Sabine Barbisch

Gemeinsam gegen Mobbing und für Menschenrechte

Juni 2024

Ein Gespräch mit drei Expertinnen über Mobbing in Vorarlberg, die Koordinationsstelle und den Handlungsbedarf gegen das System der Schikane. Und über den in diesem Kontext veröffentlichten Anti-Mobbing-Song „Hör auf!“

Mobbing vorzubeugen, nachhaltig zu unterbrechen und die Menschen dafür zu sensibilisieren ist ein gesellschaftspolitisch relevantes Thema“, lautet das Credo der Mobbing-Koordinationsstelle für Vorarlbergs Schulen. Die unabhängige Stelle wurde mit dem Schuljahr 2018/19 installiert und an die Heilstättenschule Vorarlberg in Rankweil angegliedert. Was vor sechs Jahren mit einer Teilzeitstelle begann, wurde nach dem ersten Jahr zu einer Vollzeitstelle. Seit zwei Jahren wird das Thema Mobbing an Schulen von zwei Frauen in Vollzeit bearbeitet: Elfriede Böhler und Michaela Uitz-Steinhauser sind die Gesichter und die Gestalterinnen in einem. Nach einigen Änderungen in der Struktur ist die Mobbing-Koordinationsstelle seit einem Jahr bei der Bildungsdirektion Vorarlberg angesiedelt. 

Der Kontakt 
An die Koordinationsstelle Mobbing kann sich jede Person wenden. „Es gibt Menschen, denen etwas auffällt, aber auch direkt oder indirekt Betroffene“, führt Elfriede Böhler aus. In erster Linie seien das Erziehungsverantwortliche sowie Pädagoginnen und Pädagogen und Systempartnerinnen und Systempartner. Die Direktion kümmert sich nach dem Anruf der Koordinationsstelle darum, dass die geeignetste Person vor Ort mit der Fallführung betraut wird. „Wir bleiben auch selbst an dem Anliegen dran – die betroffene Person bekommt genauso Unterstützung wie die fallführende Person“, klärt die Expertin auf.
Daneben sind die beiden Frauen mit Vorträgen im ganzen Land unterwegs, klären bei Lehrerfortbildungen, bei Elternabenden oder in Vereinen auf, sie gestalten pädagogische Tage, informieren über verschiedene Bearbeitungsmethoden von Mobbing, Konfliktlösungen und arbeiten mit anderen Institutionen zusammen.
Auch die Ausbildung von Sozialtrainerinnen und Sozialtrainern läuft über die Koordinationsstelle, wie Elfriede Böhler erklärt: „Wir haben im mittlerweile sechsten Lehrgang, der in Kooperation mit Schloss Hofen organisiert wird, rund 120 Pädagogen, Pädagogische Berater, Schulsozialarbeiter, Elementarpädagogen sowie freie Trainer ausgebildet.

Der Prozess
Mobbing ist Schikane mit System. Kriterien sind, dass es um die Person, nicht um die Sache geht, dass eine Schädigungsabsicht sowie ein Wiederholungsaspekt gegeben ist. Außerdem handelt es sich um ein Machtungleichgewicht zwischen Täter und Opfer. Das Opfer ist hilflos und benötigt immer die Hilfe einer übergeordneten Stelle. Aus diesem Grund können Schüler untereinander Mobbing nicht lösen.
Michaela Uitz-Steinhauser weiß, dass die Zeiträume zur Bearbeitung eines Mobbing-Falls unterschiedlich sein können: „Zuallererst geht es darum, dass das Opfer schnell Schutz und Sicherheit erfährt. Wenn die Systempartner gut arbeiten und Mobbing richtig bearbeitet wird, kann ein Fall innerhalb einer Woche geklärt werden.“ Es könne aber auch länger dauern – Tage, Wochen, Monate, oft Schuljahre vergehen – denn die zwei Mitarbeiterinnen der Koordinationsstelle sind abhängig vom Netzwerk vor Ort, denn selbst sind sie, mit Ausnahme der Sozialtrainerinnen-Tätigkeit, nicht operativ an den Schulen tätig. So sieht es das Konzept vor.
Die Expertin führt aus, dass „Mobbing ein gruppendynamischer Prozess ist. Deshalb muss die Bearbeitung auch mit der Gruppe stattfinden.“ Mit einzelnen Personen zu arbeiten ist langfristig nicht wirksam, „denn Täter-Opfer-Gespräche sind dysfunktional. Und Strafen machen niemanden sozial kompetent. Deshalb erarbeiten wir im Sozialtraining mit den Schülern die Menschenrechte und besprechen die Rechte und Pflichten in einer Demokratie – Meinungsfreiheit, Zivilcourage, Diskriminierungsverbot, Recht auf Bildung. In diesen Prozessen geht es nie um Schuld und Strafe, nicht um Bewertung oder Beschämung. Zentral ist, dass Menschen sozial kompetent sowie zur Empathie fähig werden und sich an die Menschenrechte halten.“ Der Grundsatz der Sensibilisierung und Bewusstseinsbildung lautet deshalb: „Ich schaue hin, ich nehme wahr, ich handle!“ 

Die Betroffenheit
Dieser Ansatz ist wichtig, ist doch jedes dritte Kind von einer Mobbing-Atmosphäre betroffen. Zahlen von 147 Rat auf Draht, der Notrufnummer für Kinder und Jugendliche, zeigen, dass immer mehr Kinder und Jugendliche von psychischer Gewalt betroffen sind: Die Beratungsgespräche zu psychischer Gewalt haben 2023 um 13,61 Prozent zugenommen; den größten Anstieg gab es mit rund 22 Prozent bei Mobbing.
Bei Michaela Uitz-Steinhauser werden diese Zahlen zu persönlichen Geschichten: „Das Leid in den Familien von Betroffenen ist sehr groß, das ganze Familiengefüge ist durcheinander.“ Die Expertin spricht von physischen, psychischen und gegenständlichen Angriffen: „Früher kamen die Kinder nach Hause und das Mobbing war vorbei, heute geht es digital im Kinderzimmer weiter, 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche.“

Das Lied
Autorin und Singer-Songwriterin Ingrid Hofer, unter anderem ist sie die Schöpferin der Figur „Teddy Eddy“, war als junges Mädchen selbst von Mobbing betroffen. Die enge Beziehung zu ihrer Familie habe ihr während der zwei Jahre geholfen, denn die Lehrperson habe das Mobbing nicht erkannt. Heute ist sie überzeugt: „Das Mobbing hat mich nicht kaputt gemacht, aber geprägt. Ich lasse mir heute nichts gefallen, ich bin klarer und stärker daraus hervorgegangen.“ 
Im Rahmen des Projekts „Für ein Miteinander IM Frieden“ kamen Ingrid Hofer, Elfriede Böhler und Michaela Uitz-Steinhauser mit ihren Erfahrungen und ihrem Engagement gegen Mobbing zusammen. 
Die Erstversion des Titels „Hör auf!“ hat Ingrid Hofer während dem ersten Telefonat mit den Initiatorinnen geschrieben. Dann wurde weiter daran gefeilt, Inhalte der Mobbingstelle und des Sozialtrainings wurden eingewoben. „Es war ein Auftragslied, mit dem eine wichtige Botschaft transportiert werden muss – mir fiel es aber leicht, den Song zu schreiben, weil ich wusste, wovon ich singe“, sagt Ingrid Hofer. Umgesetzt wurde das Video zu „Hör auf!“ mit dem Inklusionschor der Schule Langenegg und der Dance Art School Dornbirn. Und das kraftvolle Lied bewegt – so meinte eine Hörerin: „Dieses Lied heilt mein inneres Kind.“
Mit diesen Erfahrungen fordern die Frauen: „Wir sind die offizielle und kostenlose Anlaufstelle für den Bildungsbereich. Aus unserer Sicht braucht es eine umfassende und kostenlose Ombudsstelle für alle von Mobbing betroffenen Menschen im Land.“

Zu den Personen

Elfriede Böhler 
*1963, MA, aus Schwarzach ist Mobbing-Koordinatorin der Bildungsdirektion Vorarlberg. Sie ist Pädagogin, Diplomierte Lebens- und Sozialberaterin, eingetragene Mediatorin, Supervisorin, Trainerin und Ausbildnerin.

Ingrid Hofer
*1976, aus Lustenau arbeitet als Autorin und Singer-Songwriterin. Ihr Fokus liegt auf Multimedia Kinderaktivitäten – sie schreibt und gestaltet Bücher, Lieder und Kinder-Tanz-Videos auch in Gebärdensprache. Ihr YouTube-Kanal zählt über 60 Millionen Aufrufe.

Michaela Uitz-Steinhauser 
*1972, aus Krumbach ist Mobbing-Koordinatorin der Bildungsdirektion Vorarlberg. Sie ist Pädagogin, Klinische Psychologin, Gesundheitspsychologin, Erziehungswissenschaftlerin, Psychotherapeutin und zertifizierte Kinder- und Jugendlichen­therapeutin.

Mobbing-Koordinationsstelle

E-Mail mobbing@bildung-vbg.gv.at
Instagram und Facebook
mobbing_vorarlber

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