahl von potenziellen Wirkstofflieferanten hilft.“ Mit etablierten Forschungskollaborationen, Methoden der Chemoinformatik und Zellkulturen wurden aus überliefertem Heilwissen vielversprechende Kandidaten ausgesiebt. „Antivirale Medikamente sind nicht leicht zu entwickeln, weil Viren menschliche Wirtszellen zur Vermehrung und Verbreitung nutzen. Um auch Stoffe zu entdecken, deren Wirkmechanismus wir noch nicht kennen, haben wir mehrgleisig analysiert“, erklärt die Pharmazeutin. In Kooperation mit dem Universitätsklinikum Jena wurden Extrakte gegen verschiedene Viren, die sich im respiratorischen System einnisten, in Stellung gebracht. Die 28 besten Kandidaten wurden anschließend in der Petrischale auf Zellkulturen angesetzt, die mit respiratorischen Pathogenen infiziert wurden. Verglichen wurde deren antivirales Potenzial mit dem Neuraminidase-Hemmer Tamiflu. „Wenn sich ein Extrakt als aktiv erweist, beginnt die phytochemische Knochenarbeit. Wir analysieren die Zusammensetzung, um danach zielgerichtet antiviral wirksame Verbindungen zu isolieren“, sagt Rollinger.
Mögliche neue Stoffe wurden mit Hilfe chemo-informatischer Ansätze ausfindig gemacht. Dabei gelang es vor allem durch die Zusammenarbeit mit Fachleuten für Chemoinformatik der Universitäten Innsbruck und Hamburg, die 3-D-Struktur der Neuraminidase-Bindestelle zu modellieren und Verbindungen vorherzusagen, die dort binden und sie blockieren können. Als besonderen Erfolg wertet Rollinger, dass Naturstoffe mit dualer Wirkung identifiziert wurden. Sie hemmen gleich zwei für Lungeninfektionen verantwortliche Pathogene: Influenzaviren und Pneumokokken. Inhaltsstoffe aus der Wurzelrinde des Maulbeerbaums (Morus alba) hindern gleichzeitig die virale und die bakterielle Neuraminidase an der Arbeit. In einem Folgeprojekt wird nun die klinische Forschung an den bestgeeigneten Kandidaten weiter vorangetrieben. Jetzt will die Gruppe in Wien zudem die Brücke zum Coronavirus schlagen, das wie das Influenzavirus die Lunge stark angreift.
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