Sabine Barbisch

Ich wollte mein eigener Boss sein

Dezember 2019

Was Wolkenkratzer und die Arbeit mit Büchern mit der Erfüllung eines Kindheitstraumes zu tun haben, erzählt Manfred Blümel in „Thema Vorarlberg“: Er ist vor über zwanzig Jahren in die USA ausgewandert und berät mit seinem Unternehmen „Zeitgeist Research“ hochkarätige Kunden wie Samsung, LinkedIn oder die Luxushotelkette Peninsula.

Als ich sechs Jahre alt war, hat mir mein Vater ein Buch über Wolkenkratzer aus New York mitgebracht. Als ich fragte, was ich tun muss, um darin zu wohnen, hat er gesagt: Bankdirektor in New York werden. Ich war dann das Kind mit diesem merkwürdigen Berufswunsch, während die anderen von Berufen wie Lokomotivführer oder Feuerwehrmann träumten“, erzählt Manfred Blümel von einem seiner Kindheitsträume. Er wurde kein Bankdirektor, sondern entschied sich für das Studium der Politikwissenschaften, das er 1994 mit dem Doktorat abschloss. Danach wurde er Clubsekretär der SPÖ im Vorarlberger Landtag, später Pressesprecher im Europastaatssekretariat im Bundeskanzleramt, er verbrachte ein Sabbatical in Uganda, und schließlich ermöglichte ihm die „Green Card Lotterie“ vor über zwanzig Jahren die Auswanderung nach Amerika. Vier Jahre arbeitete er als Marktforschungsanalyst bei einer Softwarefirma in Minneapolis. Zuvor hatte er als Teenager von der Arbeit in einer Buchhandlung geträumt, tatsächlich war er bis 2011 bei Amazon, dem größten Buchhändler der Welt, tätig. „Ich war dort acht Jahre lang der Leiter der Marktforschungsabteilung und habe ein Team gemanagt, das über die ganze Welt verstreut war. Im Wesentlichen habe ich von Schuhkäufen in Deutschland, über den Medienkonsum in Japan bis zur Kundenzufriedenheit in den USA alles erforscht, was mit Amazon zu tun hat. Mein Fokus lag dabei immer auf der Kundenzufriedenheit, denn Amazon hat zwar nicht die schönste Webseite, aber sicherlich eine, die am besten funktioniert.“ Wie sehr der Konzern die Kundenbedürfnisse in den Mittelpunkt rückt, hat Manfred Blümel selbst erlebt: „So wie alle McDonalds-Manager lernen, Burger zu braten, mussten wir jedes Jahr in die Warenlager und Pakete verschicken: Erst, wenn man im Herzstück einer so großen Firma ist, versteht man, wie das Ganze funktioniert.“ So ist auch er als Leiter der internationalen Marktforschungsabteilung einmal im Jahr am Lieferband gestanden und  hat Bücher abgeschickt. „Außerdem hatten wir Dienst in der Telefonzentrale und beantworteten Kundenanfragen. Ich kann mich gut erinnern, wie ich eine ältere Dame am Telefon hatte, die die Registrierungszahlen für den Kindle nicht lesen konnte. Die Zahlen waren sehr klein und tatsächlich kaum lesbar – das haben wir sofort geändert.“

Ein virtuelles Unternehmen 

Seine Arbeitstage bei Amazon hatten meist zwölf Stunden, nach dem Abendessen machte er sich trotzdem nochmals an die Arbeit. Sein Chef war zwischen 22 und zwei Uhr früh am besten erreichbar. „Nach acht Jahren hatte ich ein Burn-out. Und ich konnte mich nie daran gewöhnen, von jemandem abhängig zu sein, sei das in einer Partei oder in einem internationalen Unternehmen. Ich wollte mein eigener Boss sein! Daher war für mich 2012 der Schritt in die Selbstständigkeit mit „Zeitgeist Research“ der richtige“, erinnert sich der 51-Jährige zurück. Das Besondere: „Zeitgeist Research“ ist ein virtuelles Unternehmen: „Wir sind über das ganze Land verteilt, leben in Seattle, Chicago, Minneapolis, Boston, Phoenix oder Florida und arbeiten alle von Zuhause aus, so sparen wir uns die hohen Bürokosten in Seattle. Gearbeitet wird mit speziellen Programmen für Teams und über Videokonferenzen. „Obwohl ich Mitarbeiter habe, die ich noch nie persönlich gesehen habe, funktioniert das sehr gut“, berichtet Blümel. Die vielen großen Namen in seiner Kundenliste, wie Twitter, Samsung, LinkedIn oder die Peninsula Hotelkette aus Hongkong, unterstreichen die hervorragenden Bewertungen seines Unternehmens: „Die Bandbreite an Aufträgen ist tatsächlich sehr groß: Als Samsung mit dem Galaxy 7 ein Desaster erlebte, weil die Batterien brannten, war es unsere Aufgabe herauszufinden, was man tun muss, um die abgewanderten Kunden wieder zurückzugewinnen. Die Kette der Peninsula-Hotels bedient vorwiegend Millionäre und Milliardäre. Das Überraschende an dieser Arbeit war, dass uns die Superreichen dieser Welt bis zu einer Stunde ihrer Zeit schenkten, um uns von ihren Ideen zu erzählen, wie man ein Luxushotel noch besser machen kann.“
Einen Ausgleich zu seinem beruflichen Engagement findet Manfred Blümel in der Natur: „In Seattle gibt es zwei Erntesaisonen: In den Bergen beim Sammeln von Pilzen und Beeren, das ist wie in meiner Kindheit in Vorarlberg, oder beim Austern-
suchen am Strand.“ Er und sein Mann leben in der Innenstadt von Seattle. Und wie er es sich als Kind wünschte, hat er vom Garten und von der Terrasse einen wunderbaren Blick auf die Wolkenkratzer und lebt trotzdem nur zehn Minuten vom Lake Washington entfernt: „Der erinnert mich immer an den Bodensee, ich gehe nur den Hügel hinunter und schwimme im Sommer jeden Morgen um sechs eine Runde.“ 
Trotz dieser Idylle und seinem Erfolg als Unternehmer sieht er die Entwicklung der USA auch kritisch: „Im Wesentlichen ist die USA ein Land mit einer Infrastruktur, die der Dritten Welt ähnelt. 40 Millionen Menschen leben unter der Armutsgrenze, das Gesundheitssystem ist teuer und ineffizient, und die Obdachlosigkeit ist besonders in San Francisco und Seattle ganz schrecklich: Bis zu 15.000 Menschen, darunter auch viele Familien mit Kindern leben in Zeltstädten unter Autobahnen in der Innenstadt.“ Andererseits fasziniert ihn die Innovationskraft der Westküste: „Man kann kaum auf eine Party gehen und nicht über den nächsten Technologieschub sprechen oder von der Zukunft träumen. Der nächste Schub wird übrigens das autonome Fahren und die Technologisierung des Gesundheitswesens sein, das Amazon vorantreibt.“
Seine Eltern, die in Hohenems leben, und seine Schwester und ihre Familie besucht er mindestens drei Mal im Jahr: „Diese Verpflichtung bin ich als Taufpate für meinen Neffen eingegangen“, lacht der österreichisch-amerikanische Doppelstaatsbürger und wirft einen Blick in die Zukunft: „Mein Gatte, der ursprünglich aus San Francisco kommt, liebt den Bregenzerwald: Wir sind gerne in Schwarzenberg und lieben die Kässpätzle in Schönenbach. Sein Traum für die Pension wäre eine amerikanische Bar in Vorarlberg zu eröffnen, so wie Harry’s Bar in Venedig – mit guten amerikanischen Weinen und echten Cocktails.“ Wir würden uns freuen!

Lebenslauf

Im Jahr 1968 wurde Manfred Blümel in Lustenau geboren, aufgewachsen ist er in Hohen­ems. Nach dem Gymnasium BG Dornbirn hat er 1994 das Doktorat in Politikwissenschaft absolviert. Danach war er Clubsekretär der SPÖ im Vorarlberger Landtag und arbeitete später als Pressesprecher im Europastaatssekretariat im Bundeskanzleramt. 1997 hat er ein Sabbatical in Uganda gemacht und ist anschließend in die USA ausgewandert. Von 1998 bis 2002 arbeitete der heute 51-Jährige als Marktforschungs­analyst bei einer Softwarefirma in Minneapolis und die folgenden Jahre war er Leiter der internationalen Marktforschungsabteilung bei Amazon in Seattle. 2012 gründete Manfred Blümel mit „Zeitgeist Research“ sein eigenes Marktforschungsunternehmen. 

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