
Der Staat als Preistreiber
Auf den ersten Blick hätte die Wirtschaftspolitik wahrlich akutere Probleme als die Meldung, dass die Verbraucherpreise in den letzten Monaten um ein Prozent höher waren als vor einem Jahr. In früheren Jahren war die Inflation doppelt so hoch oder noch höher. Also ein Fortschritt? Wohl kaum, denn das war fast ausschließlich dem starken Rückgang der Ölpreise zu danken.
Ein genauerer Blick auf die aktuell geringe Verteuerung bringt einige bemerkenswerte Beobachtungen:
- Österreich hat unter den EU-Ländern derzeit die höchste Inflationsrate. Nur Rumänien kommt nahe an die Verteuerung bei uns heran. Auf diese Spitzenleistung brauchen wir uns allerdings nichts einzubilden.
- Eine Inflation von einem Prozent ist nicht wenig, wenn man an die Zinsen für täglich fällige Ersparnisse denkt, die derzeit von null nur insignifikant verschieden sind. Sparen bringt einen Verlust an realer Kaufkraft.
- Den Zeigefinger auf die Lohnverhandler zu richten, wäre voreilig: Die durchschnittlichen Löhne und Gehälter pro Kopf steigen heuer nominell um rund 1,5 Prozent. Das bedeutet unter Berücksichtigung der Inflation aber gerade mal rund ein halbes Prozent real – brutto! Davon fressen dann Steuern und Sozialbeiträge – Steuerreform hin, Sparpakete her – noch etwa einen halben Prozentpunkt weg. Dadurch sinkt netto die real verfügbare Kaufkraft von Herrn und Frau Österreicher um etwa einen halben Prozentpunkt – übrigens wie schon in den vorhergehenden Jahren. Die flaue Kaufneigung der Konsumenten ist also keine merkwürdige Mode, die dem Handel weh tut, sondern die zwangsläufige Folge der Ebbe im Portemonnaie.
Jetzt kommen wir aber zum Kern des Problems: Österreich hat, gemessen an früheren Zeiten, zwar eine gering erscheinende Inflationsrate, aber die höchste in der EU – aber nicht, weil etwa Bekleidung, Schuhe, Wohnungseinrichtung, Bücher, Elektrogeräte und andere Güter des Haushaltsbedarfs sich rascher verteuert hätten als anderswo in Europa. Zudem wird die Inflationsrate 2015 durch die Treibstoffpreise gedämpft und auch durch Industriewaren und private Dienstleistungen nicht stärker verteuert als in anderen EU-Ländern.
Die überdurchschnittliche Verteuerung der Lebenshaltung kann ziemlich gut lokalisiert werden: Sie entsteht hauptsächlich einerseits beim Wohnungsaufwand und andererseits bei einer Vielfalt von öffentlichen Gebühren und Tarifen.
Im Wohnungsaufwand werden Miete und Betriebskosten sowie Energiebedarf zusammengefasst. Die europäische Statistik Eurostat meldet, dass die Kategorie „Wohnung, Wasser, Elektrizität, Gas und Brennstoffe“ im März 2015 in Österreich um 1,6 Prozent teurer war als im Vorjahr, in der übrigen Eurozone jedoch um 0,6 Prozent billiger. Beim überdurchschnittlichen Anstieg der Mieten kann es sich auch um den Effekt des steigenden Wohnungsbedarfs handeln, den die starke Zuwanderung auslöst. Die Preisentwicklung für Strom und Gas sollte wegen der fallenden internationalen Energiepreise den Aufwand dämpfen, aber die Grundgebühr für Strom stieg österreichweit um nicht weniger als 43 Prozent. Dazu kommen öffentliche oder öffentlich geregelte Tarife etwa für Wasser, Müllabfuhr und Kanal.
In anderen Bereichen des mehr oder weniger notwendigen Aufwands steckt eine Vielzahl der verschiedensten Tarife und Gebühren. Die werden entweder von öffentlichen Stellen, meist Gemeinden oder ausgelagerten kommunalen Betrieben, verordnet, oder von Behörden kontrolliert, wo der Wettbewerb nicht funktionieren würde oder nicht funktionieren kann: Rezeptgebühren, Spitalsplätze, Park- und Mautgebühren, Autobahnvignette, Taxitarife, Pkw-Anmeldung, Führerschein, Pendlerkarten, Briefporto, Fernsehgebühr, Reisepässe, Flughafengebühren, Lotterien, Kindergärten, Ganztagesbetreuung, Pflegeplätze in Wohn- und Altersheimen bis hin zur Friedhofsgebühr.
Nun kann jeder Ökonom erklären, warum bei Dienstleistungen der Spielraum für kostensparende Effekte der Rationalisierung begrenzter ist als bei industriell-gewerblichen Sachgütern. Richtig ist auch, dass heute die tatsächlichen Wettbewerbsverhältnisse bei öffentlichen Diensten in der Energieversorgung, im Bahnverkehr, bei Telefon oder Post völlig andere sind als noch vor zehn Jahren. Wenn dort von den Konsumenten aus alter Gewohnheit oder Bequemlichkeit der prinzipiell etablierte Wettbewerb nicht zu ihren Gunsten genutzt wird, sind sie selbst schuld.
Dennoch wäre es in Zeiten äußerster Budgetnot, nicht zuletzt von Ländern und Gemeinden, nicht verwunderlich, wenn die Obrigkeit zur teilweisen Finanzierung ihrer beengten Haushalte durch Anhebung von Gebühren und Tarifen neigen würde. Im Prinzip ist es auch im Interesse der Bevölkerung, wenn die Qualität der Leistungen durch ausreichende Abgaben sichergestellt wird. Doch wie das in Wirklichkeit aussieht, darüber wissen wir wenig: Statistik Austria wertet zwar einen Spezialindex „Gebühren und Tarife“ aus, aber Daten für 2015 sind bisher nicht publiziert, schon gar nicht nach Bundesländern. Internationale Vergleiche sind, soweit sie überhaupt vorgesehen wären, wenig verlässlich, weil die Abgrenzung, was als öffentlicher Tarif anzusehen ist, nach Ländern sehr verschieden ausfällt.
Wenig überraschend ist, dass der Österreichische Städtebund seine Mitglieder gegen den Vorwurf der inflationären Tarifgestaltung in Schutz nimmt. Ausgabendeckung sei grundsätzlich notwendig. Einverstanden. Aber wie werden die Ausgaben, also die Herstellungskosten öffentlicher Dienste, kalkuliert? Dass in einem Wahljahr im Bundesland Wien die Wiener Arbeiterkammer die Stadt Wien als Eigentümerin des mit Abstand höchsten Anteils an Gemeindewohnungen nicht unsozialer Mietenpolitik verdächtigt, kann nur sehr Unerfahrene erstaunen.
Zurück zum Anfang: Betreiben wir beim Nachforschen einer Inflationsrate von einem Prozent uninteressante Erbsenzählerei? Soeben hat die EU ihre neuesten Konjunkturprognosen veröffentlicht: Sie erwarten für Österreich 2015 ein Wachstum des BIP um nur 0,8 Prozent, um ein Prozent weniger als im EU-Durchschnitt und um über ein Prozent weniger als in Deutschland – das zweite Jahr in Folge, dass ein solcher Rückstand auftritt. Vor diesem Hintergrund sollte man neben einer Reihe anderer Schwachstellen die Beobachtung nicht beiseiteschieben, dass im Inland seit Längerem die Kaufkraft abnimmt, und man sollte sich nicht scheuen, der Frage nachzugehen, welche Faktoren dafür verantwortlich sind.
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